Vom 10. bis zum 23. August kamen 1948 Vertreter aus den elf damaligen Bundesländern in Deutschland auf der Herreninsel im Chiemsee zusammen. Die Gruppe setzte sich zusammen aus Delegierten der damaligen Bundesländer, der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone und weiteren Mitarbeitern - Beamte, Politiker, Professoren und frühere Diplomaten. Sie habe verbunden, dass man ihnen Sachverstand zutraute, sagte der Historiker Manfred Görtemaker vom Lehrstuhl für neuere Geschichte der Uni Potsdam im Deutschlandfunk.
Grundgesetz statt Verfassung
Die Ministerpräsidenten hätten sich sehr lange gegen das Votum der Alliierten gewehrt, einen Separatstaat zu gründen und daher auch großer Wert darauf gelegt, dass man nicht über eine Verfassung, sondern nur über ein Grundgesetz sprach - "um den Provisoriumscharakter des neuen Staates zu betonen", so Görtemaker.
Die Weimarer Verfassung habe bei den Beratungen als wichtiger Orientierungspunkt gedient, "denn es galt, die Konstruktionsmängel der Weimarer Verfassung zu beseitigen". Dazu hätte zum einen die mangelnde Berücksichtigung der Parteien gezählt und zum anderen die starke Stellung des Reichspräsidenten sowie Artikel 48. Dieser hatte dem Reichspräsidenten die Möglichkeit verliehen, in Zusammenwirken mit dem Reichskanzler Rechtsvorschriften zu erlassen.
"Es ging schlichtweg darum, ein stabiles Staatswesen zu schaffen, dass sich auf eine arbeitsfähige Mehrheit im Parlament stützen sollte und in dem die Parteien eine zentrale Rolle einnehmen würden", sagte Görtemaker. Ohne diese Mehrheit sollte keine Regierungsbildung möglich sein und keine bestehende Regierung gestürzt werden können.
Starke Stellung des Parlaments und der Grundrechte
Statt sich am amerikanischen oder britischen Modell zu orientieren, habe man sich darauf konzentriert, die Kontinuität der deutschen Verfassungsentwicklung vorzuschreiben - mit einer starken Stellung des Parlaments und der Grundrechte. Ein anderer wichtiger Punkt sei die 5-Prozent-Klausel gewesen, die eine zu starke Zersplitterung des Parlaments verhindern sollte.
Das Grundgesetz habe sich auch nach der Wiedervereinigung enorm bewährt, meint Görtemaker. Die Stabilität des "Gemeinwesens BRD" sei gewahrt geblieben. Auch bei schwierigen Regierungsbildungen wie nach der Bundestagswahl 2017 gebe es verschiedene Instrumente, die greifen würden. Für problematisch hält der Historiker Versuche, etwas am Grundgesetz zu verändern, "was sich möglicherweise als sehr kurzsichtig erweist". Das Vertrauen in Demokratie und die Verfassung sei der beste Schutz gegen Gefährdungen.