Astrid Eckert ist etwas Erstaunliches gelungen. Sie hat aus einem trist erscheinenden Stoff eine spannende Studie gezaubert. Das Zonenrandgebiet, ein 40 Kilometer breiter Streifen in der Bundesrepublik entlang der Grenze zur DDR, galt als eine Region voller Tristesse. Ein dünn besiedelter, wirtschaftlich unterentwickelter Raum, der im Schatten der tödlichen Grenzbefestigungen der DDR dahinsiechte. Doch Astrid Eckerts genauer Blick zeigt, welch innere Dynamik in ihm steckte. Sie schreibt:
„Das Buch folgt neueren Forschungen, die gezeigt haben, dass die Geschichte der innerdeutschen Grenze nicht allein aus der Diplomatie des Kalten Krieges oder im einseitigen Fokus auf die DDR verstanden werden kann. Vielmehr wurde sie durch Aushandlungsprozesse zwischen den beiden deutschen Staaten und dem alltäglichen Mit- und Gegeneinander der Deutschen auf beiden Seiten wesentlich mitgeformt.“
Politisierung des Grenzraums
Für Astrid Eckert war das Zonenrandgebiet ein Ort, wo die Probleme des Eisernen Vorhangs nicht nur gebündelt, sondern zugespitzt wurden. Ihre zentrale These lautet: Die Grenze zur DDR wurde bereits tief verankert, bevor der Osten sie rigide befestigte. Und der Westen war daran aktiv beteiligt, indem er das Gebilde des Zonenrandgebiets schuf. Nach 1945 wurden die Gebiete im Grenzraum zur Ostzone und späteren DDR von alten Verkehrs- und Wirtschaftsbeziehungen abgeschnitten. Allerdings hatten auch andere Regionen in Westdeutschland mit ökonomischen Problemen zu kämpfen. Der Verweis auf wirtschaftliche Nachteile allein verschaffte den Grenzgemeinden daher keine bevorzugte Hilfe vom Bund. Sie setzte erst ein, als diese ihre Probleme politisierten und ideologisierten. Die Grenzgemeinden hatten erkannt, schreibt Eckert,
„…dass sie das hervorheben mussten, was sie in der westdeutschen Wiederaufbaulandschaft einzigartig machte: den Eisernen Vorhang. Hier prallten die ideologischen Paradigmen von West und Ost aufeinander. Zum Beispiel wurde die Arbeitslosigkeit in den Grenzgebieten nicht deshalb als besorgniserregend herausgestellt, weil sie so hoch war, sondern weil die arbeitslosen Massen ein leichtes Ziel für kommunistische Propaganda seien.“
Kämpfe um die Identität
Diese Strategie machte das Wort „Zonenrandgebiet“ ab Mitte der 1950er Jahre zu einem starken Markennamen, der dem Grenzraum eine doppelte Identität bescherte: einerseits als antikommunistisches Bollwerk und andererseits als benachteiligtes Gebiet, das sich in Westdeutschland gegen andere Regionen behaupten muss. Eckert zeichnet detailliert nach, welche Kämpfe sich daraus ergaben. Etwa auch mit der EU-Kommission, die bemängelte, dass nicht alle Gemeinden dieses Raums gleichermaßen unterentwickelt waren, obwohl er als homogene Zone definiert wurde.
Die Autorin liefert viele Fakten aus historischen Quellen, die sie zum Teil selbst in ausgiebiger Archivarbeit ausgewertet hat. Ihr Buch ist gut lesbar und anschaulich, weil Eckert auch aus zeitgenössischen Reportagen zitiert sowie Bilder oder Landkarten präsentiert. Etwa beim Thema „Grenztourismus“, der gut organisiert war und neben wirtschaftlichen auch politische Zwecke verfolgte.
“In einer niedersächsischen Publikation war zu lesen, der Anblick von Minenfeldern und Stacheldraht wecke im Besucher den Mut, ‚Unrecht und Gewalt‘ zugunsten von ‚Recht und Freiheit‘ zu bekämpfen. Dies sei die ‚große nationale Aufgabe‘.“
Grenzüberschreitender Umweltschutz
Die Themenpalette des Buches ist breit. Man erfährt etwa, wie die DDR die Grenze immer stärker aufrüstete und sich ein wild wachsender Naturraum um sie herum bildete, der in den 1990er Jahren dann als „Grünes Band“ ausgebaut werden sollte. Wie stark der Grenzraum Ost-und Westdeutschland ineinander verstrickt hat, zeigt Eckert eindrucksvoll in zwei großen Kapiteln über die Umweltpolitik. Aus der DDR gelangten große Schadstoffmengen ins westliche Grenzgebiet. Der Forderung, mehr gegen diese Umweltverschmutzung zu tun, setzten DDR-Verhandler das rhetorische Argument entgegen, die Bundesrepublik müsse dafür zahlen, weil sie dann ja auch davon profitiere. Die DDR war ökonomisch viel zu schwach, um wirkungsvolle ökologische Maßnahmen finanzieren zu können. Sogar das CSU-regierte Bayern subventionierte daher einige Umwelt-Projekte im Osten. Eckert weist aber auch darauf hin, dass die ökologische Weste der Bundesrepublik keineswegs weiß war.
„Seit Mitte der 1970er Jahre hatten westdeutsche Kommunen und öffentliche Unternehmen Haus- und Sondermüll in die DDR exportiert und damit eine billige Lösung für die westlichen Entsorgungsvorschriften gefunden. Aus gutem Grund erinnerten Umweltaktivisten die westdeutsche Öffentlichkeit im Jahr 1990 daran, dass die Bundesrepublik nur deshalb so ‚sauber‘ erscheine, weil die DDR so ‚schmutzig‘ geworden sei.“
Gorleben in der DDR
Auch beim Kampf westdeutscher Bürgerinitiativen gegen das geplante grenznahe Entsorgungszentrum für radioaktives Material in Gorleben findet Eckert einen besonderen Ost-West-Effekt.
„Die Gorleben-Gegner veranstalteten die erste Anti-Atomkraft-Demonstration auf dem Territorium der DDR. […] Die Besetzer wollten damit die Behörden in Ost und West gleichermaßen zwingen, ihre Katastrophenpläne für einen nuklearen Störfall offenzulegen.“
Astrid Eckerts Buch macht das Zonenrandgebiet als konfliktreiches politisches, ideologisches, ökologisches und kulturelles Phänomen sichtbar. Die Historikerin nimmt dabei die Perspektive des Ostens mit auf, ohne die Grenzpolitik der DDR zu beschönigen. Ein lesenswertes Beispiel lebendiger Vergangenheitsaufarbeitung.
Astrid M. Eckert: „Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang“, Ch. Links Verlag, aus dem Englischen übersetzt von Thomas Wollermann, Bernhard Jendricke und Barbara Steckhan, 552 Seiten, 30 Euro.