Die amerikanische Gesellschaft erscheint gespaltener denn je. Die Verwerfungslinien ziehen sich quer durch die Gesellschaft. Das zeigt sich besonders in den Wahrheiten, die Trump-Wähler einerseits und Biden-Wähler andererseits vertreten, bei denen es so gut wie keine Schnittstellen gibt. Der amerikanische Historiker Arthur M. Schlesinger hat sich schon im Jahr 1991 in seinem Buch "The Disuniting of America" mit der gesellschaftlichen Spaltung der Vereinigten Staaten beschäftigt.
Die Historikerin und Soziologin Sandra Kostner, die das Vorwort zu dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch geschrieben hat, findet, Arthur Schlesinger habe schon vor dreißig Jahren sehr weitblickend erkannt, in welche Richtung sich die amerikanische Gesellschaft entwickeln würde.
Der amerikanische Mythos - eine Lebenslüge
Das ursprüngliche Narrativ Amerikas als großer Schmelztiegel, in dem äußerliche Unterschiede irrelevant sind und jeder Mensch Freiheit und gleiche Chancen finden kann, sei natürlich eine Lebenslüge gewesen, meint Sandra Kostner. Es wurde in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend abgelöst von einem neuen identitätspolitischen Narrativ, das benachteiligte gesellschaftliche Gruppen ins Zentrum stellte.
Donald Trump habe, so Kostner, schon im Wahlkampf 2016 genau diese Unzufriedenen angesprochen, die sich in ihren Identitäten abgewertet gefühlt haben. "Ihnen hat Trump das Gefühl gegeben, Ihr seid doch eigentlich das Zentrum Amerikas".
Trump habe seine Anhänger sehr nah an sich gebunden und das Misstrauen, das diese bereits in amerikanische Institutionen hatten, immer befeuert, besonders auch dieses Jahr im Wahlkampf: "Trump hatte von Anfang gesagt, wir können die Wahl nur verlieren, wenn die Wahl nicht ehrlich abläuft, wenn man uns die Wahl stiehlt. Auf diese Weise konnte er seine Anhänger aufstacheln, so dass sie dann ins Kapitol gezogen sind und für diese Szenen gesorgt haben."
Narrativ gegen die Spaltung gesucht
Für die Zukunft werde man allerdings ein Narrativ brauchen, das die Gesellschaft nicht spaltet, wie es etwa bei dem vor zwei Jahren von der New York Times initiierten Projektes "1619" der Fall ist. Dieses Projekt sei der vorläufige Höhepunkt der Instrumentalisierung von Geschichte, glaubt die Historikerin Sandra Kostner, denn es schriebe den Rassismus als Erbsünde fest. 1619 gilt als der 400. Jahrestag der Sklaverei, weil 1619 das erste Schiff mit afrikanischen Sklaven angekommen sei.
Sandra Kostner meint, man müsse jetzt schauen, "was das Verbindende in diesem Land ist und das ist schon die Tatsache, dass Amerika sich sehr früh eine liberal-demokratische Ordnung gegeben hat, der Amerika nicht immer gerecht geworden ist, aber die Aufgabe der Zukunft wird sein, sie so auszugestalten, dass sie eben allen gerecht wird."