Dieser Klang ist eine historische Kostbarkeit. Er kommt von einem Instrument, das der legendäre Orgelbauer Arp Schnitger vor nahezu 330 Jahren geschaffen hat. Aber: Die Zeit hat Spuren an der Orgel hinterlassen, etwa an den Pfeifen. Die sind aus Blei und zeigen Korrosionserscheinungen, den sogenannten Bleifraß.
"Das äußert sich in einer ganz gemeinen Weise."
Sagt Koos van der Linde, Orgelexperte am Arp-Schnitger-Institut in Bremen.
"In den Füßen häuft sich, solange die Orgel nicht gespielt wird, Essigsäure an. Dann fängt es irgendwann in den Füßen an. Und wenn man es sieht, ist es schon fast durchgefressen. Dann kann man nicht mehr so viel machen."
Retten, was zu retten ist
Das Resultat: Orgelpfeifen, die unsauber klingen und sich nicht mehr stimmen lassen: ein Problem, das seit etwa 20 Jahren immer ärger geworden ist.
"Da fragt man sich natürlich, was hat sich verändert? Das haben wir versucht zu untersuchen. Und vor allem: Was für Maßnahmen kann man treffen, dass das gestoppt wird?"
Um das zu beantworten, initiierten Musikwissenschaftler, Orgelbauer und Materialforscher ein Forschungsprojekt, bei dem sie sich exemplarisch sechs alte Orgeln in Norddeutschland vornahmen. Die Ursache für die Zunahme der Korrosion war bald gefunden.
"Es gibt Probleme mit der Luftfeuchtigkeit in den Kirchen. Dass man das unterhalb eines gewissen Werts halten muss, damit man Korrosion vermeidet oder damit es auf jeden Fall langsamer geht."
Die Kirchen sind heute besser wärmeisoliert als vor 20 Jahren, werden aber zu selten gelüftet – weshalb es in ihnen zu feucht ist. Hinzu kommt: Die in den Orgeln verbauten Hölzer geben Essigsäure ab. Diese nagt dann zusammen mit der feuchten Luft am Blei der Pfeifen. Was kann man dem entgegensetzen?
"Wir wollten jetzt nicht mit großen Graphen-Beschichtungen oder irgendwelchen hochtechnologischen Dingen rangehen. Sondern wir wollten versuchen herauszufinden: Was können die Orgelbauer in ihren Werkstätten machen?"
Kalk statt Hightech
Sagt Herbert Juling, Materialforscher am Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien in Bremen. Die Idee: Man könnte die Hölzer in der Orgel mit Kalk beschichten, der die austretende Säure neutralisiert. Eine Strategie, mit der schon frühere Orgelbauer gearbeitet hatten, die aber in Vergessenheit geraten war. Ob sie wirkt, erprobten die Fachleute mit einem Laborexperiment.
"Wir haben Teile der Orgel nachgebaut und darin Messungen gemacht. Und tatsächlich: Wenn man’s richtig macht, funktioniert‘s."
Die Kalkschicht konnte die Essigsäure-Ausdünstung um mehr als 90 Prozent senken. Und das Projekt lieferte noch eine weitere Erkenntnis, sagt Koos van der Linde:
"Es klingt vielleicht komisch, aber die Luft ist in gewisser Hinsicht sauberer als früher. Es gibt viel weniger Schwefeldioxid in der Luft. Und das reagiert mit Bleioxid zu Bleisulfat. Und Bleisulfat ist die Schutzschicht, die man auf alten Pfeifen hat."
Weniger Schwefeldioxid in der Luft – das ist gut für die Natur, aber ungünstig für Orgelpfeifen. Doch dieses Manko lässt sich ausgleichen, meint Herbert Juling.
"Wir haben Untersuchungen gemacht, dass wir frisches Blei mit Schwefelsäure behandelt haben und festgestellt, dass die Korrosion weitestgehend verhindert wird."
Ein Bad, das vor Bleifraß schützt
Ein Bad in Schwefelsäure macht die Pfeifen also immun gegen den Bleifraß – ein Laborresultat, das man nun in der Praxis erproben müsste. Und was sagen die Praktiker zu den neuen Ergebnissen, also jene Meister, die neue Instrumente bauen und alte restaurieren?
"Die Orgelbauer, die im Projekt mitgearbeitet haben, sind zum größten Teil begeistert davon. Jetzt haben sie zum ersten Mal konkrete Lösungen. Die zwar für die Praxis noch optimiert werden müssen, aber die Grundlagen sind da."