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Historische Schätze neu interpretiert

Das Buxheimer Orgelbuch und das Lochamer Liederbuch gehören zu den wichtigsten Quellen für die Instrumentalmusik des 15. Jahrhunderts. Dem Ensemble "Tasto Solo" gelingt auf der CD "Meyster ob allen Meystern" eine angemessene musikalische Umsetzung der musikhistorischen Schriften.

Von Christiane Lehnigk |
    Im Mittelpunkt steht heute Musik um Conrad Paumann und die deutsche Tasteninstrumenten-Schule um 1500, eine Produktion von 2008, die das spanische Ensemble "Tasto Solo" jetzt beim belgischen Label "passacaille" unter dem Titel "Meyster ob allen Meystern" veröffentlicht hat. Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

    Buxheimer Orgelbuch
    Redeuntes in La
    Tasto Solo


    Vordergründig spektakulär ist diese CD nicht, aber dennoch ist die Produktion, die das vierköpfige Ensemble "Tasto Solo" vorstellt schon sensationell. Hier erhält Instrumentalmusik des Mittelalters ein ganz neues Klanggewand, das zum einen durch die Kombination nahezu "unerhörter” Instrumente entsteht, zum anderen durch die gekonnte Improvisationspraxis der Musiker zuweilen ganz modern klingt.

    Das Buxheimer Orgelbuch und das Lochamer Liederbuch gehören zu den wichtigsten Quellen für die Instrumentalmusik einer Zeit, die, im Unterschied zur vorherrschenden Vokalmusik, bis dahin kaum richtig aufgeschrieben, sondern zumeist mündlich tradiert wurde. Musikhistorisch sind diese Handschriften, die in den Staatsbibliotheken von München und Berlin liegen, inzwischen aufgearbeitet, doch gab es bislang, so Guillermo Pérez, Leiter von "Tasto Solo", kaum eine angemessene musikalische Umsetzung.

    Im Lochamer Liederbuch, das zwischen 1452 und 1460 datiert ist, sind 50 ein- bis dreistimmige Lieder in verschiedenen Varianten enthalten, die hauptsächlich von
    Frater Jodocus von Windsheim aufgeschrieben wurden. Den Namen erhielt die Handschrift nach einem ihrer ersten Besitzer, dem Nürnberger Patrizier Wolflein von Lochamer.

    Diese Liedersammlung, in der Stücke teilweise konkret spätmittelalterlichen Autoren zugeordnet werden können, dokumentiert das Entstehen weltlicher Lieder gegenüber den geistlichen Gesängen. In diesem Liederbuch gibt es auch einen Instrumentalteil, und das sind die 31 Orgeltabulaturen, die Conrad Paumann zugeschrieben werden und die sich auch unter dem Titel "Fundamentum organisandi" ebenso im Buxheimer Orgelbuch befinden. Dieser Codex ist um 1460, 1470 entstanden und gilt mit seinen 256 Originalkompositionen und Bearbeitungen verschiedener Komponisten der Zeit als die wichtigste Quelle an Musik für Tasteninstrumente. Betrachtet man diese vielfältigen Kompositionen, die ja nur einen kleinen Einblick geben können, so kann man erahnen, wie komplex die Musik der Zeit gewesen sein muss. Die Orgel war dabei noch nicht als Kirchenmusikinstrument spezifiziert und es wurden darauf zum Beispiel auch Liedbearbeitungen gespielt.

    Das Ensemble "Tasto Solo" hat sich auf seiner Aufnahme bewusst für eine kleine gotische Orgel und ein Organetto entschieden und nicht für eine große gotische Orgel, wie es sie zum Beispiel in St. Lorenz in Nürnberg gab.

    Buxheimer Orgelbuch
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    Redeuntes in Ut
    Tasto Solo


    Das Ensemble "Tasto Solo" hat sich auf seiner CD mit Musik für Tasteninstrumente aus dem 15. Jahrhundert, mit Stücken aus dem Buxheimer Orgelbuch und dem Lochamer Liederbuch, ein Instrumentarium zusammengestellt, wie es selbst so in der Alte-Musik-Szene einzigartig ist. Der Leiter des Ensembles, Guillermo Pérez, spielt Organetto, David Catalunya Clavisimbalum - die erste bekannte Frühform eines kleinen Cembalos mit nicht dämpfbaren Metallsaiten. Mit dabei sind auch noch Andrés Alberto Gómez mit der gotischen Orgel und Reinhild Waldek mit der gotischen Harfe.

    Im Zusammenspiel ergeben sich ganz unterschiedliche, vielfältige Klangfarben und die gekonnte Improvisationskunst der Musiker tut ein übriges dazu, dass diese Musik ganz fremdartig und entrückt aber gleichzeitig auch zeitlos modern klingt. Die instrumentale Kultur des späten Mittelalters wieder zu beleben, das ist ein erklärtes Hauptziel des Ensembles, wobei immer ein Austausch zwischen theoretischer Betrachtung und praktischer Erprobung stattfindet.

    Die Musikwissenschaftler haben die Quellen bisher überwiegend unter dem Gesichtspunkt
    "Vorform der Orgelmusik" betrachtet, als, so Pérez, "ersten, zaghaften Gehversuch eines noch jungen, unerfahrenen Genres", doch eine "frische Betrachtung hingegen zeige, dass hier Dokumente das Glück hatten, die Zeit zu überdauern, die wie aus dem Wasser ragenden Spitzen von Eisbergen nur erahnen lassen, welch gewaltige Massen sich unter der Oberfläche verbergen", die also nur einen kleinen Einblick in die verklungene Praxis eines im 15. Jahrhundert florierenden "fertigen" Stils geben können. Und so hofft Pérez, dass diese "neue Art der Beschäftigung Früchte tragen wird und der historischen und künstlerischen Bedeutung dieser Quellen gerecht wird".

    Buxheimer Orgelbuch
    Redeuntes in Re
    Des meyen zit die fört daher
    Tasto Solo


    "Meyster ob allen Meystern", so heißt die Produktion des jungen spanischen Ensembles, das 2006 als Gewinner des International Young Artist Alte-Musik-Wettbewerbes während des Festival "Laus Polyphoniae" in Antwerpen hervorging und seitdem ein gern gesehener Gast bei den wichtigsten Festivals dieses Genre in Europa ist.

    Gewidmet ist die CD Conrad Paumann, der als einer der wichtigsten deutschen Musiker des 15. Jahrhunderts gilt. Nimmt man sein wahrscheinliches Geburtsjahr 1409, so wäre das sozusagen eine Hommage an seinen 600. Geburtstag. Paumann war von Geburt an blind, wirkte in Nürnberg als Organist an St. Sebald und als Stadtorganist, ging um 1450 nach München an den Hof der Herzöge Ernst und Wilhelm III. sowie Albrecht III. Er war zwar als Hoforganist angestellt, muss aber wohl eine Vielzahl an Instrumenten gespielt haben, wie ein Relief in der Münchner Frauenkirche zeigt, auf der er mit Laute, Blockflöte, Harfe, Fidel und Portativ-Orgel abgebildet ist. Über sein Amt hinaus war er auch ein gesuchter Orgelsachverständiger und unternahm viele Auslandsreisen.

    Der "kunstreichste Meister aller Instrumente", "Il cieco miracoloso", "Der wunderbare Blinde", wurde in Italien sogar zum Ritter geschlagen und vergeblich versuchte der Hochadel in Mailand und Neapel, ihn an seine Höfe zu ziehen. In den letzten Lebensjahren wirkte Paumann, der auch wegen seiner Improvisationskunst berühmt war, als Organist der Münchner Frauenkirche.

    Die Interpretation seiner Musik durch "Tasto Solo" in einer hervorragenden Klangaufnahme ist eine veritable Entdeckung und es bleibt zu hoffen, dass das spanische Ensemble noch viele solcher Schätze zu heben vermag. Hier wird ein Eindruck vermittelt, wie farbig die Instrumentalmusik im Mittelalter gewesen sein kann und welch hohe Kunst zwischen Kirche und Hof und Wirtshaus existierte. Auch wenn man als Nichtfachmann die vielen verschiedenen Kunstgriffe des Komponisten vielleicht nicht im Einzelnen nachvollziehen kann, aber die lebendige Improvisationskunst hat Parallelen in der traditionellen Musik oder auch im Jazz und schafft es so, eine Brücke zu schlagen zwischen dem gar nicht so "dunklen Mittelalter" und der Gegenwart.

    Lochamer Liederbuch/Buxheimer Orgelbuch
    Conlacrime
    Tasto Solo


    Die Neue Platte im Deutschlandfunk. Wir stellten Ihnen heute Musik des 15. Jahrhunderts aus dem Lochamer Liederbuch und dem Buxheimer Orgelbuch vor, die dem süddeutschen Organisten Conrad Paumann zugeschrieben wird. Unter dem Titel "Meyster ob allen Meystern” hat das spanische Ensemble "Tasto Solo" unter der Leitung von Guillermo Pérez ein Programm mit 18 Stücken aus diesen handschriftlichen Sammlungen zusammengestellt und beim belgischen Label "passacaille" im deutschen Vertrieb von "note1" veröffentlicht. Im Studio verabschiedet sich, mit Dank für das Zuhören, Christiane Lehnigk.

    Meyster ob allen Meystern
    Conrad Paumann and the 15th century German keyboard school

    Tasto Solo, Leitung: Guillermo Pérez
    passacaille / musica vera 950