In den Anden im Südwesten Boliviens liegt in 3.900 Metern Höhe das Lipez Plateau. Es ist trocken und kalt, hier leben vor allem Lama- und Schafhirten. Die Überhänge im Vulkangestein nutzen sie als Unterstand für ihr Vieh und das schon seit langer, sehr langer Zeit. Eine Herausforderung für Archäologen wie Jose Capriles von der US-amerikanischen Pennsylvania State Universität.
"Der Boden ist mit einer dicken Schicht Dung bedeckt. Für uns ist das schwierig, sie können sich den Gestank vorstellen. Auf der anderen Seite hat diese Schicht die Lage darunter geschützt. Dort haben wir das rituelle Bündel eines Schamanen gefunden, das wohl eine Grabbeigabe war. Der dazugehörige Leichnam wurde später entfernt, das war in der Region durchaus üblich. Das Bündel blieb dann als Abfall der Zeremonie zurück."
Mischung stark halluzigener Substanzen
1.000 Jahre alt sind die Fundstücke, das belegt eine Radiokarbonanalyse. Der Inhalt des Lederbeutels erinnert an das Besteck eines modernen Kokainnutzers. Der zerteilt die Droge mit der Kreditkarte auf der glatten Fläche seines Handys und schnupft das Pulver dann mit Hilfe eines aufgerollten Geldscheins. Der historische Schamane verwendete für den gleichen Zweck reich verzierte Holztabletts, Spatel aus Lamaknochen und ein Schnupfrohr, das ebenfalls geschnitzt und dazu noch mit geflochtenem menschlichem Haar geschmückt war. Außerdem gab es ein buntes Stirnband und eine Schnur mit festgeknoteten Pflanzenresten. Am ergiebigsten für die Archäologen erwies sich aber das seltsamste Stück im Schamanenbündel.
"Das war ein Säckchen, das aus drei Fuchsschnauzen zusammengenäht war, bemerkenswert! Wir haben die darin enthaltenen Überreste und auch die Pflanzenstücke mit chemischen Methoden analysiert und stark halluzinogene Substanzen gefunden, Harman-Alkaloide, DMT, Kokain, die typisch für die psychotropen Pflanzen der Region sind. Das ist das erste Mal, dass Material von mehreren solcher Pflanzen gemeinsam gefunden wurde, das bedeutet: sie wurden wohl als Mischung genutzt."
Hilfsmittel, um die Gesellschaft zu stabilisieren
Noch heute verwenden Schamanen im Amazonas Ayahuasca, einen stark halluzinogenen Sud, bei dem sich die Bestandteile mehrerer Pflanzen in ihrer Wirkung verstärken. Die Pflanzen im Beutel lassen sich nicht mehr genau bestimmen, aber klar ist, im trockenen Hochland werden sie kaum zu finden gewesen sein. Entweder sind die Schamanen selbst über hunderte von Kilometern gereist, oder es gab weit verzweigte Handelsnetze. Das ist möglich, denn vor 1.000 Jahren herrschte das späte Tiwanaku-Reich über weite Teile der Anden. Schamanen und ihre Rauschrituale waren ein wichtiges Element seiner Kultur, das die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammenhielt, vermutet Jose Capriles.
"Dieser Fund öffnet ein Fenster zu den Symbolen und Ritualen dieser vergangenen Gesellschaft. Die werden zum Teil mit dem Leben der Bauern und Hirten verknüpft gewesen sein, für die Voraussage und Beeinflussung des Wetters wichtig war. Ein weiterer Aspekt der Religion besteht aber darin, Vertrauen zu schaffen. Wenn die Bevölkerung wächst, ist nicht mehr klar, wer sich korrekt verhält und wer betrügt. Deshalb wird die soziale Kontrolle an übernatürliche Wesen delegiert, und ein Spezialist für Rituale kann mit diesen Wesen kommunizieren. Wir wissen: Das hat die Gesellschaft stabilisiert."
Mit dem Ende des Tiwanaku-Reichs verschwinden in den Anden die archäologischen Belege für den sozial organisierten und sozial bindenden Rausch der Schamanen. Und aus Hilfsmitteln der Transzendenz werden im Lauf der Zeit Konsumdrogen.
Mit dem Ende des Tiwanaku-Reichs verschwinden in den Anden die archäologischen Belege für den sozial organisierten und sozial bindenden Rausch der Schamanen. Und aus Hilfsmitteln der Transzendenz werden im Lauf der Zeit Konsumdrogen.
"Heute gibt es einen anderen Kontext. Diese Drogen werden genutzt, um das Erleben auf einer Party zu steigern. Das ist etwas ganz anders als in den historischen Gesellschaften, bei denen es um Religion und Ritual ging."