Die Trennung sei der beiden Religionsgruppen sei vielmehr politisch bedingt gewesen, erklärte Jaschke. Ein Problem sei die Staatsnähe der orthodoxen Kirche. Er sei sich sicher, dass diese Nähe zur Politik künftig auf ein Maß zurückgehen werde, das dem Christentum gemäß sei.
Das Interview in voller Länge:
Moderator: Gestern Abend auf dem Flughafen von Kubas Hauptstadt Havanna: Papst Franziskus, das Oberhaupt der mit 1,2 Milliarden Gläubigen größten christlichen Kirche, der römisch-katholischen, trifft sich mit dem Vertreter der Orthodoxen Kirche, der mit 300.000 Anhängern drittgrößten christlichen Kirche mit Kyrill I., dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche. Das war seit der Kirchenspaltung vor etwa tausend Jahren das erste Mal, dass sich ein Papst und ein russisch-orthodoxer Patriarch begegneten.
Am Telefon ist nun Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof in Hamburg und dortiger Leiter der Ökumenischen Kommission. Guten Morgen, Bischof Jaschke!
Hans-Jochen Jaschke: Guten Morgen!
Moderator: Zweieinhalb Stunden, ein Gespräch unter Brüdern, eine gemeinsame Erklärung am Ende - mit dem Wort historisch ist man ja heute allzu schnell bei der Hand. Trifft das hier diesmal zu? War das ein historisches Treffen?
Jaschke: Das kann man wohl sagen. Im Jahr 1054 - 1054 - wurde in Konstantinopel der gegenseitige Bann ausgesprochen. Die Lateiner haben die Orthodoxen gebannt, und seitdem leben wir in der Trennung. Gar nicht so sehr inhaltlich - orthodoxe Christen und katholische Christen können sich, was die Inhalte angeht, einig sein, aber es war politisch das große Problem, die Ablehnung des Papstes, und der Papst selbst hat für die orthodoxe Kirche, für die östliche Kirche auch zu wenig Verständnis gehabt, und so hat man sich dann gegenseitig das Leben schwer gemacht. Die Orthodoxen waren misstrauisch und haben gedacht, dass Rom immer wieder auf ihrem Gebiet herumwildern will und dort Gläubige abspenstig machen will von der orthodoxen Kirche. Tja, wie das so mit Verhärtungen ist: Man muss sagen, es geht hier natürlich um die russisch-orthodoxen. Es gibt viele andere orthodoxe Kirchen, mit denen Rom schon seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten auch in guten Beziehungen steht. Aber das Zeichen mit Moskau, mit Kyrill, das war ganz besonders wichtig. Der polnische Papst, Johannes Paul II., hat schon alle möglichen Angänge versucht, aber es ging nicht. Und nun hat man die Gelegenheit gefunden, sich auf Kuba - das ist ja eigentlich auch herrlich, sich zu treffen -, auf Kuba, wo Rom auch eine gute Politik gemacht hat und dafür gesorgt hat, mit dazu beigetragen hat, dass eine Anerkennung stattfinden konnte, dass die Amerikaner sich mit Kuba wieder einigermaßen ausgesöhnt haben, das sind alles wunderbare Zeichen.
Moderator: Günstige Vorzeichen. Aber Sie haben soeben so lapidar gesagt "es ging nicht". Können Sie das noch näher sagen, das kann man ja gar nicht verstehen - tausend Jahre Eiszeit, obwohl inhaltlich man gar nicht so unterschiedlich ist. Und trotzdem ging es nicht. Was ging da nicht?
Jaschke: Also inhaltlich gibt es "nur" das Problem, in Anführungszeichen "nur", dass die Orthodoxen den Papst ablehnen, und zwar auch nicht als Papst im Allgemeinen, sondern als Papst, der das Gebiet der Orthodoxe auch seinerseits in irgendeiner Weise beherrschen könnte.
Moderator: Aber "nur" ist dann schon ein bisschen verniedlicht. Das ist schon ein großes Problem.
Jaschke: Ja. Sie anerkennen schon das Petrus-Amt und sagen, so etwas muss es schon geben wie den Papst. Nur die konkrete Ausübung des Petrus-Amtes auch von Rom heraus, aus Rom im Gebiet der Orthodoxen da Entscheidungen treffen will, das haben sie immer abgelehnt. Also, es waren politische Verhärtungen, und es ist gut, dass die Kirche erkennt, dass die Politik nicht das Entscheidende sein darf. Es geht um den Glauben, es geht um die Menschen, um die Menschen natürlich im Bereich der Orthodoxie, in Russland, wo auch Katholiken leben. Katholiken haben es dort nicht immer so ganz einfach, in der Ukraine ganz besonders, wo die Kirche mit hineingezogen wird in die politischen Konflikte. Ja, wir können nur dankbar sein, und es ist auch ein Symbol, dass das im Kuba Fidel Castros, auf Kuba, dem Gebiet Fidel Castros diese Begegnung zustande kommen konnte.
Moderator: Wer musste sich denn einen größeren Ruck geben für die Begegnung, Franziskus oder Kyrill?
Jaschke: Ach, das kann ich gar nicht so leicht beurteilen. Tatsache ist, dass Rom schon seit Jahrzehnten versucht hat, immer wieder mal auch in Moskau vorstellig zu werden, aber das ging auf der oberen Ebene nicht. Es gab natürlich immer Kontakte, man weiß um einander, aber das war so ein Politikum. Der Papst nach Moskau, das kann man nicht machen. Und der Patriarch nach Rom, das wäre natürlich auch nicht so gut gegangen.
Moderator: Also ist die Staatsnähe der russisch-orthodoxen Kirche möglicherweise ein Hindernis für die Annäherung gewesen, von beiden Seiten?
Jaschke: Ja, das will ich jetzt nicht so sehr thematisieren, das ist aus christlicher Sicht schon ein Problem, die Staatsnähe. Aber die orthodoxe Kirche muss natürlich auch sehen, dass sie in komplizierten Zeiten da einen vernünftigen Weg gehen kann. Sie will keine Staatskirche sein, aber andererseits will sie ihre Traditionen nicht aufgeben und darf die Menschen natürlich gerade in Russland nicht verlieren.
Moderator: Nun ist in der gemeinsamen Erklärung - unser Korrespondent hat davon berichtet - die Rede von der Sorge über die Vertreibung der Christen im Nahen Osten. Und Kyrill hat vor der Begegnung, vor einigen Wochen, die russischen Luftangriffe in Syrien gerechtfertigt als heiligen Kampf für Frieden und hat natürlich dort auch die christlichen Minderheiten im Auge. Würde die katholische Kirche auch so weit gehen?
Jaschke: Nein. Die katholische Kirche hat seit Jahrhunderten immer einen Weg gefunden, unabhängig von den politischen Mächten ihre Politik zu machen, die Menschen zu akzeptieren, auf die Menschen zuzugehen. Die Staatsnähe der Orthodoxie ist natürlich ein Problem, aber man muss nicht die Probleme immer jetzt zum Thema machen, sondern das Zeichen der Gemeinsamkeit sehen und sehen, was jetzt daraus wächst, wie Katholiken sich in Russland jetzt entwickeln können, wie die Orthodoxen freier leben können, auch gerade in Ländern des Orients.
Moderator: Wo gibt es denn die größten Gemeinsamkeiten?
Jaschke: In allem. Was uns trennt oder getrennt hat, ist eine bestimmte Ausübung des päpstlichen Primates, wie die westliche Kirche ihn über Jahrhunderte hindurch praktiziert hat. Und da haben sich die Orthodoxen angegriffen gefühlt und haben gesagt, er will auf ihrem Gebiet dort gewissermaßen Einfluss nehmen. Und das haben sie abgelehnt. Und wenn jetzt so ein Zeichen gesetzt wird der Gemeinsamkeit, dann muss man sehen, was weiterwächst. Ich bin auch sicher, dass die Staatsnähe der Orthodoxie dann auch auf ein Maß zurückgehen wird, dass dem Christentum entspricht. Natürlich darf eine Kirche nicht eine Politik absegnen, das ist schon klar. Aber dass wir den Menschen sehen, die gemeinsamen Werte sehen, Ehe und Familie, und dass wir darauf verzichten, einander wirklich zu misstrauen. Das sind doch die großen Symbole, und da sind wir auch sehr stolz, dass es einem Papst wie Franziskus gelingt, solche Barrieren beiseitezuschieben. Er hat es ja auch leichter als der polnische Papst etwa es hatte. Polen liegt in der Nähe von Russland, und die Russen und die Polen hatten immer schon gewisse Schwierigkeiten. So ist auf diesem Wege dieses wunderbare Zeichen gesetzt worden.
Moderator: Die beiden Brüder haben gesagt, jetzt werden die Dinge einfacher. Aber was genau wird einfacher, was wird sich ändern durch das Treffen, was kann sich ändern?
Jaschke: Erst mal ändert sich das Klima. Wir müssen sehen, wie Christen in Russland, in der alten Sowjetunion leben können, denn die hatten es bisher auch nicht immer einfach, weil die Orthodoxie beansprucht hat, dass sie die führende Kirche sind. Das wird sicherlich leichter werden. Wir müssen sehen, welche Auswirkungen auf die Christenheit im Orient, im Nahen Osten sich entwickeln werden. Das wird auch nicht total anders werden können, aber die Signale sind wichtig. Und ich hoffe, dass wir doch ein gutes Stück weiter kommen.
Moderator: Das war Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof in Hamburg. Herr Jaschke, herzlichen Dank für das Gespräch, und einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!
Jaschke: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.