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Hitler als Bettnässer

Helge Schneider als Hitler? Da bekommt Ralph Giordano "Bauchgrummeln". Denn es bestehe die Gefahr, dass in Dani Levys Film "Mein Führer" Hitler als Witzfigur dargestellt werde. Allerdings hat der Schriftsteller den Film noch nicht gesehen. Vielleicht geht es Giordano wie uns allen, die wir die Trailer und Ausschnitte schon 100x gesehen haben, so dass man glaubt, den Film schon zu kennen.

Von Christoph Schmitz |
    Propagandaminister Josef Goebbels trifft einen essenden Juden:

    "Wie schön Sie zu sehen! Wo haben wir Sie denn aufgescheucht? "

    "In Sachsenhausen."

    "In Sachsenhausen? Ich dachte, wir hätten Sie in unser wunderschönes Theresienstadt einquartiert. Das ist unser schönstes Lager."

    Die "wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler" will uns Dani Levy in seinem neuen Film erzählen. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler mit Helge Schneider in der Rolle des Diktators. Eine Hitler-Blödelei zwischen Dämlichkeit und Sarkasmus würde man vermuten, könnte man nicht auf die komödiantischen Qualitäten des Regisseurs von "Alles auf Zucker" hoffen. Hier hatte Levy jüdisches Leben heute in Deutschland mit kräftigem Humor und viel Selbstironie geschildert. Aber auch Ulrich Mühe, der neben Helge Schneider die zweite Hauptrolle spielt, ließe keinen Klamauk-Film erwarten.

    Dennoch ist eine Komödie über Hitler eine ziemlich heikle Sache, nicht nur ästhetisch und moralisch, sondern auch filmgeschichtlich angesichts des "Großen Diktators" und "Sein oder nicht sein" von Ernst Lubitsch. Doch weil sich da ein Regisseur wie Dani Levy mit jüdischem Namen und Wurzeln ans Werk machte, scheint sich das Unternehmen erst einmal selbst zu legitimieren. Ein Reflex, der wiederum das vertrackte und unerlöste Verhältnis von uns Deutschen zum ganzen Hitler-Alptraum zeigt. Bei einem solchen Film über die wahrste Wahrheit über Hitler kann also mehr schief- als gutgehen, schon wenn man darüber redet.

    Aber um es gleich vorweg zu sagen, das Film-Unternehmen ist gelungen. Levy und Schneider und Mühe haben eine Hitler-Komödie hingelegt, die man lange nicht vergessen wird. Ein Kino-Glücksfall mit fast therapeuthischen Qualitäten. Vor allem, weil einem das Lachen nicht im Halse stecken bleibt. Und zu einem befreienden Lachen kann ja nur verführen, wer sich feinsinnig auf den Witz, die Psychologie und den Zauber der Kunst versteht. Levy ist ein solcher Zauberer.

    Auch weil er weiß, dass eine Komödie umso besser wird, je einfacher die Grundkonstellation der Geschichte ist. Und die ist in "Mein Führer" so: Hitler ist Ende 1944 physisch und psychisch ein Wrack. Um eine letzte große Rede ans deutsche Volk halten zu können, muss er aufgepäppelt werden. Das soll ein jüdischer Schauspieler leisten, den man aus einem KZ in die Reichskanzlei karrt. Der Film erzählt vor allem diese Begegnung: Der Judenvernichter Adolf Hitler erhält Schauspielunterricht vom Juden Adolf Grünbaum. Eine bizarre Konstellation. Etwa wenn Grünbaum mit den Worten begrüßt wird, er möge die Endlösung doch bitte nicht persönlich nehmen. Und das Lagerleben sei besser als sein Ruf. Wenn Hitler den Juden anfleht:

    "Heilen Sie mich, wenn ich noch zu heilen bin."

    Und später, als Grünbaum zurück ins KZ soll, brüllt sein Schüler: "Ich will meinen Juden haben", denn "der Jud tut gut".

    Levy entlockt dieser Begegnung mit ihren schauspielerischen Übungen, mit Entspannungs- und Rhetoriktraining, viele komische Momente: Hitler im senfgelben Trainingsanzug, der über den Boden krabbelt und einen Hund imitiert; Hitler, der nachts ins Ehebett der Grünbaums kriecht; Hitler, der sich von Grünbaum mit einem Faustschlag zu Boden strecken lässt. Helge Schneider spielt das mit großem Ernst. Auch wenn er wie ein Kind flennt bei der Erinnerung an die Schikanen, die er in seiner Kindheit durch den Vater erdulden musste.

    Schneider spielt die geschundene Kreatur, die ihr Kindheitstrauma mit Krieg und Vernichtung rächt. Hitler ist mit Schneider durch Levy zu einem bemitleidungswürdigen Menschen auf Menschenmaß zu Recht gerückt worden. Er ist nicht mehr das unfassbar dämonisch Böse, die höllische Heimsuchung, sondern ein pathologischer Fall, von dem man gar nicht weiß, wie so ein armer Kerl hatte an die Macht kommen können.

    Auch Grünbaum ist ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ulrich Mühe spielt intelligent all die einander widerstrebenden emotionalen Kräfte in dieser Figur, die immer wieder versucht ist, Hitler zu meucheln. So wie es Mühe als Grünbaum gelingt, Hitler ein wenig zu heilen, so heilt Dani Levy mit seinem Film auch ein wenig unser deutsches Adolf-Trauma. Denn "ohne Liebe ist der Mensch ein Vakuum", wie Adolf es seiner Eva singt.

    Hitler singt an der Orgel: "Ohne Liebe ist der Mensch ein Vakuum. Ohne Liebe ist die Welt ein Loch."