Bücher über Adolf Hitler gab es 1978 schon in unübersehbarer Zahl. Gerade war ein viel beachteter Band aus der Feder des FAZ-Herausgebers Joachim Fest erschienen, 1200 Seiten stark – da erregte ein kleines Taschenbuch plötzlich alle Aufmerksamkeit: "Anmerkungen zu Hitler" von Sebastian Haffner. Ein knapper Essay, der die Politik des deutschen Diktators auf 200 Seiten betrachtete. Haffners Bilanz: Hitler war ein Menschheitsverbrecher und ein historischer Versager:
"Hitler hat nichts ausgerichtet. Sondern nur (aber immerhin) Ungeheuerliches angerichtet."
Haffner schrieb nicht als Ankläger, sondern als kühler, politischer Analytiker. In seinen Augen hatte Hitler schon 1938, ungeachtet aller Aufbauleistungen, den deutschen Staat zerstört. Der Machtapparat war zu einem ungeregelten Nebeneinander von Partei, Armee und SS degeneriert. Nur Hitlers Person hielt alles noch zusammen. Nach seinem Tode wäre das Land früher oder später im Chaos versunken. Aber Hitler war nun einmal kein Staatsmann.
"Über seine Lebenszeit hinauszudenken und vorzusorgen, weigerte er sich. Alles hatte durch ihn selbst zu geschehen. Damit aber setzte er sich unter einen Zeitdruck, der zu überstürzten und unsachgemäßen politischen Entscheidungen führen musste."
Beispielsweise im Jahre 1940. Deutschland hätte in jenem Sommer seine Vorherrschaft über Kontinentaleuropa absichern können – hätte es im Stil eines Bismarck halbwegs generöse Friedensangebote an die unterworfenen Länder gerichtet.
"Hitler verschenkte seinen Sieg über das besiegte und friedensbereite Frankreich und richtete stattdessen ein Friedensangebot an das unbesiegte und keineswegs friedensbereite England – ohne im übrigen auch nur irgendwelche Zugeständnisse in den Streitpunkten anzudeuten, die zum Krieg mit England geführt hatten."
Nur einer von etlichen Fehlern und Irrtümern des Diktators. Wohl bescheinigt ihm Haffner, Leistungen vollbracht zu haben: Etwa die wirtschaftliche Gesundung der 30er-Jahre. Und er habe viele Ziele erreicht: Hitler stürzte die Republik von Weimar, er wischte das europäische Friedenssystem von Versailles weg, schließlich überrannten seine Armeen Frankreich. Aber: All diese Erfolge errang Hitler über schwache Gegner.
"Was man ihm zugestehen muss, ist ein Instinkt dafür, was schon im Fallen, was schon im Sterben war, was nur noch auf den Gnadenschuss wartete – aber dieser Instinkt, zweifellos für einen Politiker eine nützliche Gabe, gleicht weniger dem Blick des Adlers als der Witterung des Geiers."
Hitlers Massenverbrechen waren in ihrer Dimension für Haffner so einmalig, dass er keine Worte über die Details verlor. Allerdings: Mit den Juden habe Hitler ausgerechnet jene Menschen hingemordet, die sich bis dahin in der Welt nicht als Feinde Deutschlands gezeigt hatten, sondern im Gegenteil als treue Freunde.
Hitlers Verbrechen, Hitlers Leistungen und Erfolge – mit ihrer Auflistung erregte Haffner in der damaligen Presse Aufsehen, und auch in der Fachwelt. Zwar reagierten manche Leser irritiert, dass hier auch von "Erfolgen" und "Leistungen" die Rede war. Aber die französischen "Etudes germaniques" nannten den Essay eines der anregendsten Bücher über Hitler. Und selbst das Periodikum der deutschen Historiker – die "Historische Zeitschrift" – widmete dem Buch zwei Jahre nach dessen Erscheinen volle fünf Seiten. Klaus Hildebrandt resümierte dort, Haffner habe zwar mitunter spekuliert, aber selbst das noch "außerordentlich diskussionswürdig".
Das Buch habe die Verfechter modischer Faschismustheorien wieder daran erinnert, wie wichtig die Person Hitler für die braune Diktatur gewesen sei. Auch indem Hitler viele Deutsche, die an sich keine in der Wolle gefärbten Nazis gewesen seien, für sich eingenommen habe. Nur zu gern verdrängten diese Menschen Hitlers Verbrechen – und auch das, was Haffner den "Verrat" nennt: Den berüchtigten Nero-Befehl von 1945 – den Vernichtungsplan gegen die deutsche Bevölkerung selbst.
"Tatsächlich war der Vorsatz Hitlers grausamer als der feindliche: Die feindlichen Armeen, jedenfalls die westlichen, waren ja nicht darauf aus die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, zu zerstören."
An diesem Punkt wandte sich Haffner an seine Zeitgenossen der späten 70er-Jahre. Genauer: An diejenigen, die in Zeiten von Kaltem Krieg und Teilung die deutsche Geschichte für beendet hielten. Wer das nun billige, so Haffner, der ahne gar nicht, wie sehr er damit – den letzten Willen Adolf Hitlers erfülle.
Michael Kuhlmann war das über Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. Das Buch ist in verschiedenen Ausgaben erhältlich, unter anderem in einer 192-seitigen Taschenbuchversion des Fischer-Verlags für 7 Euro 95.
"Hitler hat nichts ausgerichtet. Sondern nur (aber immerhin) Ungeheuerliches angerichtet."
Haffner schrieb nicht als Ankläger, sondern als kühler, politischer Analytiker. In seinen Augen hatte Hitler schon 1938, ungeachtet aller Aufbauleistungen, den deutschen Staat zerstört. Der Machtapparat war zu einem ungeregelten Nebeneinander von Partei, Armee und SS degeneriert. Nur Hitlers Person hielt alles noch zusammen. Nach seinem Tode wäre das Land früher oder später im Chaos versunken. Aber Hitler war nun einmal kein Staatsmann.
"Über seine Lebenszeit hinauszudenken und vorzusorgen, weigerte er sich. Alles hatte durch ihn selbst zu geschehen. Damit aber setzte er sich unter einen Zeitdruck, der zu überstürzten und unsachgemäßen politischen Entscheidungen führen musste."
Beispielsweise im Jahre 1940. Deutschland hätte in jenem Sommer seine Vorherrschaft über Kontinentaleuropa absichern können – hätte es im Stil eines Bismarck halbwegs generöse Friedensangebote an die unterworfenen Länder gerichtet.
"Hitler verschenkte seinen Sieg über das besiegte und friedensbereite Frankreich und richtete stattdessen ein Friedensangebot an das unbesiegte und keineswegs friedensbereite England – ohne im übrigen auch nur irgendwelche Zugeständnisse in den Streitpunkten anzudeuten, die zum Krieg mit England geführt hatten."
Nur einer von etlichen Fehlern und Irrtümern des Diktators. Wohl bescheinigt ihm Haffner, Leistungen vollbracht zu haben: Etwa die wirtschaftliche Gesundung der 30er-Jahre. Und er habe viele Ziele erreicht: Hitler stürzte die Republik von Weimar, er wischte das europäische Friedenssystem von Versailles weg, schließlich überrannten seine Armeen Frankreich. Aber: All diese Erfolge errang Hitler über schwache Gegner.
"Was man ihm zugestehen muss, ist ein Instinkt dafür, was schon im Fallen, was schon im Sterben war, was nur noch auf den Gnadenschuss wartete – aber dieser Instinkt, zweifellos für einen Politiker eine nützliche Gabe, gleicht weniger dem Blick des Adlers als der Witterung des Geiers."
Hitlers Massenverbrechen waren in ihrer Dimension für Haffner so einmalig, dass er keine Worte über die Details verlor. Allerdings: Mit den Juden habe Hitler ausgerechnet jene Menschen hingemordet, die sich bis dahin in der Welt nicht als Feinde Deutschlands gezeigt hatten, sondern im Gegenteil als treue Freunde.
Hitlers Verbrechen, Hitlers Leistungen und Erfolge – mit ihrer Auflistung erregte Haffner in der damaligen Presse Aufsehen, und auch in der Fachwelt. Zwar reagierten manche Leser irritiert, dass hier auch von "Erfolgen" und "Leistungen" die Rede war. Aber die französischen "Etudes germaniques" nannten den Essay eines der anregendsten Bücher über Hitler. Und selbst das Periodikum der deutschen Historiker – die "Historische Zeitschrift" – widmete dem Buch zwei Jahre nach dessen Erscheinen volle fünf Seiten. Klaus Hildebrandt resümierte dort, Haffner habe zwar mitunter spekuliert, aber selbst das noch "außerordentlich diskussionswürdig".
Das Buch habe die Verfechter modischer Faschismustheorien wieder daran erinnert, wie wichtig die Person Hitler für die braune Diktatur gewesen sei. Auch indem Hitler viele Deutsche, die an sich keine in der Wolle gefärbten Nazis gewesen seien, für sich eingenommen habe. Nur zu gern verdrängten diese Menschen Hitlers Verbrechen – und auch das, was Haffner den "Verrat" nennt: Den berüchtigten Nero-Befehl von 1945 – den Vernichtungsplan gegen die deutsche Bevölkerung selbst.
"Tatsächlich war der Vorsatz Hitlers grausamer als der feindliche: Die feindlichen Armeen, jedenfalls die westlichen, waren ja nicht darauf aus die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, zu zerstören."
An diesem Punkt wandte sich Haffner an seine Zeitgenossen der späten 70er-Jahre. Genauer: An diejenigen, die in Zeiten von Kaltem Krieg und Teilung die deutsche Geschichte für beendet hielten. Wer das nun billige, so Haffner, der ahne gar nicht, wie sehr er damit – den letzten Willen Adolf Hitlers erfülle.
Michael Kuhlmann war das über Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. Das Buch ist in verschiedenen Ausgaben erhältlich, unter anderem in einer 192-seitigen Taschenbuchversion des Fischer-Verlags für 7 Euro 95.