Stefan Koldehoff: "Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint! Deutschösterreich muss wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande, und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Nein, nein: Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich."
So beginnt das erste Kapitel von "Mein Kampf", jenem Buch, in dem Adolf Hitler schon ab 1924 sein politisches Programm ganz offen darlegte: mitsamt seinem Antisemitismus, der bald darauf zum Völkermord an den Juden führen sollte. Das angesehene Institut für Zeitgeschichte in München will - wenn 70 Jahre nach dem Selbstmord des Verfassers demnächst die Rechte frei werden - eine kommentierte Ausgabe des Nazi-Bestsellers veröffentlichen. Unterstützt wurde das Projekt vom Land Bayern - bis gestern jedenfalls. Da hat die bayerische Staatskanzlei nämlich das Ende der Kooperation verkündet. Und mehr noch: Wer "Mein Kampf" veröffentliche, hieß es zunächst, müsse mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung rechnen. Heute Nachmittag ist der Kultusminister in diesem Punkt aber zurückgerudert.
In Mexiko habe ich den Historiker und Hitler-Biografen Thomas Weber erreicht und ihn gefragt, was er von dieser Rückzugsentscheidung der Bayern hält.
Thomas Weber: Ich halte die Entscheidung für völlig falsch, und darüber hinaus hat die bayerische Staatsregierung auch nicht die Macht, zukünftige Publikationen nach 2016 zu unterbinden.
Thomas Weber: Ich halte die Entscheidung für völlig falsch, und darüber hinaus hat die bayerische Staatsregierung auch nicht die Macht, zukünftige Publikationen nach 2016 zu unterbinden.
Die deutsche Gesellschaft kann sich damit auseinandersetzen
Koldehoff: Man könnte ja nun auch sagen, es spricht einiges dafür: Dieses Buch hat einen volksverhetzenden Inhalt, es hat Fürchterliches angerichtet, oder jedenfalls angekündigt, was dann anschließend auch umgesetzt worden ist - nicht von Hitler allein, sondern vom gesamten deutschen Volk. Ist doch vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man das weiter im Giftschrank hält?
Weber: Das sehe ich anders. Natürlich ist es ein ganz schreckliches Buch, aber Deutschland hat eine sehr starke Zivilgesellschaft und meines Erachtens kann sich die deutsche Zivilgesellschaft damit genauso erfolgreich auseinandersetzen, wie es in Großbritannien, Kanada oder den USA der Fall ist.
Koldehoff: Ich bin vorhin mal ins Internet gegangen und über die einschlägigen Suchmaschinen bekommt man gleich vier Möglichkeiten, den Originaltext lesen zu können.
Weber: Ja ich glaube, das ist auch der Hauptgrund. Was man ja ganz legal bekommen kann ist Hitlers zweites Buch, das sind Hitlers Tischreden, das sind Hitlers normale Reden, sie werden alle verlegt und sind sowieso eigentlich viel besser in dem Sinne, dass sie viel schlagkräftiger sind. Die kann sich jeder jederzeit kaufen.
Koldehoff: Umgekehrt: Was wäre der Vorteil einer kommentierten Ausgabe und würde die überhaupt jemand lesen? Würde es demjenigen, der so ein Buch kauft, um die Kommentare gehen, oder würde der dann nicht auch nur den Originaltext kennen wollen?
Weber: Da gibt es beides. Ich persönlich meine, obwohl ich das Institut für Zeitgeschichte da sehr unterstütze, dass sie es herausbringen, dass es auch möglich sein sollte, das ohne Kommentierungen herauszubringen. Das funktioniert gut zum Beispiel in den USA. Von daher meine ich auch, dass die Zivilgesellschaft stark genug ist, mit einer nicht kommentierten Ausgabe umzugehen. Es wird natürlich auf jeden Fall eine schwierige Übergangsphase 2016 geben, wenn zum ersten Mal "Mein Kampf" wieder öffentlich verlegt wird und auf einmal in Bestsellerlisten auftaucht, und in dieser Übergangsphase, wenn da das Augenmerk eher auf der kommentierten Ausgabe liegt und dann auch einer inhaltlichen Auseinandersetzung, würde jenes Reißerische dem entzogen werden.
Weber: Das sehe ich anders. Natürlich ist es ein ganz schreckliches Buch, aber Deutschland hat eine sehr starke Zivilgesellschaft und meines Erachtens kann sich die deutsche Zivilgesellschaft damit genauso erfolgreich auseinandersetzen, wie es in Großbritannien, Kanada oder den USA der Fall ist.
Koldehoff: Ich bin vorhin mal ins Internet gegangen und über die einschlägigen Suchmaschinen bekommt man gleich vier Möglichkeiten, den Originaltext lesen zu können.
Weber: Ja ich glaube, das ist auch der Hauptgrund. Was man ja ganz legal bekommen kann ist Hitlers zweites Buch, das sind Hitlers Tischreden, das sind Hitlers normale Reden, sie werden alle verlegt und sind sowieso eigentlich viel besser in dem Sinne, dass sie viel schlagkräftiger sind. Die kann sich jeder jederzeit kaufen.
Koldehoff: Umgekehrt: Was wäre der Vorteil einer kommentierten Ausgabe und würde die überhaupt jemand lesen? Würde es demjenigen, der so ein Buch kauft, um die Kommentare gehen, oder würde der dann nicht auch nur den Originaltext kennen wollen?
Weber: Da gibt es beides. Ich persönlich meine, obwohl ich das Institut für Zeitgeschichte da sehr unterstütze, dass sie es herausbringen, dass es auch möglich sein sollte, das ohne Kommentierungen herauszubringen. Das funktioniert gut zum Beispiel in den USA. Von daher meine ich auch, dass die Zivilgesellschaft stark genug ist, mit einer nicht kommentierten Ausgabe umzugehen. Es wird natürlich auf jeden Fall eine schwierige Übergangsphase 2016 geben, wenn zum ersten Mal "Mein Kampf" wieder öffentlich verlegt wird und auf einmal in Bestsellerlisten auftaucht, und in dieser Übergangsphase, wenn da das Augenmerk eher auf der kommentierten Ausgabe liegt und dann auch einer inhaltlichen Auseinandersetzung, würde jenes Reißerische dem entzogen werden.
Ein dämonisierendes Buch
Koldehoff: Herr Weber, Sie werden das Buch nicht nur einmal gelesen, sondern systematisch wissenschaftlich durchgearbeitet haben. Verdient es die Dämonisierung, die da im Moment mit ihm geschieht?
Weber: Ich weiß nicht, ob es die Dämonisierung verdient. Auf jeden Fall ist es ein dämonisiertes Buch und ein weiteres Verbot würde diese Dämonisierung weiter forttreiben, denn letztlich freuen sich doch Neonazis, dass das Buch verboten ist oder nicht verlegt werden darf in Deutschland. Die Entscheidung, dass es nicht verlegt werden darf, läge darin, dass das Buch so gut sei, dass ansonsten die Demokratie in Deutschland zu Fall kommen würde und dass es deshalb in den Giftschrank gestellt würde, und durch eine Veröffentlichung würde doch ganz klar werden, dass die Zivilgesellschaft und die deutsche Politik da keine Sorge hat und allen Leuten bewusst ist, wie schlecht dieses Buch eigentlich ist.
Koldehoff: Wie kommt es denn, Herr Weber, dass man im Moment glaubt, so wahnsinnig viel moralisch entscheiden zu müssen im Hinblick auf den Nationalsozialismus? Vor zwei Jahren wurde ebenfalls in München die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt beschlagnahmt, ohne dass man diesem Mann bis heute auch nur einen juristischen Vorwurf machen kann. Das ganze wird mit der Möglichkeit begründet, da könne ja irgendwas mit NS-Raubkunst gewesen sein; wahrscheinlich war es auch so, nur justiziabel ist es nicht mehr. Nun in derselben Stadt die Entscheidung - und Sie sagen, auch das eigentlich ohne juristische Grundlage -, "Mein Kampf" darf nicht weiter veröffentlicht werden. Wo bleibt der Aufschrei der Wissenschaft an der Stelle?
Weber: Das frage ich mich auch ein bisschen. Ich glaube, dass insgesamt in den letzten Jahren sich die deutschen Wissenschaftler mehr und mehr zurückgezogen haben. Ich möchte hier kein goldenes Zeitalter der Wissenschaft kreieren, aber bis vor einigen Jahren gab es ja viele öffentliche Diskussionen, an denen sich Historiker und andere Geisteswissenschaftler beteiligt haben. Das scheint, vor fünf bis zehn Jahren von einem Tag auf den anderen ziemlich verschwunden zu sein. So ganz erklären, woran das liegt, kann ich auch nicht.
Koldehoff: Der Historiker Thomas Weber über die neue Diskussion über eine kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet mit einem Gesprächspartner in Mexiko, deswegen das Rauschen. Wir bitten um Entschuldigung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weber: Ich weiß nicht, ob es die Dämonisierung verdient. Auf jeden Fall ist es ein dämonisiertes Buch und ein weiteres Verbot würde diese Dämonisierung weiter forttreiben, denn letztlich freuen sich doch Neonazis, dass das Buch verboten ist oder nicht verlegt werden darf in Deutschland. Die Entscheidung, dass es nicht verlegt werden darf, läge darin, dass das Buch so gut sei, dass ansonsten die Demokratie in Deutschland zu Fall kommen würde und dass es deshalb in den Giftschrank gestellt würde, und durch eine Veröffentlichung würde doch ganz klar werden, dass die Zivilgesellschaft und die deutsche Politik da keine Sorge hat und allen Leuten bewusst ist, wie schlecht dieses Buch eigentlich ist.
Koldehoff: Wie kommt es denn, Herr Weber, dass man im Moment glaubt, so wahnsinnig viel moralisch entscheiden zu müssen im Hinblick auf den Nationalsozialismus? Vor zwei Jahren wurde ebenfalls in München die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt beschlagnahmt, ohne dass man diesem Mann bis heute auch nur einen juristischen Vorwurf machen kann. Das ganze wird mit der Möglichkeit begründet, da könne ja irgendwas mit NS-Raubkunst gewesen sein; wahrscheinlich war es auch so, nur justiziabel ist es nicht mehr. Nun in derselben Stadt die Entscheidung - und Sie sagen, auch das eigentlich ohne juristische Grundlage -, "Mein Kampf" darf nicht weiter veröffentlicht werden. Wo bleibt der Aufschrei der Wissenschaft an der Stelle?
Weber: Das frage ich mich auch ein bisschen. Ich glaube, dass insgesamt in den letzten Jahren sich die deutschen Wissenschaftler mehr und mehr zurückgezogen haben. Ich möchte hier kein goldenes Zeitalter der Wissenschaft kreieren, aber bis vor einigen Jahren gab es ja viele öffentliche Diskussionen, an denen sich Historiker und andere Geisteswissenschaftler beteiligt haben. Das scheint, vor fünf bis zehn Jahren von einem Tag auf den anderen ziemlich verschwunden zu sein. So ganz erklären, woran das liegt, kann ich auch nicht.
Koldehoff: Der Historiker Thomas Weber über die neue Diskussion über eine kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf". Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet mit einem Gesprächspartner in Mexiko, deswegen das Rauschen. Wir bitten um Entschuldigung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.