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Hitlers "Mein Kampf"
Die Sache mit der Neuauflage

Als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlags hat der Freistaat Bayern die Veröffentlichung von Hitlers "Mein Kampf" seit 1945 verboten. Zum Jahresende erlischt das Urheberrecht. Dass das Werk ab 2016 neu aufgelegt werden darf, sorgt für Diskussionen. Wäre es sinnvoller, "Mein Kampf" weiter unter Verschluss zu halten?

Von Henry Bernhard und Michael Watzke |
    Der Buchrücken von "Mein Kampf"
    "Das Buch zu verbieten würde es ja nur noch interessanter machen!", sagt der Historiker Matthias Kessler. (picture alliance / ZB - Jens Kalaene)
    "Siegt der Jude mithilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein ... "
    Proben zu dem Theaterstück "Adolf Hitler. Mein Kampf, Band 1 & 2". Vom Regieteam Rimini Protokoll. Uraufführung in diesen Tagen beim Kunstfest Weimar.
    "Du findest auch den folgenschweren Satz:
    'Und ich beschloss, Politiker zu werden'."
    Das derzeitige Interesse für Hitlers Werk hat einen handfesten Grund: Der Freistaat Bayern hat als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlags die Veröffentlichung des Buches in Deutschland seit 1945 verboten. Zum Jahresende erlischt das Urheberrecht, 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Ab 2016 ist eine Neuauflage möglich:
    "Das ist "Mein Kampf"."
    Matthias Kessler schlägt das leuchtend rote Buch mit den leicht vergilbten Seiten auf.
    "Man sieht auch hier: Hitler, Porträtfoto, versteckt hinter so einem schönen Raschelpapierchen."
    "Mein Kampf. Eine Abrechnung" steht auf dem Vorsatz des Buches."Das ist ein Abrechnungsblick, ein hypnotischer Blick, der einen in das Buch reinziehen soll. Dieser Mann ist ihr Schicksal! Das sagt dieses Bild für mich aus. Und das war ja dann auch so! Ein schreckliches Schicksal! Aus dem Eher-Verlag in München."
    "Das Buch ist wirklich einzigartig: Einzigartig grauenhaft"
    Der Historiker Matthias Kessler schreibt an einem Buch über Adolf Hitlers "Mein Kampf". Es heißt seinerseits "Eine Abrechnung" und handelt von der langen Wirkungsgeschichte des Buches.
    "Ich habe es wirklich gelesen: Seite für Seite für Seite. Das Buch ist wirklich einzigartig: Einzigartig grauenhaft. Es gibt in der ganzen Menschheitsgeschichte eigentlich kein Buch eines diktatorischen Herrschers, eines Tyrannen, eines Massenmörders, der in seinem Manifest "Mein Kampf" alles festlegt und nahezu alles beschreibt, was er später verwirklicht. Erschreckend!
    Ich war erschreckt, und ich war fasziniert und erschreckt zugleich, was Adolf Hitler in seinem Kapitel über Propaganda schon alles festlegt, was er weiß, mit welch bösartiger Energie er schon versteht, dieses Medium, also die Propaganda, zu nutzen für seine Zwecke."
    "Mein Kampf" ist wohl das bekannteste ungelesene Buch, zumindest in der Gegenwart. Zwar will es auch in der Zeit des Nationalsozialismus niemand gelesen haben, aber das ist ein Mythos, meint Kessler.
    "Das Buch ist brandgefährlich! Das Buch ist nicht schlecht geschrieben – es ist wirklich ein Unsinn, das zu behaupten. Das Buch ist aktuell, leider. Hitler hat die Eigenschaft, die Menschen in der sozialen Wirklichkeit abzuholen. Das kann er. Er hat eine Art, den Menschen, die das Buch lesen, Zustimmung abzuholen. Das macht er unglaublich geschickt. Ja – es ist ein Manifest!"
    Dennoch ist er der Meinung, dass es nichts nützt, "Mein Kampf" zu verbieten.
    "Das Buch zu verbieten würde es ja nur noch interessanter machen! Wo soll der Sinn darin liegen, das Buch zu verbieten, wenn es in der ganzen Welt gedruckt wird, sie es im Internet sowieso erhalten können; dann ist doch viel besser, das Buch zu besprechen, zu wissen, was drinsteht, um dann auch dementsprechend agieren zu können. Das Buch ist doch eine Bedienungsanleitung für aufkommenden Extremismus, für Faschismus! Da will ich doch lieber wissen: Was schreibt der denn? Wie macht der das? Wie geht der mit Sprache um?"
    Theaterprobe Rimini Protokoll
    "Keine Schamlosigkeit in irgendeiner Form, vor allem des kulturellen Lebens, an der nicht wenigstens ein Jude beteiligt gewesen wäre? Sowie man nur vorsichtig in eine solche Geschwulst hineinschnitt, fand man, wie die Made im faulenden Leibe, oft ganz geblendet vom plötzlichen Lichte, ein Jüdlein."
    "Das ist wieder Hitlers Bildsprache: Die Juden sind Ungeziefer, die Mitwelt ist die Bevölkerung, in der sie sich ausbreiten und Unheil anrichten.
    Das reicht!"
    Auf der Probe zu "Adolf Hitler. Mein Kampf" in Weimar. Die Darsteller versuchen, sich dem Buch anzunähern, lesen daraus, diskutieren darüber, versuchen, ihr Verhältnis zum Buch zu finden.
    Helgard Haug und Daniel Wetzel nennen sich "Rimini Protokoll", sie sind die Regisseure.
    Helgard Haug: "Im Januar 2016 ist Mein Kampf gemeinfrei; das heißt, die Urheberrechte laufen aus. Und es stellt sich die Frage völlig neu: Was macht man mit diesem Buch?"
    Daniel Wetzel: "Für uns geht es ja darum, reinzuschauen; es geht darum, worüber man überhaupt redet. Wohl wissend, dass das Hauptproblem eigentlich ein symbolisches ist. Das Buch selbst ist gar nicht so ein Skandal wie andere Bücher, die kein Skandal sind. Die Schriften von Goebbels sind dieses Jahr sogar noch eine gute Einnahmequelle! Die Reden Hitlers sind einfach verlegt. Also geht es um eine andere Empfindlichkeit."
    Die Inszenierung begann für Wetzel und Haug zunächst einmal mit der Suche nach Exemplaren von "Mein Kampf": Im Keller von Freunden, in Antiquariaten, in der Flughafenbuchhandlung im Libanon, beim Straßenhändler in Indien. Dann das Lesen: Ist es, wie immer wieder gern behauptet wird, unlesbar, schlecht geschrieben, verführerisch gefährlich?
    Daniel Wetzel:
    "Es ist auch aus einer anderen Zeit geschrieben. Bisschen verquast. Und dann ist es halt – der erste Teil insbesondere – wie eine Biografie aufgebaut, in der einer darlegt, wie er zu seinen Überzeugungen gekommen sei. Nimmt einen sozusagen mit auf eine Erlebnisreise des Werdens: Wie werde ich Antisemit und was sind meine unwiderlegbaren Gründe? Ich hab' versucht, mich dagegen zu wehren, aber es hat nicht geklappt. Insofern ist es teilweise auch sehr perfide gebaut"
    Kommentierte Edition von "Mein Kampf" heraus erscheint Anfang 2016
    In einem winzigen Büro in München. Zwischen meterhohen Regalwänden aus NS-Literatur rückt Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte Adolf Hitler zu Leibe.
    " ... wenn man mal wirklich dieses ganze ... puh ... diese ganze Geisterbahn durchgearbeitet hat."
    Die Geisterbahn ist Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf". Christian Hartmann nimmt die 1.000 Seiten des Originals seit drei Jahren auseinander. Wort für Wort.
    "Also unsere Ausgabe ist doppelt so groß. Das werden 2.000 Seiten. Es sind 3.700 Anmerkungen geworden. Wirklich eine ganze Menge."
    Anfang 2016 bringt das Institut für Zeitgeschichte, kurz IFZ, eine kommentierte Edition von "Mein Kampf" heraus. Auf Hartmanns Schreibtisch liegen gerade die frischen Druckfahnen der Ausgabe. Für den Deutschlandfunk macht der Historiker eine Ausnahme.
    "Eigentlich zeigen wir das ja noch nicht der Presse, aber ich beschreibe es Ihnen hier mal. Wir drucken das dann praktisch im originalen Seiten-Umbruch. Das entspricht Hitlers erster Auflage. Und hier sehen Sie unsere Fußnoten, die wir um diesen Text herumgruppieren. So dass Hitlers Behauptungen ohne unsere Gegendarstellung nicht zu haben sind."
    Die Anmerkungen der Wissenschaftler umzingeln Hitlers Schriften geradezu, von allen Seiten und aus allen Fachrichtungen. Militärgeschichte, Wirtschaftswissenschaften, sogar Japanologie.
    Christian Hartmann: "Japan ist für Hitler ein großes Thema. Da sieht er schon den künftigen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg. Es gibt aber viele weitere Themen, wo uns von außen geholfen wurde. Beispielsweise bei dem ganz großen Komplex Judaistik natürlich. Dann auch bei dem ganzen Bereich Humangenetik. Es geht ja sozusagen um die Rassenlehre und die Frage: wie kann man diese rassistischen Ideen widerlegen?"
    Hartmann und seine Kollegen machen es sich dabei nicht leicht. Ihre Kommentare sollen weder besserwisserisch noch allzu trocken wissenschaftlich klingen. Und wo Hitler Recht habe, müsse man ihm auch Recht geben.
    "Also nichts wäre falscher, als uns da immer in eine Gegenposition zu begeben. Im Grunde ist das ja das klassische demagogische Muster: dass ein Richtiges mit Falschem oder Halbwahrem vermischt wird. Und das macht sozusagen die Überzeugungskraft dieses Gebräus aus."
    In dem Stapel mit den Druckfahnen sucht Hartmann nach einem Beispiel – und findet es in Band 1 von "Mein Kampf", erschienen 1925.
    "Also wenn Hitler zum Beispiel sagt: 'Die Presse ist jüdisch dominiert', dann sagen wir: natürlich waren die Juden in der deutschen Presse überrepräsentiert. Wir sagen aber auch dazu, warum das so war: in der Staatsverwaltung und erst recht in der Armee hatten sie keine Chancen. Und deswegen sind sie natürlich massiert in die Medien gegangen."
    Hitlers argumentative Dialektik ist oft von plumper Schlichtheit. Etwa in der viel zitierten Passage: "Hausmaus geht zu Hausmaus. Feldmaus zu Feldmaus." Andererseits sei der sprachlich eher schwache Autor ein geschickter Propagandist, sagt Hartmann. Hitler verknüpfe sein persönliches Schicksal mit den Erfahrungen der Deutschen in den 20er-Jahren. Und er benutze abstruse Quellen. Wenn er zum Beispiel behauptet, die Juden versuchten, die beiden christlichen Kirchen gegeneinander auszuspielen.
    "Wir sind der Sache mal nachgegangen, und da gibt's dann im 19. Jahrhundert einen Roman, der heißt "Biarritz". Von einem ganz dubiosen Autor, der war bei der "Neuen Preußischen Kreuzzeitung" und wurde später verurteilt, weil er Wahlzettel gefälscht hatte. Und der hat sich eine Szene ausgedacht, dass auf dem Prager Judenfriedhof ein alter Rabbiner steht. Der gibt bei einer geheimen jüdischen Versammlung den Auftrag: "Ihr müsst die beiden christlichen Kirchen gegeneinander ausspielen, die zerfleischen sich dann, und wir übernehmen die Herrschaft!" Auf so einer Quelle beruht Hitlers Behauptung. Und so ist es am laufenden Band."
    Punkt für Punkt entlarven Hartmann und seine Kollegen Hitlers Kampfschrift. Ihre Kommentare sind erstaunlich unterhaltsam. Schließlich soll die kritische Edition des IFZ nicht nur Wissenschaftler erreichen, sondern ein breites Publikum. Auch in Weimar sucht man mit der Aufführung von "Mein Kampf" den öffentlichen Diskurs.
    Theaterprobe Rimini Protokoll:
    "Du denkst, dieses Buch ist von einem Mann geschrieben, der die Welt zerstört hat. Er hat es geschrieben, als er nichts hatte und dann Teil einer Bewegung wurde."
    "Okay, das ist hier, da habe ich eine Stelle gefunden ... "
    Auf der Bühne stehen keine Schauspieler, sondern "Experten des Alltags": Laiendarsteller, in deren Leben Hitlers Buch eine Rolle gespielt hat. Eine Anwältin, die es als Jugendliche gelesen und die ihr wichtigsten Stellen herausgeschrieben hat. Ein Israeli, der damit eine Lebenskrise überwunden hat ... ,
    "Das Buch hält mich gefangen, selbst nach 20 Jahren."
    ... ein Frankfurter mit türkischen Wurzeln, der "Mein Kampf" als Manga-Comic gelesen hat und seine eigene Situation darin wiederfand. Der Regisseur Daniel Wetzel:
    "Volkan ist derjenige, der innerhalb des Textes am meisten kämpft, weil er aus einem Diskurs kommt, in dem es dauernd darum geht, dass er nicht für einen Deutschen gehalten wird, er ist permanent diese Entdeutschung ausgesetzt. Und wenn der in "Mein Kampf" reinliest, dann schüttelt der ständig den Kopf und sagt, "Das ist ja genau das Gleiche!"
    Theaterprobe Rimini Protokoll:
    "Ich habe mal eine Nacht damit verbracht, mich von Hunderten – was heißt "Hunderten"? – Tausenden Nazis im Netz beschimpfen zu lassen. Mit zum Beispiel so Kommentaren wie, "Du laberst einen Scheiß, alle vergasen diese Untermenschen!", oder: "Das wird eine Sauerei, jeden einzelnen von diesen Kanaken aus dem Land zu prügeln!"
    Daniel Wetzel:
    "Mit ihm merken wir am meisten, wo es auch wehtut in dem Text. Er bringt so diesen Filter mit, und er schreit einfach "Aua! Schau Dir das an: genau das sagt der Sarrazin! Der sagt das ungestraft; und das hier soll verboten sein!?"
    "Gerade für Jugendliche hat das Verbotene ja durchaus einen Reiz"
    Das Luitpold-Gymnasium in München, gleich neben dem "Haus der Kunst", einem ehemaligen Nazi-Bauwerk. An diesem Gymnasium unterrichtet Studienrätin Dagmar Adrom Deutsch. In ihrem Unterricht lässt sie die Schüler der Mittelstufe Zitate von Adolf Hitler analysieren. Auch aus "Mein Kampf".
    "In der neunten Klasse bietet das der bayerische Lehrplan an. Da sind die Schüler 15 bis 16 und reif genug, weit genug in ihrer persönlichen Entwicklung, dass sie ernsthaft über so ein Thema diskutieren können. Meistens auch sehr interessiert, wie ich festgestellt habe."
    Dass die Schüler das Thema "Nationalsozialismus" nicht mehr hören könnten, wie oft behauptet wird, kann Deutsch-Lehrerin Adrom nicht bestätigen. Wichtig sei, in welcher Form man sich den braunen Texten nähere. Dazu seien auch Ausschnitte aus "Mein Kampf" geeignet. So könne man die Aura des Geheimnisvollen zerstören, die dieses Werk umgebe.
    "Weil der Text so lange verboten und nicht verfügbar war, ist sicherlich eine Mythisierung eingetreten. Gerade für Jugendliche hat das Verbotene ja durchaus einen Reiz. Da ist man besonders neugierig drauf."
    Auf die kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" des Instituts für Zeitgeschichte ist Adrom gespannt. Im Unterricht benutzt die Deutschlehrerin bisher Overhead-Folien und Handouts, die sie am Ende der Stunde wieder einsammeln kann.
    "Wenn man das anbietet, ist die Klasse oft ganz stumm. Man sieht betroffene Mienen. Meiner Erfahrung nach gehen die Schüler sehr vernünftig und sensibel damit um."
    Das bestätigt auch Ludwig Unger, der Pressesprecher des Bayerischen Kultusministeriums. Hier, beim Freistaat Bayern, liegen noch immer die Autorenrechte von Adolf Hitlers berühmt-berüchtigtem Werk. Bis zum 31.Dezember, 24 Uhr. Die Staatsregierung hatte ursprünglich geplant, das Institut für Zeitgeschichte in München bei der Erstellung einer kommentierten Edition von "Mein Kampf" zu unterstützen. Mit einer halben Million Euro. Doch dann vollzog Horst Seehofer eine Kehrtwende. Grund, so Unger, sei ein Staatsbesuch des bayerischen Ministerpräsidenten in Israel gewesen.
    Unger:
    "Nach Gesprächen dort mit Überlebenden, aber auch mit Angehörigen von Opfern nehmen wir davon Abstand, es institutionell zu fördern. Weil wir gespürt haben, wie groß die Vorbehalte und die Ängste der Betroffenen dort sind und automatisch ein Stück weit gedanklich die Linie gezogen wird: Staat damals zu Staat heute. Da ist kein Verständnis dafür da, dass der Staat sich in irgendeiner Form beteiligt an einem solchen Projekt."
    Die zugesagten 500.000 Euro an das Institut für Zeitgeschichte widmete der Freistaat Bayern um – in einen allgemeinen Zuschuss zur Erforschung des Nationalsozialismus. Deshalb möchte der Direktor des IFZ, Prof. Andreas Wirsching, auch nicht von staatlichem Gegenwind sprechen.
    "Es gab natürlich ein paar Friktionen und Irritationen, das lässt sich nicht leugnen, aber wir haben so eine Art Basis gefunden, wo man damit ganz gut umgehen konnte."
    Das IFZ wird die kommentierte Edition von "Mein Kampf" Anfang 2016 in einer Auflage von voraussichtlich rund 5.000 Exemplaren herausbringen. Auf eigene Kosten.
    "Wir geben das im Selbstverlag heraus, aus zwei Gründen: erstens wollen wir unbedingt alle Rechte behalten. Denn mit dem Text kann Schindluder betrieben werden, das ist gar keine Frage. Und zweitens, genauso wichtig: wir wollen vermeiden, dass irgendein Narrativ auch nur entsteht, dass mit diesem Werk private Profite erzielt werden."
    Geld verdienen mit "Mein Kampf" – das ist nicht nur für IFZ-Direktor Wirsching undenkbar. Auch Bernhard Kitzinger, Inhaber des traditionsreichsten Münchner Antiquariats, will sich nicht vorwerfen lassen, er mache Reibach mit Hitler.
    "Wenn ich aus irgendwelchen Nachlässen NS-Literatur bekomme, dann stelle ich eine sogenannte braune Kiste zusammen, und wenn die voll ist, dann melde ich mich beim NS-Dokumentationszentrum und schenke es denen."
    Das Antiquariat Kitzinger in der Münchner Schellingstraße eröffnete 1892, drei Jahre nach Hitlers Geburt. Der Führer ging in seiner Zeit in Schwabing regelmäßig an dem Geschäft vorbei. Damals erreichte "Mein Kampf" eine Auflage von zwölf Millionen Exemplaren. Es kostete zwölf Reichsmark. Hitler verdiente königlich daran. Heutzutage seien noch immer jede Menge Exemplare auf dem Markt, sagt Buchhändler Kitzinger.
    "Nur: Wenn es in die falschen Hände kommt, dann möchte ich nicht dafür verantwortlich sein, dass irgendjemand in eine Wehrsportgruppe eintritt oder vor einem Flüchtlingsheim rumgrölt. Da habe ich lieber nichts mit zu tun."
    "Mein Kampf" und die Verbreitung im Internet
    So halten es die meisten Antiquariate in München. Und wer die Originalausgabe von "Mein Kampf" verkauft, der verlangt Name, Unterschrift und den Grund des Kaufes. Im Internet dagegen kann man sich das braune Buch mit ein paar Mausklicks herunterladen. Dort, sagt Wissenschaftler Hartmann, könne "Mein Kampf" noch immer Wirkung entfalten.
    "Es gibt natürlich immer noch Leute, die sehr einfache Welterklärungen oder Weltdeutungen haben. Der Kapitalismus. Die Umweltverschmutzung. Da wird alles auf einen einzigen Punkt zurückgeführt. Der Wunsch des Menschen nach einfachen Welterklärungen oder Erlösungs-Ideologien, daran hat sich bis heute nichts geändert."
    In der öffentlichen Diskussion steht das Buch so ganz alleine da. Das ist, als ob man einen ganzen Wald abfällen würde, und dann steht da nur noch ein einziger Baum. Es war doch ein Buch unter sehr vielen.
    Das Regieduo Rimini Protokoll, Helgard Haug und Daniel Wetzel, testet mit der Weimarer Inszenierung den Umgang mit Hitlers "Mein Kampf" – eine Auseinandersetzung, die der deutschen Öffentlichkeit noch bevorsteht, wenn im kommenden Jahr die kommentierte Ausgabe erscheint.
    Daniel Wetzel
    "Mein Kampf ist nicht gefährlich!"
    Helgard Haug:
    "Nein, man kann das schon ... Gefährlich ist die Symbolkraft wiederum! Also, wenn ich das nutze, das in mein Bücherregal zu stellen und damit klarzumachen, 'Ich bin ein Nazi!', oder, 'Ich bin einverstanden mit dieser Ideologie!', dann ist es gefährlich, weil es dem Buch wieder eine Kraft gibt."
    Daniel Wetzel:
    "Ist es nicht wichtig, so einen Text anzuschauen, der für diese Emotion eine Architektur gebaut hat, der versucht hat, einmal das so umzubauen, dass genau dieser Mob-Logik so richtig der Fluss ermöglicht wird?"