Es ist ein ungewohntes Terrain für den Wasserwerfer P4 der Berliner Polizei. Der Dreiachser mit seinen vier Wasserkanonen zwängt sich auf die Greenwich-Promenade am Tegeler See, im Norden der Stadt. Hier in der noblen Villen- und Ausflugsgegend werden Steinewerfer, Anarchisten oder rechtsextreme Demonstranten selten gesichtet. Doch um die klassische Kundschaft zurückzudrängen, ist der Wasserwerfer ja heute auch nicht hier.
"Achtung, Achtung, hier spricht die Berliner Polizei. Im Rahmen der Amtshilfe fordern wir alle Bürger auf, die Rasenflächen umgehend zu verlassen. Insbesondere, die Familie, die mit ihrem Kind da auf der Rasenfläche verweilt. Bitte verlassen Sie jetzt umgehend die Rasenflächen, die Rasenflächen werden von den Wasserwerfen ... besprengt."
Die Rasenflächen an der Promenade sind braun, völlig vertrocknet, wie so viele in Berlin. Das Fahrzeug mit seinen martialisch gezackten Scheiben stellt seine Düsen von hart auf weich, richtet sie auf den Rasen – und beginnt selbigen zu sprengen.
Ein junger Mann in Muskelshirt und Badehose steht am Rand des Rasens, filmt das Geschehen begeistert mit seinem Handy: "Da ich mich sonst nicht bei Demonstrationen aufhalte und die ja da nur zum Einsatz kommen, ist das schon beeindruckend, was die für schöne Wasserwerferfahrzeuge haben. Jetzt ist es mal ein Einsatz, ohne dass irgendwelche Leute von Wasserfontänen weggepustet werden."
10.000 Liter für 15 Minuten
Nach einer Viertelstunde ist der 10.000-Liter-Tank auch schon leer, der Wasserwerfer schiebt sich die Promenade zurück, zum Nachtanken. Selbst am 1. Mai hält er länger durch als hier im Hitzeeinsatz.
"Wir machen solche Einsätze immer wieder mal, immer dann, wenn wir so extreme Hitze und Trockenperioden haben."
Carsten Müller, Sprecher der Berliner Polizei wischt sich den Schweiß von der Stirn, während er mir am Präsidium über Sinn und Zweck der Wasserwerfer-Zweckentfremdung erzählt.
"Unsere Wasserwerfer haben einfach den Vorteil, dass sie mit bis zu 10.000 Litern betankt werden können. Man kann mit den Vorrichtungen sprengen, man kann es sehr großflächig machen. Von daher sind die Einsatzmöglichkeiten für diesen doch nicht ganz polizeitypischen Zweck doch sehr vielfältig."
Ansonsten kann er kaum von hitzebedingten Sondereinsätzen berichten - auch in Woche zwei mit Temperaturen von deutlich über 30 Grad würden nicht viel mehr Berliner Ärger machen, Durchdrehen oder ihre Mitbürger mit Lärm belästigen als sonst.
"Ob die eine oder andere Körperverletzung, Schlägerei, Auseinandersetzung jetzt auf die extreme Hitze zurückzuführen ist - eindeutig kann man das nicht belegen."
Verständnis füreinander haben
Was Müller und seine Kollegen allerdings schon beobachten: Eine manchmal etwas aggressivere Fahrweise auf den Straßen Berlins.
"Was mir wichtig ist in diesen Tagen, dass wir einfach ein bisschen mehr Geduld aufbringen müssen. Nehmen wir das Beispiel als Autofahrer: Wenn die Klimaanlage nicht mehr das bringt, was sie scheinbar bringen soll und man ganz schnell nach Hause will. Dass man dann das Verständnis aufbringt, dass es vielen Autofahrern genauso geht. Wenn man dann so ein bisschen verständnisvoller als sonst miteinander umgeht, dann sollte es auch klappen."
Fünf Kilometer weiter südöstlich, in Neukölln. Mit Helm, dicker Arbeitshose und schweren Sicherheitsschuhen steht Vorarbeiter Mehmet Bekir am Rande eines Lochs. Er beaufsichtigt seine Kollegen, die Stahlseile in einen 30 Meter tiefen Betonkanal manövrieren.
"Wir verarbeiten Eisen, bei 35 Grad, ist wirklich schwer. Das Stahl ist so heiß, kannst du nicht anfassen."
2023 soll hier die Berliner Stadtautobahn entlangführen, die Verlängerung der A100.
"Da unten bei der Bodenplatte - gestern war es 60 Grad. Oben geht’s schon, aber wir müssen weiter unten arbeiten, weißt du, da gibt es keine Luft."
Normalerweise fangen sie hier um 7:00 Uhr an, seit es hier Tag für Tag weit über 30 Grad warm wird, legen Bekir und seine bulgarischen Kollegen schon um halb sechs los. Einige seiner Arbeiter hätten gestern schon die Segel gestrichen.
"Tja, schon welche sind abgehauen!"
Die baumbesorgten Bürger
Christian Hönig zeigt in die Krone einer Eiche am Rand des Landwehrkanals in Kreuzberg. Das Abendlicht scheint durch das lichte Blattwerk.
"Man sieht’s eigentlich hier in der ganzen Straße, die Blätter werden dünn, man kann überall durch die Krone schauen. Da ist ein kompletter Ast trocken. Da sieht man, all den Bäumen fehlt einfach das Wasser. Da vorne ist auch schon ein toter Baum. Es ist gerade echt knapp."
Hönig ist Förster, beim Berliner BUND ist er für den Baumschutz zuständig. Seit es hier so ungewöhnlich heiß ist, kann er sich vor Anfragen von baumbesorgten Bürgern kaum retten. Denn dass es den Bäumen in Berlin schlecht geht, sieht jeder, vor allem die Eichen sehen aus wie sonst Ende September.
"Vor allem die Bäume direkt an den Straßen haben da ein großes Problem, die haben nur dieses kleine Fleckchen Erde in dem sie stehen 1,50 mal 1,50 mal 1,50 das reicht für einen ausgewachsenen Baum nicht, dass er da seine Wurzeln ausbreiten kann und viel Wasser ziehen kann. In der Stadt wirkt sich die Hitze besonders schlimm aus, weil die ganzen Steinmassen, der Asphalt, der Beton in den Häusern, der heizt sich auf und gibt die Hitze über Nacht wieder langsam ab."
Zeit auf dem Wasser
Hönig und seine Kollegen haben deshalb vor zwei Wochen die Berliner aufgerufen, die Straßenbäume zu gießen. Als Nothilfe quasi.
Einmal die Woche acht bis zehn Eimer Wasser draufgeben, dann hat der Baum genug, dass er sich versorgen kann. Am Müggelsee Rande Berlins wässern sich die Berliner selbst. Die Abendsonne flirrt auf den sanften Wellen. Auch noch um halb acht liegen hier Hitzeflüchtlinge aus der Stadt Handtuch an Handtuch - oder stehen einfach im Wasser rum. Anne Stein zieht gerade ein Gummiboot in Form eines Einhorns aus dem See.
"Wir kommen aus Lichtenberg hierher, die halbe Stunde nehmen wir in Kauf. Wir sind meistens immer auf dem Wasser, von daher haben wir unsere Ruhe."
Die 27-Jährige kommt fast jeden Abend nach der Arbeit hierhin. Zu heiß in Berlin? Anne Stein schüttelt den Kopf, legt sich aufs Handtuch und blinzelt in die Abendsonne.
"Es ist seit Mai durchgängig einfach nur schön, die paar Regentage waren in Ordnung, die Ernte ist eh hin - also im Winter viele Überstunden ansammeln, damit man im Sommer die Zeit genießen kann."