Wozu Hitzestress führen kann, konnten die Zuschauer schon bei der Copa America beobachten: Am Ende der ersten Halbzeit kollabierte Schiedsrichter-Assistent Humberto Panjoj (Sprich Panchoch) am Rande des Spielfelds. Das Stadion von Kansas City hatte sich auf 34 Grad Celsius aufgeheizt – hinzu kamen eine hohe Luftfeuchtigkeit und direkte Sonneneinstrahlung. Die Nacht verbrachte Panjoj im Krankenhaus, konnte am nächsten Tag aber entlassen werden. Solche Zwischenfälle könnten bei der kommenden WM häufiger auftreten, sagt Peter Bröde, einer der Autoren der nun im Fachmagazin Scientific Reports erschienenen Studie. Denn in ihrer Untersuchung haben die Forschenden berechnet: Die gefühlte Temperatur für die Sportler könnte an einigen Spielorten 49,5 Grad Celsius erreichen.
„Bei 49,5 Grad Celsius haben wir festgestellt, ist der Kipppunkt, wo dann diese Wärmebelastung nicht mehr tolerierbar ist, sondern intolerierbar wird. Das heißt, ab dem Punkt steigt die Körpertemperatur trotz erhöhter Schweißproduktion immer weiter an auf Werte nahe 40 Grad über 40 Grad - was irgendwann dazu führt, dass entweder die Leistung runtergefahren werden muss vom Athleten selbst. Einfach weil es für ihn nicht mehr erträglich ist. Oder halt eben, wenn das nicht passiert, auf Grund zum Beispiel einer entsprechende Motivationslage, einem Weltmeisterschafts-Spiel, könnte es dann auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen.“
Gerade bei einem Weltmeisterspiel bestehe die Gefahr, dass Fußballer ihre Kräfte überschätzen und dann womöglich kollabieren. Auch das Risiko für Thrombosen, also Blutgerinsel und Herzinfarkte steigt. Um das zu verhindern, haben die Forschenden die klimatischen Bedingungen in den Stadien ermittelt, in denen die WM Spiele stattfinden sollen. Denn nicht nur die Temperatur, sondern auch die Luftfeuchtigkeit und die Höhenlage des Austragungsortes spielen eine Rolle. All diese Umstände haben einen Einfluss darauf, wie gut der Körper mit Hitzestress umgehen kann.
Luftfeuchtigkeit und Höhe als zusätzliche Stress-Faktoren
Bei hoher Luftfeuchtigkeit beispielsweise kann weniger Schweiß auf der Hautoberfläche verdunsten, was den Kühleffekt verringert. Liegt ein Stadion in großer Höhe – so wie das Aztekenstadion in Mexico, in dem das Eröffnungsspiel stattfinden wird, setzt das den Körper zusätzlich unter Stress. Denn in der Höhe enthält die Luft anteilig weniger Sauerstoff, den die Muskeln für ihre Arbeit brauchen. Zusätzlich berechneten die Forschenden die Wärmeentwicklung im Körper der Sportler, indem sie den Effekt der Kleidung und die Muskelarbeit ermittelten. All diese Daten haben Peter Bröde vom Leibniz Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund und sein Team in ihre Berechnungen einfließen lassen:
„Und da sieht man eben deutliche geografische Abhängigkeiten. Das heißt, die Spielorte, die näher am Äquator liegen, auch durch die dort herrschende höhere Luftfeuchtigkeit: Bei denen tritt eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, dass aus dem Hitzestress ein nicht tolerierbarer Hitzestress wird, der eben vom Spieler nicht mehr kompensiert werden kann. Und wir nehmen das eben als Indikator dafür an diesen Spielorten - das waren im Süden der USA, Houston und Arlington und in Monterrey in Mexiko - dort verstärkt verstärkt darauf zu achten, dass die Spieler vernünftig rehydriert werden.“
Eine Möglichkeit, den Hitzestress in diesen Stadien zu kompensieren, sind Spielunterbrechungen für Trinkpausen. Bei Hochleistungssportlern spielt aber auch die Vorgeschichte eine Rolle. Wird ihr Körper zu oft an seine Grenzen gebracht - beispielsweise durch sehr intensive Trainings oder vorangegangene Meisterschaften - kann er Stress weniger gut tolerieren.
Events auch im Sinne der Sportler vorbereiten
„Das heißt (...) auch ein Augenmerk dafür zu haben, dass vorangegangene Belastungen entsprechend durch Erholzeiten und Erholungsmaßnahmen abgeglichen werden. Dass vermieden wird, dass der Körper mit entsprechenden Entzündungsherden ins nächste Spiel geht. Auch dies könnte die Empfindlichkeit gegenüber solchen Hitze-Beanspruchungen erhöhen.“
Ganz grundsätzlich sollte die FIFA aber darüber nachdenken, die Spiele möglichst in die Abendstunden zu verlegen, um der Mittagshitze zu entkommen. Oder alternativ Europa- oder Weltmeisterschaften nicht im Sommer, sondern in kühleren Jahreszeiten stattfinden lassen, sagt Peter Bröde. So wie die Olympischen Spiele in Tokyo 1964, die damals extra in den Herbst verlegt wurden. Von dieser Idee werden aber sowohl die Veranstalter als auch die Zuschauer wenig begeistert sein, gibt der Forscher selbst zu Bedenken. Deshalb sei es umso wichtiger, Mega-Sport-Events wie die WM 2026 in Zeiten des Klimawandels auch im Sinne der Sportler vorzubereiten.
„Man wird das also nach meiner Einschätzung schon immer häufiger erleben, dass solche Veranstaltungen eben unter Klimabedingungen stattfinden, von denen man vor Jahren noch geglaubt hätte, das würde so nicht durchgeführt. Es gab ja in diesem Jahr in den USA die Copa America. Da wurde durchaus auch in der Presse registriert, dass es da ein oder zwei entsprechende Vorfälle auf dem Feld gegeben hat. Dass ein Spieler einen Schwächeanfall hatte oder sogar kollabiert ist, aufgrund der Bedingungen auf dem Spielfeld. Und da kann man nur auf ein Einsehen der Verantwortlichen hoffen, dass bei der Ansetzung solcher Partien dann nicht nur auf eine möglichst weitreichende Fernseh-Berichterstattung geschaut wird, sondern eben auch die Gesundheit der Spieler nicht aus dem Blick verloren wird.“
Zuschauer weniger fit und damit gefährdet
Das gelte aber auch für die Fans, sagte Thessa Beck, Klima- und Gesundheitsforscherin bei ISGlobal gegenüber der britischen Tageszeitung „The Guardian“. Viele von ihnen seien ältere Erwachsene, kleine Kinder oder Personen mit Vorerkrankungen. Zwar müssen sie nicht wie die Spieler bei brütender Hitze über den Platz rennen . Aber ihr Körper reagiere empfindlicher, sagt Peter Bröde.
"Die Zuschauer haben eben gegenüber dem Athleten in der Regel den Nachteil, dass sie nicht so gut trainiert sind. Das heißt, die erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit von Athleten hilft ihnen natürlich, diese Wärmbeanspruchung besser bewältigen zu können."
Denn wer körperlich fit ist, produziert schneller und mehr Schweiß. Und das kühlt den Körper.