In Indien leiden derzeit Millionen Bewohner weiterhin unter einer frühen Hitzewelle mit Temperaturen von teils über 45 Grad Celsius. Nordwest- und Zentralindien haben dabei den heißesten April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 122 Jahren erlebt, so der Leiter des indischen Wetterdienstes, Mrutyunjay Mohapatra. Normalerweise gilt der Mai als der heißeste Monat des Jahres. Wissenschaftler führen die zunehmenden und intensiveren Hitzewellen auf den Klimawandel zurück. Seit 2010 starben in Indien mehr als 6.500 Menschen an Hitze-Folgen.
Stefan Rahmstorf ist Ozeanograph und Klimatologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, unter anderem mit dem Schwerpunkt Klimaänderungen in der Erdgeschichte. Hitzerekorde wie im März und im April in Indien trieben die Sterblichkeit deutlich in die Höhe, sagte Rahmstorf im Deutschlandfunk. Zudem verursachten sie häufig Ernteausfälle, wie beispielsweise nun beim Weizen, was die Getreidepreise weltweit erhöhe. Hitzewellen führten überdies zunehmend zu verheerenden Waldbränden, wie in den vergangenen Jahren in Australien, Kalifornien und Sibirien. Dies treibe wiederum die Erderwärmung weiter voran.
Die Folgen der Erderwärmung würden mit jedem Zehntel Grad schlimmer, so der Klimatologe. Denn auch die Risiken, bestimmte Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten – also Kontinentaleismassen zu destabilisieren oder ein Ökosystem wie den Amazonaswald zum Kippen zu bringen –, stiegen mit jedem Zehntel Grad Erwärmung.
Die Folgen der Erderwärmung würden mit jedem Zehntel Grad schlimmer, so der Klimatologe. Denn auch die Risiken, bestimmte Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten – also Kontinentaleismassen zu destabilisieren oder ein Ökosystem wie den Amazonaswald zum Kippen zu bringen –, stiegen mit jedem Zehntel Grad Erwärmung.
Kathrin Kühn: Wie ist die Lage in Indien und warum ist die Lage in Indien mit Blick auf die Folgen quasi beispielhaft ist für das, wovor der Weltklimarat nicht erst in seinem aktuellen Bericht warnt?
Stefan Rahmstorf: In den letzten Tagen wurden ja maximal 43 bis 46 Grad erreicht – und das, nachdem schon der März der heißeste seit Messbeginn in Indien war. Auch der April war in Nordwestindien und Zentralindien der heißeste seit Messbeginn. Das ist natürlich in einem Kontext, wo, wenn man die weltweiten Daten analysiert, heutzutage achtmal so viele monatliche Hitzerekorde auftreten, wie das in einem stabilen Klima zu erwarten wäre. Das heißt, von acht solchen Rekorden wäre einer durch Zufall auch passiert, sieben sind hinzugekommen durch die Erderhitzung.
„Hitzewellen treiben Sterblichkeit deutlich in die Höhe“
Kühn: Jaipur, gestern 44 Grad. Könnten Sie einmal schildern, was es für die Menschen in Indien heißt, über einen solchen Zeitraum solche Temperaturen zu ertragen, auch bei der Luftfeuchtigkeit, die es da in der Region gibt. Was macht das mit Menschen?
Rahmstorf: Es macht einen natürlich extrem schlapp. Ich habe das selber mal erlebt bei 42 Grad, als ich als Gastprofessor in Sydney war, da konnte ich kaum noch die Straße lang laufen, geschweige denn draußen im Freien arbeiten auf den Feldern oder so. Und medizinisch gesehen wissen wir ja, dass solche Hitzewellen tödlich sind, also die Sterblichkeit ganz deutlich in die Höhe treiben. Ich erinnere mal an den sogenannten Jahrhundertsommer 2003 bei uns, der europaweit 70.000 Hitzetote gekostet hat. Und die Sterblichkeit in Frankreich hat da das höchste Maximum seit 50 Jahren erreicht, auch deutlich höher als durch Corona übrigens.
„Ernteausfälle wegen Hitze beeinflussen Getreidepreise weltweit“
Kühn: Wer zum Beispiel regelmäßig auf die Berichte des Weltklimarats schaut, für den schrillen bei jedem solchem Einzelereignis, das jetzt häufiger kommt, die Warnglocken. Warum?
Rahmstorf: Ja, es geht bei dieser Hitze natürlich nicht nur um die Sterblichkeit, sondern auch noch weitere Auswirkungen, die solche Hitze hat. Meistens ist das mit Ernteausfällen verbunden, das wird in Indien jetzt auch erwartet, das war ja zum Beispiel bei der Hitzewelle in Russland 2010 auch der Fall. Russland hat ja damals Getreideexporte eingestellt deswegen, wegen der Ernteausfälle. Und das beeinflusst dann die Getreidepreise weltweit, was auch wiederum gerade die ärmeren Menschen natürlich betrifft, wenn einfach die Brotpreise steigen, ist das für viele Menschen ja schon eine Katastrophe.
Kühn: Wenn Sie die Ernte ansprechen, der Ausfall liegt ja daran, dass es jetzt viel, viel trockener auch ist. Trockenheit hat ja auch Folgen – über das hinaus, was vor Ort für die Menschen passiert. Welche Folgen hat das für das Klima?
Rahmstorf: Die Trockenheit trocknet natürlich die Böden aus, auch die Vegetation, führt vermehrt zu Bränden, auch das ist ja in Indien bereits der Fall, und führt dazu, dass es dann, wenn noch wieder so eine Hitzewelle kommt, noch heißer werden kann, weil solange noch Bodenfeuchte da ist, die Verdunstung ja auch die Temperaturen kühlt, und im Moment sieht es ja so aus, als würde auch noch mindestens eine Woche, vielleicht sogar zwei Wochen die Hitze in Indien und Pakistan sogar noch weitergehen.
Kühn: Das hat ja auch Folgen für zum Beispiel Bäume, jetzt habe ich gelesen oder weiß von einer riesigen Baumpflanzaktion mit größerer Aufmerksamkeit vor einigen Jahren gegen den Klimawandel in Indien, Millionen junge Bäume. Dann kommt so eine Hitzephase, dann war es das aber vielleicht auch schon wieder mit den Bäumen?
Rahmstorf: Ja, das ist der Nachteil an solchen Pflanzungen. Es ist zwar schön, Bäume zu pflanzen, die speichern den Kohlenstoff, aber der ist dort eben lange nicht so sicher weggeschlossen wie in den Erdöl- und Kohlevorräten, sondern wenn der Klimawandel voranschreitet, können neu angepflanzte Baumbestände natürlich auch leicht abbrennen. Und das passiert ja bereits, wir sehen ja zunehmende Waldbrände, wir haben ja in Australien, in Kalifornien, in Sibirien extreme Waldbrände in den letzten Jahren erlebt.
Kühn: Und letztlich führt so etwas dann dazu, dass die CO2-Konzentration weiter noch zunimmt anstatt zu sinken.
Rahmstorf: Richtig.
Mit Photovoltaikanlagen gäbe es weniger Stromausfall-Probleme
Kühn: Und dann? Was machen Menschen, wenn es heißt wird? Freitag hatte Indien wohl den höchsten Energieverbrauch, den es je gab, die Menschen haben sehr, sehr viel gebraucht für Klimaanlagen, aber auch bestimmte andere Dinge brauchen in Hitze ja mehr Energie, mehr Strom. Welche Folgen hat das, wie fatal ist das?
Rahmstorf: Ja, das heizt natürlich den Klimawandel weiter an, aber vor allem kann es auch die Stromnetze überlasten. Jetzt akut haben ja schon zwei indische Bundesstaaten die Stromversorgung beschränkt. Und wenn es eben zu größeren Stromausfällen kommt, dann sitzen auf einmal viele Menschen ohne Klimaanlage in dieser Hitzewelle. Das erhöht natürlich nochmal wieder die Gesundheitsgefahren einer solchen Hitzewelle. Da muss man aber sagen, wenn man vermehrt auf Photovoltaik setzt, das passt dann relativ gut zusammen, weil dann ist auch die Stromproduktion von Photovoltaikanlagen ja maximal, wenn eine solche Hitzewelle herrscht, gerade tagsüber über die Mittagsstunden hätte man nicht so diese Probleme wie jetzt, wo in Indien eben noch sehr viel Kohle verbrannt wird.
Kühn: Ein Grund mehr also für ein Umsteuern, aber Indien ist eben in der Bredouille, dass vor allem noch mit fossilen Energieträgern gearbeitet wird. Ein Zitat, das ich von Ihnen gelesen habe, ist, dass jedes Zehntel Grad, um das wir es schaffen, den weltweiten Temperaturanstieg zu begrenzen, wichtig ist. Warum?
Rahmstorf: Ja, weil die Folgen mit jedem Zehntel Grad schlimmer werden und weil auch die Risiken, bestimmte Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten, also Kontinentaleismassen zu destabilisieren oder tatsächlich ein Ökosystem wie den Amazonaswald zum Kippen zu bringen, dass das großflächig abbrennt, diese Risiken steigen eben mit jedem Zehntel Grad Erwärmung.
Kühn: Sähe die Lage vielleicht anders aus, wenn die Menschen in reichen Ländern wie hier in Deutschland oder vielleicht auch in den USA schon selbst mehr von den Folgen so hautnah erleben und aushalten müssten?
Rahmstorf: Ich glaube, die Menschen in den reichen Ländern wachen inzwischen schon auf, weil sie eben merken, sie sind doch nicht immun, sondern verwundbar. Wir haben das im Ahrtal gesehen, wir hätten es aber auch nach der Elbe-Flut 2002 ja schon gelernt haben können, als Dresden unter Wasser stand. Aber die Menschen vergessen das dann leider immer wieder viel zu schnell.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.