Medizinern des Universitätsklinikums Düsseldorf ist es gelungen, einen krebskranken HIV-Patienten mithilfe einer Stammzelltherapie zu heilen. Nach dem „Berliner Patienten“ und dem „Londoner Patienten“ ist der „Düsseldorfer Patient“ der dritte Mensch, bei dem diese Methode erfolgreich war und dessen Fall wissenschaftlich publiziert wurde. Darüber berichten die Ärzte im Fachblatt „Nature Medicine“.
- Wie wurde der Düsseldorfer Patient behandelt?
- Was war das Besondere an der Behandlung?
- Welche Erfolge gibt es mit dem Verfahren?
- Könnten auch HIV-Infizierte ohne Krebs mit der Methode behandelt werden?
- Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für HIV-Patienten?
- Wie entwickelt sich die Zahl der HIV-Infektionen?
Wie wurde der Düsseldorfer Patient behandelt?
Nach der HIV-Infektion im Jahr 2008 wurde bei dem „Düsseldorfer Patienten“ 2011 Leukämie diagnostiziert. Zwei Jahre später erhielt er eine Stammzelltransplantation. Dabei stand zunächst seine lebensbedrohliche Blutkrebserkrankung im Vordergrund: Erst nachdem die Chemotherapie allein nicht geholfen hatte, setzten die Ärzte auf eine Stammzelltherapie. Die Heilung von HIV war so etwas wie der glückliche Nebeneffekt einer gelungenen Krebsbehandlung.
Was war das Besondere an der Behandlung?
Die Ärzte suchten einen passenden Spender – in diesem Fall fanden sie eine Spenderin – bei dem die Zellen eine genetische Besonderheit aufwiesen: eine Mutation namens CCR5-Delta32. Statistisch gesehen besitzt einer von 100 Menschen diese Genvariante.
Bei dieser Variante fehlt eine Andockstelle für HIV auf den Immunzellen, der sogenannte CCR5-Co-Rezeptor. Ohne eine solche Andockstelle findet das Virus keine Eintrittspforte und kann die Zellen nicht infizieren, was Träger der Mutation nahezu resistent gegen den Erreger macht. Bildlich ausgedrückt ist der Türknauf an der Tür abmontiert, durch die das Virus normalerweise in die Zellen eindringt.
Mit der Stammzellspende bekam der Düsseldorfer Patient ein neues Immunsystem, das sein altes, krankes ersetzte. Mit zwei Effekten: Das neue Immunsystem räumte letzte verbliebene Krebszellen ab und spürte auch Zellen auf, in denen sich HIV versteckt hatte – sogenannte Virus-Reservoire. Nach sechs Jahren wagten es die Mediziner dann, bei dem Patienten die HIV-Medikamente abzusetzen. Die Infektion kam nicht wieder zurück. Der heute 53 Jahre alte Mann gilt als geheilt.
Welche Erfolge gibt es mit dem Verfahren?
Das Verfahren geht allerdings längst nicht immer gut aus: Es sind etwa 50 Versuche dokumentiert, Krebs und HIV gleichzeitig zu heilen. Aber nur bei drei Versuchen hat es nachweislich funktioniert. Zwei weitere Fälle wurden auf Kongressen vorgestellt, darunter 2022 eine „New Yorker Patientin“, die eine Stammzelltherapie mit Nabelschnurblut erhielt. Aber in der Mehrzahl war die Behandlung nicht erfolgreich: Patienten überlebten sie nicht, oder der Krebs kam zurück. Oder das Virus kam nach Absetzung der HIV-Medikamente zurück.
Könnten auch HIV-Infizierte ohne Krebs mit der Methode behandelt werden?
Eine solche Therapie ist derzeit nur für wenige Patienten möglich: Zum einen, weil die Zahl geeigneter Spender mit der Mutation so gering ist. Zum anderen, weil eine Stammzelltransplantation aufgrund der vielen Risiken nur im Rahmen der Behandlung anderer lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Krebs eingesetzt werden kann. HIV-positive Menschen, die ansonsten gesund sind, würde man so nicht behandeln.
Die neue Studie zeigt dennoch Möglichkeiten auf, künftig auch HIV-Infizierte ohne Krebs durch Transplantation genveränderter Stammzellen zu behandeln. Das hofft jedenfalls das Düsseldorfer Forscherteam. Es geht darum, einzelne Elemente des Verfahrens zu nutzen – zum Beispiel, indem man ein neues Immunsystem schafft, das unempfindlich ist für HIV.
Zellen des Immunsystems lassen sich heute bereits genetisch manipulieren. Bei HIV würde die Mutation beispielsweise durch den Einsatz von Genscheren wie CRISPR/Cas eingefügt und mit Strategien kombiniert, welche die HIV-Reservoire im Körper reduzieren. Der Türknauf, den das Virus braucht, um in die Zellen hineinzukommen, lässt sich also abschrauben. Erste Versuche gab es bereits. Dabei ging es zunächst um den Nachweis, dass es keine ungünstigen Nebenwirkungen gibt.
Das Problem ist aber, dass man bei diesem Verfahren mindestens die Hälfte der Blutstammzellen im Körper genetisch manipulieren müsste. Das funktioniert in der Praxis noch nicht.
Eine andere Idee: Man versucht, die ruhenden, schlafenden HI-Viren unschädlich zu machen, von denen die Gefahr ausgeht, dass die Infektion jederzeit wieder aufflammen kann. Dazu müssen diese Viren „geweckt“ werden, damit Medikamente sie angreifen können. Bisher gibt es allerdings noch keine zuverlässigen „molekularen Wecker“. Diejenigen, die ausprobiert wurden, funktionierten nicht gut genug – sie aktivierten auch Immunzellen, in denen kein Virus schlummerte.
An beiden Ansätzen wird weiter geforscht. Eine schnelle Lösung wird es aber voraussichtlich nicht geben.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für HIV-Patienten?
Bedeutete eine Infektion mit dem HI-Virus in den 1980er-Jahren häufig noch das Todesurteil, steht HIV-positiven Menschen heute eine wirksame Therapie zur Verfügung: mit antiretroviralen Medikamenten. Diese sind nach Angaben des Mediziners Norbert Brockmeyer „hervorragend verträglich“ und bei über 95 Prozent der Behandelten wirksam. Sie können damit bei guter Lebensqualität genauso alt werden wie Nicht-HIV-Infizierte. Und sind - das sei der "Clou" dabei, so Brockmeyer - auch nicht mehr infektiös. Die Virusmenge im Blut ist dann so gering, dass HIV nicht mehr nachweisbar ist. Patienten müssen in der Regel täglich 1-2 Tabletten nehmen und alle drei Monate zu einer Kontrolluntersuchung gehen.
Doch unbehandelt sei HIV immer noch eine „zu hundert Prozent tödliche Krankheit“, warnt der Arzt Christoph Benn. Eine Infektion schädigt oder zerstört bestimmte Zellen der Immunabwehr und kann zu AIDS führen. Menschen mit dem „Erworbenen Immunschwächesyndrom“ erkranken dann häufig an Lungenentzündungen und Pilzerkrankungen.
Wie entwickelt sich die Zahl der HIV-Infektionen?
AIDS ist nach den Worten des Mediziners Benn eine Krankheit, „die immer noch unserer Aufmerksamkeit bedarf“. Zuletzt konzentrierte sich alles auf die Corona-Pandemie. Doch weltweit sind mehr als 38 Millionen Menschen mit HIV infiziert, jährlich wächst diese Zahl um 1,5 Millionen.
Insbesondere nehmen Neuinfektionen in den bevölkerungsreichsten Regionen der Welt, in Asien und dem Pazifikraum, zu. Wo sie zuvor rückläufig waren, im östlichen und südlichen Afrika, habe sich der Fortschritt der letzten Jahre deutlich verlangsamt, so die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung.
In Deutschland infizierten sich 2021 schätzungsweise 1.800 Menschen neu mit HIV und damit laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) etwa so viele wie im Vorjahr. Die Zahl sei so niedrig wie zuletzt vor zwei Jahrzehnten. Allerdings könnte wegen der Pandemie weniger auf HIV getestet worden sein. Unabhängig davon seien die Fallzahlen aber „immer noch zu hoch“, erklärte RKI-Chef Lothar Wieler.
Quellen: Martin Winkelheide, Deutschlandradio, dpa, epd, Deutsche Aidshilfe, Bundesgesundheitsministerium, RKI