Archiv

HIV-Infektionen
"Diese Menschen müssen begleitet werden"

Der HIV-Experte Norbert Brockmeyer hält den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, HIV-Prophylaxe zur Kassenleistung zu machen, für sinnvoll. Derzeit gebe es bis zu 14.000 Menschen mit einer HIV-Infektion, die nichts davon wüssten, sagte er im Dlf.

Norbert Brockmeyer im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Ein Arzt nimmt am 15.11.2016 in Berlin bei der Berliner Aids-Hilfe e.v. an dem Finger eines jungen Mannes Blut ab.
    HIV-Schnelltest bei der Berliner Aids-Hilfe e.v. (dpa/picture alliance/ Britta Pedersen)
    Jörg Münchenberg: Bei der Bekämpfung von Aids gibt es auch aus medizinischer Sicht große Fortschritte. Trotzdem bleiben die Zahlen alarmierend: Allein im letzten Jahr starben weltweit rund 940.000 Menschen an den Folgen von HIV. Die Suche nach einem Impfstoff, sie bleibt damit die größte Herausforderung, auch ein zentrales Thema auf der heute beginnenden Internationalen Aids-Konferenz in Amsterdam. – Am Telefon ist jetzt Professor Norbert Brockmeyer von der Universität Bochum. Herr Brockmeyer, einen schönen guten Morgen!
    Norbert Brockmeyer: Einen wunderschönen guten Morgen.
    Münchenberg: Herr Brockmeyer, Aids hat ja lange Zeit die Schlagzeilen bestimmt. Heute ist das nicht mehr der Fall. Liegt das, würden Sie sagen, an den medizinischen Erfolgen beim Kampf gegen die Immunschwäche, oder ist das Thema letztlich einfach verdrängt worden?
    Brockmeyer: Es liegt sowohl an den großen medizinischen Erfolgen, von denen wir in den westlichen Ländern vor allem profitieren, aber auch zunehmend immer mehr in Afrika. Es liegt aber auch daran, dass das Thema verdrängt wird, und dies finde ich zunehmend, was dann auch wieder dazu führt, dass wir mehr Ausgrenzung, mehr Stigmatisierung von HIV-Infizierten sehen.
    "HIV ist zu einer chronischen Erkrankung geworden"
    Münchenberg: Vielleicht noch mal zur Klärung. Was bedeutet heute eine HIV-Positiv-Diagnose für einen Erkrankten in Deutschland beziehungsweise Europa?
    Brockmeyer: Es bedeutet, dass bei einer dann direkt einsetzenden Antiretroviralen Therapie, also Therapie gegen HIV, eine Lebenserwartung erreicht werden kann, die entsprechend der nicht HIV-infizierten Bevölkerung ist. Und das zeigt: HIV ist zu einer chronischen Erkrankung geworden. Und was noch viel bedeutender ist: Menschen, die so therapiert werden, sind auch nicht mehr infektiös. Das heißt, sie können wirklich befreit von diesem Banner HIV durchs Leben gehen, und das sind die großen Erfolge, die wir in den letzten 20 Jahren erzielt haben.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite bleibt es dabei: Aids ist bislang nicht heilbar.
    Brockmeyer: HIV und damit Aids, das Virus ist nicht aus dem Körper eliminierbar, und das wird auch die nächsten 30, 40 Jahre sicher nicht so sein. Deshalb setzen wir und müssen wir auf die Impfung setzen zur Verhütung von HIV-Infektionen.
    Münchenberg: Trotzdem hofft man ja auf einen Impfstoff, dass man sich gar nicht mehr mit HIV infizieren kann. Wann wird es so etwas geben?
    Brockmeyer: Es gibt jetzt, wie ich finde, sehr, sehr gute Ansätze. Impfstoffe werden gerade in Afrika getestet. Einer ist jetzt auch in der Testung bei Menschen und ein anderer ist jetzt gerade an Affen getestet worden mit sehr, sehr guten Ergebnissen, dass man vielleicht mit einem Impfschutz in der Größe von zwei Dritteln der Geimpften rechnen kann. Aber das dauert auch noch einige Jahre. Wir sind aber auf einem recht, recht guten Weg. Wir haben – das muss man klar sehen – von den Misserfolgen, die wir immer hatten in den letzten 20 Jahren gelernt und sind dadurch jetzt auch weitergekommen, und das ist das Entscheidende.
    "Wenn die Menschen begleitet werden, beraten werden, dann ist es hoch erfolgreich"
    Münchenberg: Nun hat ja der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angekündigt, die HIV-Prophylaxe zur Kassenleistung machen zu wollen. Erst mal ganz grundsätzlich: Ist das ein guter Schritt?
    Brockmeyer: Das ist ein sehr guter Schritt. Wir müssen sehen, dass wir immer noch 13, 14.000 Menschen haben mit einer HIV-Infektion, die von ihrer Infektion nichts wissen. Wir haben jedes Jahr 30 Prozent bei den Neuinfizierten, die eine sehr, sehr späte Diagnose haben. Bei uns im Zentrum liegt die Rate sogar bei 50 Prozent. Das zeigt, wir erreichen deutlich mehr Menschen hier bei uns im Zentrum in Bochum, so dass die Rate der Spätdiagnosen bei uns deutlich hoch ist und wir hoffen, sie ein bisschen mit abbauen zu können.
    Münchenberg: Aber auch aus medizinischer Sicht: Was bringt diese Prophylaxe und wiegt das nicht vielleicht in eine gefährliche Sicherheit auch diejenigen, die das nutzen?
    Brockmeyer: Nein! Was die HIV-Infektionen anbetrifft: Das sind ja dann zwei Wirkstoffe, die sonst auch gegen HIV eingesetzt werden. Wenn die Menschen diese Tabletten regelmäßig nehmen, ist das ein nahezu 99-prozentiger Schutz, oder noch höher sogar bei und gegen HIV. Das heißt, das ist auch medizinisch mehr als sinnvoll. Es ist auch ökonomisch sinnvoll. Und was bedeutend ist – und das sehen wir auch hier bei uns im Zentrum ganz, ganz eindeutig: Diese Menschen müssen begleitet werden. Es muss immer wieder auf die Wichtigkeit der Einnahme hingewiesen werden. Es muss auf Nebenwirkungen hingewiesen werden. Es muss auf mögliche andere sexuell übertragbare Infektionen hingewiesen werden, die natürlich dadurch nicht verhindert werden. Aber wir bekommen damit auf einmal eine Gruppe Menschen auch wieder in das medizinische System und damit auch können wir Schutzmaßnahmen, Therapiemaßnahmen Menschen anbieten, die wir lange nicht erreicht haben. Das ist ein zusätzlicher hervorragender Erfolg dieser Kampagne Präexpositions-Prophylaxe für Menschen mit einem sehr, sehr hohen Risiko, und das zeigen auch Daten. In Amerika wird das jetzt schon seit sechs Jahren praktiziert. Das zeigen Daten aus Amerika. Wenn die Menschen begleitet werden, beraten werden, dann ist es hoch erfolgreich, nicht nur gegen HIV, sondern auch, was andere sexuell übertragbare Infektionen anbetrifft.
    "Da wo Kriegssituationen sind, da explodieren die HIV-Neuinfektionszahlen"
    Münchenberg: Nun gibt es ja nicht nur gute Nachrichten. Gerade in Osteuropa, aber auch in Teilen Asiens steigen die Zahlen mit HIV-Neuinfektionen teilweise rapide wieder an. Woran liegt das?
    Brockmeyer: Da können wir auch einmal nach Deutschland schauen. Warum sind wir in Deutschland so erfolgreich gewesen und haben die niedrigste HIV-Infektionsrate weltweit? – Weil wir zivilgesellschaftlich sehr offen, liberal diese Infektion immer begleitet und behandelt haben. Die haben die Menschen angenommen. Und überall, wo diese Offenheit, diese Liberalität nicht vorhanden ist, und das ist insbesondere in Russland, das ist in der Ukraine und natürlich überall, auch in Afrika sehen wir eine Zunahme, da wo Kriegssituationen sind, da explodieren die HIV-Neuinfektionszahlen. Und man kann diesen Erfolg, dass man offen mit diesen Menschen umgehen muss, dass man sie annehmen muss, nicht ausgrenzen, nicht wie Tiere behandelt, das kann man hervorragend in China sehen. China hatte eine sehr ausgrenzende Politik auch bis zum Jahre 2000 mit sehr steigenden Zahlen. Dann hat China die Politik um 180 Grad geändert. Sie haben die Therapie für alle zur Verfügung gestellt. Sie haben ein sehr offenes Vorgehen gemacht. Und seitdem sind in China die HIV-Infektionsraten dramatisch nach unten gegangen.
    Der deutsche Ansatz ist erfolgreich. Er ist auch kopierbar für alle anderen Länder. Nur man muss den Mut haben, nicht die Leute auszugrenzen, nicht die Leute in Gefängnisse zu stecken, sondern man muss den Mut haben, sie offen anzunehmen, und dann wird man erfolgreich sein. Das Prinzip gilt nicht nur für HIV; das gilt für alles andere auch.
    Münchenberg: Nun sind ja trotzdem auch vor allem Frauen von der Ansteckung betroffen, häufig auch als Folge sexueller häuslicher Gewalt. So haben es die Vereinten Nationen dargestellt. Da muss man sagen, da hilft natürlich auch eine bessere Aufklärung nicht.
    Brockmeyer: Doch! Die Aufklärung darf natürlich nicht bei sexuell übertragbaren Infektionen Halt machen, sondern die Aufklärung muss eine insgesamt sexuell liberalisierende Aufklärung sein. Auch da müssen wir in Deutschland noch ein bisschen was tun. Wir müssen Sexualität wieder mehr in den Fokus nehmen, das Schweigen über Sexualität und das Tabu Sexualität muss abgebaut werden. Dann gehen Menschen einfach auch vorsichtiger mit ihrem Körper um. Dadurch verhindern wir keine Vergewaltigung, aber ich glaube am Ende doch auch wieder, weil dann die Menschen, die vergewaltigen, auch darüber beginnen nachzudenken, was Sexualität ist und wie man Sexualität eigentlich leben sollte.
    Münchenberg: Die Einschätzung des HIV-Experten Norbert Brockmeyer von der Universität Bochum. Herr Brockmeyer, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Brockmeyer: Ganz herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.