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Hochbegabten-Förderung
"Bei Klassenstärke und Lehrer-Ausbildung gibt es viel zu tun"

Jutta Kocke von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind hat die 125-Millionen-Euro-Investition des Bundes in die Hochbegabten-Förderung begrüßt. Im internationalen Vergleich liege Deutschland in diesem Bereich nur im hinteren Mittelfeld, sagte Kocke im Dlf.

Jutta Kocke im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Schüler des Landesgymnasiums für Hochbegabte arbeiten in Schwäbisch Gmünd (Baden-Württemberg) im Schülerzentrum. Das Landesgymnasium für Hochbegabte.
    Schüler des Landesgymnasiums für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd: Begabung auch als Geschenk sehen (Franziska Kraufmann / dpa)
    Stefan Heinlein: In vielen Köpfen hat es einen festen Platz, das Bild vom Klavier spielenden Wunderkind, das am Mittagstisch Quantenphysik diskutiert, abends dann Schopenhauer liest und schon früh die Karriereleiter erklimmt. Tatsächlich jedoch haben es viele leistungsstarke oder hochbegabte Kinder und Jugendliche häufig besonders schwer. Ständig unterfordert werden sie zum Störenfried im Klassenzimmer oder als Streber und Besserwisser von den Mitschülern in die Ecke gestellt.
    Mit einer gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern sollen jetzt diese besonders leistungsfähigen Schülerinnen und Schüler unterstützt und gefördert werden. Viele Millionen Euro sollen in die klugen Köpfe investiert werden. Heute wird diese Initiative in Berlin vom Bundesbildungsministerium vorgestellt. In den Ländern hat man damit zum Teil bereits angefangen, zum Beispiel an der Real- und Fachoberschule Birkenfeld in Rheinland-Pfalz.
    Mitgehört hat Jutta Kocke vom Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind. Guten Morgen, Frau Kocke.
    Jutta Kocke: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: 125 Millionen Euro künftig für leistungsstarke Kinder und Jugendliche. Warum ist das gut investiertes Geld?
    Kocke: Weil die Sichtweise von den Lehrern nicht nur auf die hochbegabten Kinder gelenkt wird, sondern letztendlich auch die stärken- und begabungsorientierten Blicke für alle Kinder nützen.
    Probleme der Eltern in der Kommunikation mit den Schulen
    Heinlein: Ziel dieser Initiative des Bundesbildungsministeriums ist ja, die schulischen Entwicklungsmöglichkeiten von begabten Schülern im Regelunterricht zu verbessern. Ist das aus Ihrer Sicht erfolgversprechend?
    Kocke: Wir finden das von der DGhK sogar ganz eminent wichtig, denn die Verankerung in der Ausbildung und im Studium für Pädagogen, dass man stärken- und leistungsorientiert auch gucken darf und kann, das ist ganz wichtig für die Kinder, denn die Eltern haben immer wieder auch mit Problemen in der Kommunikation mit den Schulen zu sprechen, und ich denke, das ist genau das, was wichtig wäre, dass auch die Kinder mit Möglichkeiten gesehen werden.
    Heinlein: Was sind diese Probleme in der Kommunikation zwischen Eltern und Schule?
    Kocke: Das ist ganz vielfältig, je nachdem was es ist, wie das Kind sich gerade in der Schule gibt. Es gibt Eltern, die brauchen Unterstützung, um ihre Kinder in ihren Begabungen zu fördern, gesehen zu werden, weil sie aus Schichten kommen oder mit Bildungshintergründen hinterlegt sind, die nicht unbedingt jetzt für die Kinder sehr förderlich sind. Genauso gibt es aber auch viele andere Familien, die neidisch auf mögliche Begabungen gucken, weil ihre Kinder damit ihren Augen nach abgestempelt werden können, und das ist ganz wichtig, dass man hier Kommunikation einführt und Begabungen als Geschenk auch sehen kann.
    "Bildungspolitik kann in vielen Bereichen verbessert werden"
    Heinlein: Stichwort Neid, Frau Kocke. Wenn der Lehrer im Unterricht sich um die ein, zwei Überflieger, um die Leistungsstarken kümmert, muss er dann nicht die anderen zwangsläufig vernachlässigen und verliert vielleicht die Schwachen aus dem Blick?
    Kocke: Die Bildungspolitik als solches kann sicherlich in vielen Bereichen noch ein bisschen verbessert werden. Den Blick zu verlieren für das eine Kind, weil ein anderes gerade im Blick ist, das ist in jeder Richtung leider Gottes immer noch ein Fakt, und deswegen sind auch wir dafür, dass es in dem Bereich, was die Klassenstärken angeht oder die Ausbildung der Pädagogen, noch vieles zu tun gibt. Von daher begrüßen wir diese neue Initiative der Bundespolitik.
    Heinlein: Wie fördert man denn leistungsstarke Kinder im Unterricht? Gibt man ihnen einfach schwierigere Aufgaben?
    Kocke: Wichtig ist, dass die Anerkennung einfach erst mal da ist, dass es Kinder gibt, die unterschiedlich leisten können. Dieses schnellere und autonome Lernen von begabten Kindern muss zwangsläufig auch dann dazu führen können, dass es individuelle Arbeitsbögen zum Beispiel im Unterricht gibt, dass nicht alle Kinder zur gleichen Zeit das gleiche Thema bearbeiten mit dem gleichen Niveau, sondern in unterschiedlichen Niveaus. So kommen alle in den Genuss, ihre Fähigkeiten auszuprobieren und zu zeigen.
    Heinlein: Macht sich dann ein Kind damit nicht automatisch zum Außenseiter, zum Streber, zum Besserwisser, der in der Klassengemeinschaft nicht mehr zurecht kommt?
    Kocke: Prinzipiell halte ich persönlich nach etwas zu streben für sehr positiv.
    Heinlein: Aber ob die Mitschüler das auch so positiv sehen, ist die nächste Frage.
    Kocke: Das ist die andere Frage, ganz genau. – Nein! Ich denke, wenn es normal ist, dass Kinder unterschiedlich sind, der eine schnell laufen kann, der andere schön malen kann, dann muss auch ein anderes Denkvermögen völlig normal angesehen werden können.
    Heinlein: Warum können denn diese leistungsstarken Kinder nicht einfach eine Klasse überspringen und dann sind sie wieder gefordert?
    Kocke: Das kann man hier und da machen. Manchmal wird das auch noch als Weg genommen. Aber viel schöner ist es doch, wenn man mit denen, mit denen man eingeschult wird, durch die Schule gehen kann, Freunde finden kann und trotzdem seine Begabungen ausleben dürfte.
    Anstrengungsbereitschaft immer wieder herausfordern
    Heinlein: Aber es ist doch auch schön, wenn man im Unterricht alles schon kann, dann eine Menge Zeit hat, andere Dinge zu machen, und am Nachmittag dann Geige lernt und am Abend dicke Bücher liest.
    Kocke: Ja, das ist das Klischee. Aber nein, das trifft auf die wenigsten hochbegabten Kinder so zu. – Nein! Eine Leistungsfähigkeit ist ja nur dann gegeben, wenn auch die Anstrengungsbereitschaft immer wieder herausgefordert wird, wenn man immer knapp oberhalb der eigenen Leistungsfähigkeit Aufgaben bekommt und sich daran wagt und ein gutes Erlebnis hat, wenn man auch Erfolg damit hat. Wenn man immer wieder dieselben Sachen macht auf dem gleichen Niveau, dann fehlt das.
    Heinlein: Sie vertreten, Frau Kocke, die Gesellschaft für das hochbegabte Kind. Aus Ihrer Sicht, aus Sicht Ihrer Gesellschaft, war Elitenförderung, die Förderung von besonders leistungsstarken oder hochbegabten Kindern und Jugendlichen, bisher in Deutschland eher verpönt und man hat sich nur auf den leistungsschwachen Teil konzentriert?
    Kocke: Wir sind generell gegen den Ausdruck der Elite. Das hat einen bei vielen Menschen immer noch schlechten Beigeschmack. Wir wollen den ganzen Menschen sehen. Und ja, es ist wichtig, dass man Kinder oder generell den Menschen so annehmen kann wie er ist und dass man mit Begabungen durchaus auch was Positives für die gesamte Gesellschaft herausholen kann. Das zu sehen und jetzt auch zu implementieren in der Schule, in der Kita, das ist ein wichtiger Punkt, finden wir.
    Heinlein: Wo steht denn Deutschland bei der Förderung leistungsstarker Kinder im internationalen Vergleich?
    Kocke: Eher im unteren Mittelfeld.
    Leistungsgedanke in Asien ein anderer
    Heinlein: Wer macht es denn besser als Deutschland?
    Kocke: Was den Pisa-Vergleich angeht, würde ich jetzt mal aus meiner Perspektive sagen, dass die asiatischen Länder durchaus besser abschneiden. Aber dass dort unbedingt alle Kinder begabter sind als in Deutschland, wage ich jetzt mal zu bezweifeln. Da ist der Leistungsgedanke ein ganz anderer. Von daher ist es schwierig zu vergleichen.
    Heinlein: Leistungsdruck wie in Südkorea und anderen asiatischen Ländern erzeugt nicht unbedingt leistungsstarke Kinder?
    Kocke: Nein! Nein, nein! Das ist ein Potenzial, was in dem Menschen drinsteckt, wenn er geboren wird. Was davon rauskommt, das entscheiden dann quasi die Umgebung, die Eltern, die Schule, welches Potenzial sich wirklich gut entfalten kann.
    Heinlein: Was können denn Eltern unternehmen, um ihre leistungsstarken Kinder zu unterstützen, vielleicht auch außerhalb der Schule?
    Kocke: Wichtig ist, dass man erst mal sieht, dass die Kinder sich etwas anders entwickeln, dass sie vielleicht schneller voranschreiten in manchen Dingen und nicht unbedingt Spiele spielen müssen, worauf die Altersangaben stimmt, sondern dass man dem Kind auch zugesteht, sich etwas auszuprobieren an etwas, was man generell älteren Kindern erst zusprechen würde. Oder auch ganz wichtig, dass diese Kinder auch Kinder treffen, die so sind wie sie, aber nicht nur im kognitiven Bereich, im Denkvermögen, sondern auch der sozial-emotionalen Schiene.
    Heinlein: Fördern und fordern?
    Kocke: Ganz genau.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen Jutta Kocke vom Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kocke: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.