Flink wickelt die Verpackerin Helena einen Weinkarton in graues Geschenkpapier ein und bindet auch noch eine große weiße Schleife herum. Schon zum zweiten Mal ist sie in dem riesigen Logistikzentrum am Rande der Autobahn A 61 als Saisonkraft fürs Weihnachtsgeschäft unter Vertrag.
"Oktober bis Ende Dezember. Für mich bis Ende Dezember. Ich bin nur ein kleiner Mensch hier. Wenn bleiben, dann bleibe ich. Wenn Nein, dann muss ich gehen. Tut mir leid."
Insgesamt 1.600 Saisonarbeiter verstärken zurzeit die Amazon-Belegschaft in den Koblenzer Lagerhallen. Sie sind damit fast genauso stark wie die Gruppe der 1.700 Dauerbeschäftigten. Manche hier werden sogar nur für das große Finale im Dezember angestellt, wenn auf den letzten Drücker die Weihnachtsgeschenke online geordert werden.
Arbeiter aus 87 Nationen machen die Pakete versandbereit
Alles wird in der Lagerhalle per Hand ausgepackt, in Regale sortiert und wieder zum Abtransport herausgeholt. Von Menschen aus 87 Nationen und für etwas mehr als 10 Euro Stundenlohn. Maximal steigt der Lohn nach zwei Jahren auf 12,36 Euro, mehr gibt es nicht. Standortleiter in Koblenz ist Nikolai Lisac. Er geht mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und in grüner Warnweste durch die Regalreihen und stoppt zwischen Schneeketten, Pampers-Windeln und Weinflaschen:
"Hier liegt ein Produkt wirklich nicht sortiert, für den ersten Blick erst mal unlogisch, warum man beispielsweise das Proteinpulver neben den Spielzeugpuppen stehen hat. Das Prinzip der chaotischen Lagerhaltung funktioniert so, dass der Kommissionierer, oder derjenige, der einlagert, selbst entscheidet: Dort, wo Platz ist, wird die Ware eingelagert."
Das spart einen kompletten Arbeitsgang, nämlich die Auftragserteilung, wohin die angelieferte Ware zur Zwischenlagerung kommt. Bei einem Verpackungsgewicht von mehr als 15 Kilogramm ist am Standort Koblenz Schluss - Schwereres rollt hier nicht über die Förderbänder. Umgerechnet 17 Fußballfelder groß ist die Lagerfläche. Es gibt kaum Tageslicht, dafür ist es aber angenehm warm.
Leistungskontrollen und Überwachung: Verdi beklagt schlechte Arbeitsbedingungen
Typisch amerikanisch an diesem Arbeitgeber sind die vielen Überwachungskameras und Sicherheitswarnungen: die Halle nur mit Warnweste betreten, beim Treppensteigen immer eine Hand am Geländer führen, den Mülleimer nur an einem speziell markierten Bereich deponieren. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi beklagt die aus ihrer Sicht schlechten Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigen litten unter unzumutbarer Arbeitshetze, Leistungskontrollen und Gesundheitsbelastungen. In den letzten Wochen gab es mehrere Streikaktionen. Der Projektsekretär von verdi, Marko Bärschneider, hat sie organisiert. Und auch eine Mitarbeiterbefragung in Koblenz durchgeführt:
"Dass die ständige Leistungskontrolle und Überwachung als belastend empfunden wird. Da haben 81 Prozent der Befragten geantwortet, dass sie sagen, ja, hier ist eine Belastung da. Es macht krank. Als ich das allererste Mal hier aufgeschlagen bin und bin das allererste Mal zu Amazon hier rein gegangen. Und sah da oben ähnlich wie beim Flughafen die Sicherheitskontrolle, da hab ich mich gefragt: Für was? Wir sind doch hier nicht bei Fort Knox. In nahezu jedem Gang befindet sich irgendwo eine Überwachungskamera. Ich denke, dass das die Menschen einschüchtert und auch Angst macht."
Mehr als eine halbe Millionen Versandeinheiten an Spitzentagen
Amazon hat aber nach eigenen Angaben keine Probleme, genügend Mitarbeiter und Saisonkräfte zu finden. Die Mitarbeiter absolvieren ihre langen Strecken in hohem Schritttempo. Für Frank, der lieber nur seinen Vornamen nennen möchte, ist es schon die zweite Weihnachtssaison, die er mitmacht – auch er befristet bis zum 31. Dezember. Manchmal kommt er mit seinem Handwagen noch an Regalen vorbei, bei denen er kurz stutzt:
"Also, ich wundere mich schon, was es hier alles gibt. Gartenzwerg von Hoffenheim, dass so was hier ist. Bayern München kann ich ja kapieren, ist jede Menge da. Aber von Hoffenheim ein Gartenzwerg, der steht hier im Regal."
Vielleicht ein typischer Weihnachtsartikel. An Spitzentagen gehen insgesamt mehr als eine halbe Million Einheiten von Koblenz aus in den Versand. Allerdings landen immer öfter auch ganz normale Lebensmittel in den Pappkartons - wie zum Beispiel Mehl in Tüten. Wenn dieser Trend anhält, dann braucht der Online-Riese bald auch mehr Aus- und Einpacker fürs ganze Jahr in seinen Versandhallen.