"Scharnhorst-Zentrum. Umsteigemöglichkeiten zu den Buslinien. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts!". Diese Ansage in der Stadtbahnlinie U 42 wirkt auf manche Menschen in Dortmund fast wie eine Bedrohung. Ältere Frauen drücken die Handtasche noch ein wenig fester an den Körper; jüngere kontrollieren instinktiv den Sitz ihres Handys. Soweit das eine Bild von Dortmund-Scharnhorst, einem der bekanntesten deutschen Trabantenvororte. Wer aber hier lebt, wer einer der knapp 13.000 Einwohner von Scharnhorst-Ost ist, für den bedeutet die Durchsage das angenehme Gefühl, "nach Hause" zu kommen.
"Ich wohne seit 50 Jahren hier in Scharnhorst und genieße alle Annehmlichkeiten, die wir haben. Wenn wir mit der Schnellbahn nach der Stadt fahren wollen – alle zehn Minuten – und in 16 Minuten sind wir in der Stadt, an der Reinoldikirche."
Verkümmerung in "menschenverachtender Architektur"
Sagt Margarethe Michalski, 88 Jahre alt. Sie lebt in dieser Siedlung von Anfang an. Seit 1968. Damals wurde ein Hektar Sumpfland im Nordosten von Dortmund trockengelegt, Straßen gezogen und 5.000 Wohnungen in nüchternen Hochhäusern aus Fertigbetonteilen gebaut: schnell, günstig, gleichförmig. Das galt seinerzeit als bautechnische "Innovation", als Antwort der Stadtplaner auf die in den 60er Jahren herrschende Wohnungsnot in den Großstädten während des Babybooms und Siedlungen wie Scharnhorst entstanden überall im Westen Deutschlands. Der anfänglichen Euphorie folgte schon bald die Ernüchterung. Von "Wohnsilos" war die Rede, von Vereinsamung und Verkümmerung, von "menschenverachtender Architektur".
Mitten in der Siedlung liegt die Severingstraße. Die Häuserblöcke im vorderen Bereich der Straße sind rechteckig, schnörkellos und haben Flachdächer. Aus dem Haus Nummer 10 kommt ein Mann in Pantoffeln und nimmt die Zeitung aus dem Briefkasten.
"Das schönste Haus überhaupt. Hier ist ruhig. Die Ecke ist ruhig, kein Theater, gar nichts. Also, wunderbar hier, echt!"
Manuel Heyen selbst wohnt seit elf Jahren in diesem Haus – offenkundig zufrieden. Obwohl er auf trist wirkende Fassaden blickt, an denen der Beton deutliche Schäden zeigt. "Schön" ist etwas anderes. Christa Reicher hat einen anderen Blick auf solche Häuser. Sie ist Architektin und lehrt als Professorin Raumplanung an der TU Dortmund.
"Schönheit würde ich immer so interpretieren, dass es etwas ist, was einem Freude bereitet. Und wenn wir jetzt hier stehen, sehe ich einerseits viele Wohnungsbauten. Dazwischen sehe ich ganz besondere schöne alte Bäume; und ich kann mir vorstellen, dass die Menschen, die hier wohnen, es sehr wertschätzen, in diesen Gebäuden zu sein."
Besondere Qualitäten bei genauerem Hinsehen
Reicher ist beteiligt an einem aktuellen Projekt mit dem Namen "Big Beautiful Buildungs – als die Zukunft gebaut wurde". Es wird getragen vom Stadtbauforum NRW und der TU Dortmund. Darin wird die Architektur der Fünfziger bis Siebziger Jahre im Ruhrgebiet unter die Lupe genommen. Ein wichtiger Teil sind Reißbrett-Siedlungen wie diese in Dortmund-Scharnhorst.
"Dieses Thema 'Hässliches Entlein', was wir immer so schnell nutzen in Verbindung mit solchen Architekturen, das gilt aus meiner Sicht nur auf den ersten Blick. Beim genaueren Hinsehen sieht man dann doch ganz andere Qualitäten."
So geht es ihr auch, wenn sie durch die Straßen von Dortmund-Scharnhorst geht.
"Aber man muss natürlich sehr aufpassen. Nicht jede Groß-Siedlung hat die Qualität, die wir uns wünschen. Also, das gibt es große Unterschiede. Man kann eben Chorweiler (in Köln) nicht mit der Neuen Vahr in Bremen vergleichen oder gleichsetzen. Da gibt es Unterschiede in den Grundrissen, in der Architektur. Es gibt Unterschiede in den sozialen Milieus, in der sozialen Gemeinschaft."
Mit der Nachbarschaft hat Manuel Heyen keine Probleme. Was ihn stört, ist die Höhe der Miete. Die könnten sich immer weniger Leute leisten und zögen weg.
"Ich bezahl' 500 Euro. Ohne Nebenkosten. Nebenkosten kommen noch mal dazu. Ich zahl' dann 600 Euro. Das ist viel Geld."
Für diese 600 Euro hat er eine 90 Quadratmeter große Wohnung mit dreieinhalb Zimmern. Vor 50 Jahren wurde die Siedlung mit öffentlichen Mitteln gebaut, und die Wohnungen kosteten die niedrige Sozialmiete. Im Laufe der Jahre sind die öffentlichen Darlehen ausgelaufen und die Wohnungsgesellschaften waren bei der Miete nicht mehr gebunden. So wie auch im Falle dieses Bewohners. Heute gibt es nur noch 300 Sozialwohnungen in der Groß-Siedlung; 300 von rund 5.000.
Das sei eine bedauerliche Entwicklung, sagt Heinz Pasterny. Er ist der Bezirksbürgermeister von Scharnhorst. Schon in den 70er Jahren, so erinnert er sich, gab es die erste Auszugswelle, als der Gesetzgeber die sogenannte Fehlbelegerabgabe für Besserverdienende einführte. Die Folge: Mittelschichtfamilien zogen aus Scharnhorst weg. Zur gleichen Zeit traf der wirtschaftliche Strukturwandel das Ruhrgebiet. Scharnhorst erwischte es besonders hart. Denn hier wohnten viele Stahlarbeiter und Bergleute. Damit beschleunigte sich der soziale Niedergang des Stadtteils.
"Es ist natürlich schwierig. Wir haben hier keine Industrie in der Nähe. Früher die Hauptarbeitgeber waren Hoesch und die Zechen. Erst sind die Zechen verschwunden und dann ist Hoesch verschwunden und damit sind viele wichtige Arbeitsplätze weggefallen."
Eine Schule mit 75 Prozent Kindern aus Migrantenfamilien
An Arbeit müssen diese Kinder noch nicht denken. Die Kautsky-Schule ist seit 50 Jahren die zentrale Grundschule in Scharnhorst. Schnell platzte sie aus allen Nähten, war Dortmunds größte Grundschule: 1.400 Kinder in 48 Klassen. Der Schulleiter griff damals zu ungewöhnlichen Mitteln.
"Der stand hier auf dem Dach der Toilette mit Megafon und hat dann zehn neue erste Klassen begrüßt. Das werde ich auch nie vergessen."
Cornelia Mittelhäuser ist seit vier Jahrzehnten Sportlehrerin an der Kautsky-Schule. Als die Kinder sehen, dass ihre Lehrerinnen interviewt werden, drehen sie richtig auf und umlagern sie.
"Heute haben wir ungefähr 75 Prozent Migrantenkinder aus Polen, Russland, den arabischen Ländern und auch aus den Kriegsgebieten." – "Was bedeutet das für die Schulalltag?" – "Am Anfang haben die Kinder sehr große Sprachschwierigkeiten, aber die vergehen dann ganz schnell, weil sie durch die anderen Kinder sehr schnell lernen. Und weil sie sehr ambitioniert sind und auch sehr dankbar sind, für alles, was sie hier geboten bekommen. Und viele Kinder sind auch sehr, sehr intelligent – vor allem aus Syrien."
Unter den Ausländern sind die syrischen Flüchtlinge mittlerweile die zweitgrößte Gruppe in Scharnhorst – noch vor den türkischstämmigen Deutschen. Nur die Zahl der Menschen mit polnischen Wurzeln ist noch höher. Das liegt an den Spätaussiedlern, die in den Achtziger Jahren aus dem Osten kamen. Diese Vielfalt bringt für die Grundschule besondere Aufgaben, sagt Konrektorin Daniela Stober.
"Wir sind noch Mama-Ersatz in Anführungsstrichen. Wir formen die Kinder. Es kommen Kinder zu uns, die vom Elternhaus vielleicht nicht das vermittelt bekommen, wie wir es unseren eigenen Kindern vermitteln. Das heißt, wir beraten auch die Eltern, wenn sie zu uns kommen und um Hilfe bitten. Und wir haben natürlich auch die Aufgabe, Eltern mit einzubinden und zu integrieren."
Polizeiliches Konzept gegen Kriminalität
Dass es gelingt, hofft Michael Wintersehl. Denn er will mit diesen Kindern später nichts zu tun haben – beruflich gesehen. Denn Wintersehl ist Polizist in der Wache Scharnhorst. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind die Altersgruppe, die ihm die meiste Arbeit macht. Einer ihrer "neuralgischen" Treffpunkte liegt in Sichtweite der Wache. Es ist eine kleine Ladenzeile mit einer Trinkhalle.
"Weil man hier eine Örtlichkeit geschaffen hat mit dem Kiosk, der bis 3 Uhr geöffnet hat und man sich hier immer nachhaltig versorgen kann. Das andere Problem ist, dass sich hier auch junge Heranwachsende treffen, die hier wohnen, die hier groß werden und hier auch kurze Wege haben."
Drei Männer stehen vor dem Kiosk. Michael Wintersehl begrüßt die ersten beiden mit Handschlag. Man kennt sich. Doch der dritte wird plötzlich unruhig, als er das Mikrofon sieht. In den achtziger und neunziger Jahren galt Scharnhorst als Hochburg der Kriminalität, als Problemviertel, als sozialer Brennpunkt. Vandalismus, Diebstahl, Drogen: Jugendgangs verschiedener Nationalitäten versuchten, den Stadtteil zu terrorisieren. Selbst die Polizeiautos vor der Wache wurden mehrfach beschädigt, die Beamten persönlich attackiert. Daraufhin änderte die Polizei ihre Strategie. Die Wache wurde personell deutlich verstärkt. Und es gibt seitdem unangekündigte Sondereinsätze. "Präsenzkonzept" nennt Michael Wintersehl das: Uniform zeigen, dunkle Ecken ausleuchten.
"Es ist uns durchaus gelungen, innerhalb der zwei Jahre, in denen wir das Präsenzkonzept jetzt hier betreiben, die Fallzahlen deutlich gesenkt haben und auch das Sicherheitsgefühl des Bürgers – worauf es uns natürlich auch drauf ankommt – deutlich gesteigert haben."
Ein Gefühl des Unwohlseins und der Unsicherheit
Ist das wirklich so? Fühlen sich die Scharnhorsterinnen und Scharnhorster wirklich "sicherer" in ihrem Quartier? Das eks – das Einkaufszentrum liegt mitten im Ort. Viele ältere Menschen sind jetzt – gegen Mittag – hier unterwegs. Gisela Kluge sitzt mit ihrer Freundin Angelika Pieper vor der Eisdiele Cordella. Sie ist Mieterin der ersten Stunde.
"Am Anfang war es, fand ich, schöner hier. Es ist mittlerweile, ich weiß es nicht, einfach überfremdet. Die Kultur ist eine andere geworden. Man ist rücksichtlos gegenüber der Allgemeinheit. Dann wird der Müll liegengelassen…"
Sie wohnen immer noch gerne hier, betonen beide, aber es bleibe dieses unbeschreibliche Gefühl.
"Dieses Gefühl, abends im Dunkeln alleine nach Hause zu gehen, das hat sich geändert. Ich kann es noch nicht mal richtig begründen, aber: es ist so!"
Sie reden von Kultur, von Gefühlen und Atmosphäre – aber nicht von der Architektur ihrer Siedlung. Die stellen sie nicht infrage. Es sind eben für sie diese "Big Beautiful Buildings", zwischen denen aber dennoch genügend Raum ist, um eine diffuse Form von Angst zu erzeugen.
Scharnhorst und viele ähnliche Stadtviertel in Deutschland galten lange als "Irrweg" der Stadtplanung. Deshalb lohne es, hier genau hinzuschauen, welche Fehler damals gemacht wurden, sagt Raumplanerin Christa Reicher, aber vor allem, welche Potenziale solche Siedlungsformen haben. Sie jedenfalls ist dagegen, Groß-Siedlungen pauschal abzulehnen.
"Wir sehen bei vielen dieser Großsiedlungen dieses Empfinden: 'Wie erlebe ich den Raum?', nicht ausreichend gewürdigt oder bedacht ist. Ein zweites Thema ist sicher die Nutzung und die Nutzungsmischung. Wir müssen darauf achten, dass wir auch gerade die Erdgeschosse beleben mit unterschiedlichen Nutzungen. Und, was man nicht unterschätzen darf, ist das Thema der Pflege, der Instandhaltung von solchen Bauten. Die brauchen einen Kümmerer, der sich darum bemüht, Nachbarschaft zu unterstützen, den öffentlichen Raum zu pflegen und auch den Blick auf Leerstand zu haben."
Das soziale Engagement der Wohnungsgesellschaften
Eine Aufgabe für die Wohnungsgesellschaften. Zweistellige Millionenbeträge haben sie im Laufe der Jahre in die Sanierung ihrer Gebäude in Scharnhorst gesteckt. Vor allem in Äußerlichkeiten: bunte Anstriche, aufgelockerte Fassaden und Eingänge.
2004 haben drei Wohnungsgesellschaften mit der Stadt Dortmund eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Es sollte mehr für die Mieter getan werden: viele Einzelaktionen und Langzeitprojekte wurden seitdem gestartet: Ferienspiele, Künstlerwerkstätten, Stromspar-Partys, Pflanzaktionen, Balkon-Wettbewerbe und, und, und… Besonders Kinder und Jugendliche habe man im Blick, sagt Andrea Kisters von der Gesellschaft LEG Wohnen.
"Beispielsweise Gewaltprävention: wir haben hier sogenannte Sprayer-Lehrgänge, um auch die Jugendlichen abzuholen was Vandalismus anbelangt. Wir haben Anti-Gewalt-Training, was wir an den Schulen unterstützen. Es gibt ganz, ganz viele Maßnahmen, die hier in die Wege geleitet worden sind. Ja, wir denken, es tut dem Stadtteil wirklich gut."
Ergebnis: zehn Prozent der Menschen leben mittlerweile länger als 30 Jahre hier. In Scharnhorst ist derzeit praktisch keine Wohnung zu kriegen. Niemand will weg; die Älteren nicht, weil sie fast ihr ganzes Leben schon hier leben. Und die Jüngeren, weil sie häufig keine Alternative haben. In Dortmund wird Wohnraum immer knapper. Die Nachfrage steigt schneller als neu gebaut werden kann.
Scharnhorst als Muster für das Bauen der Zukunft
Vor 50 Jahren – während des Babybooms – war es ähnlich, sagt Raumplanerin Christa Reicher und plädiert dafür, die alten Rezepte wieder hervorzuholen – allerdings, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Denn mit schmucken Eigenheim-Siedlungen allein, die viel Fläche beanspruchen, werde man die aktuelle Wohnungsnot nicht lösen, sagt sie.
"Deshalb wird es wieder ein Entwickeln von großen Wohnbausteinen an den Stadträndern geben. Und ich glaube, dann kann man viel aus dieser Typologie hier lernen: in dem Sinne wie Grundrisse, Orientierungen von Wohnungen aussehen kann und aussehen muss. Und vor allem, wenn wir heute über Systembauweisen im Sinne des schnellen Bauens nachdenken, dann sind das schon Referenzobjekte, an denen man sich ein Stück weit orientieren kann."
Zudem gebe es viele neue Erkenntnisse, so Reicher. Beton als Baustoff für Fertigelemente ist heute viel leistungsfähiger und langlebiger als vor 50 Jahren. Und auch bei der Gestaltung von Flachdächern hat es Fortschritte gegeben. Ebenfalls eine zwingende Voraussetzung für ein "Gelingen" von Siedlungen wie Scharnhorst ist eine gute Infrastruktur mit Nahversorgung, Schulen und Freizeitmöglichkeiten. Ein wichtiger Treffpunkt ist die Stadtteil-Bibliothek: hier finden Lesungen und Theaterstücke statt.
Und bei den jüngeren Leuten kommt sie wegen der vielen ausleihbaren Computerspiele gut an. Solche Orte sind für Bezirksbürgermeister Heinz Pasterny so etwas wie "gesellschaftlicher Kitt". Auch er findet es müßig, über die Architektur von Scharnhorst zu reden; er hat mit der Integration der vielen zugewanderten Menschen genug zu tun.
Zahlreiche Integrationsangebote für Bürgerinnen und Bürger
"Es gibt zahlreiche Angebote für die Leute. Wir haben Sprachkurse für Russland-Deutsche; wir haben Angebote für Mütter; ein Mütter-Café, wo sich besonders viele Frauen mit Kopftuch dann treffen, die sich über alle möglichen Dinge informieren. Es wird nach meinem Eindruck schon viel getan für die Integration der Bürgerinnen und Bürger."
Im "Zentrum", einer städtischen Begegnungsstätte für Kinder und Jugendliche, ist um diese Zeit – es ist früher Nachmittag – noch nicht viel los. Ein paar Zehn- bis 13-Jährige kickern, spielen Billard oder Computerspiele. Eine Fahrradwerkstatt, ein kleines Tonstudio mit Probenraum für Bands gibt es ebenfalls. Heidrun Weisemann-Fege ist die Leiterin der Einrichtung. Kriegt sie mit solchen Angeboten die Jugend von Scharnhorst "in den Griff"?
"In den Griff kriegen, ist so eine Sache. Also, wir sind hier sehr offen, und das wissen die. Dass sie hierhin kommen können und auch anmelden können, was sie gerne machen möchten. Und das klappt. Man bekommt die natürlich nicht in den Griff in dem Sinn. Aber wir achten auf sie und sie werden ernst genommen mit dem, was sie einbringen. Und das ist ihre Sache, was hier stattfindet. Und das klappt."
Auf einem Monitor wird ein Youtube-Video abgespielt; es ist ein Rap-Song und es ist hier, in diesem Zentrum, mit Mädchen aus Scharnhorst aufgenommen. Malika wippt beim Rhythmus mit. Sie ist die Haupt-Sängerin.
Städtebauexpertin: Siedlungen wie Scharnhorst nicht "verteufeln"
"Wir hatten ein Projekt, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollen. Und da meinte damals die Leiterin hier, dass wir ein Lied darüber machen sollten. Das ist also ein allgemeines Projekt mit Video und so. Und so kam das."
Sie identifiziert sich mit Scharnhorst, lebt gerne hier und versteht nicht, warum Fremde so schlecht über ihren Stadtteil mit den vielen Hochhäusern reden. Professorin Christa Reicher kennt dieses Phänomen.
"Ich wundere mich, wenn ich mit Studierenden oder jungen Menschen über diese Form des Siedlungsbaus rede, dass sie da einen völlig anderen Blick haben als unserer Generation. Und deshalb müssen wir sehr aufpassen, dass wir solche Siedlungen, wie wir sie in einer bestimmten Phase gebaut haben, zu verteufeln. Weil sie für manche, gerade für die jüngere Generation, wieder nahezu als Vorbild gelten."
Steht eine Renaissance der Hochhaus-Siedlungen auf der "grünen Wiese" bevor? Wird aus dem vermeintlichen Irrweg der Stadtplaner ein Ausweg aus der aktuellen Wohnungsnot? Ganz so weit ist es wohl noch nicht. Aber angesichts galoppierender Baukosten und steigender Preise für Bauland liegt die Alternative auf der Hand: einfacher, das heißt, günstiger und in die Höhe zu bauen.
"Ich lebe sehr gerne hier"
Noch einmal zurück im Einkaufszentrum. Einige der Menschen hier sind arm, arbeitslos oder Hartz-IV-Bezieher. Sie rauchen und trinken viel und laufen in Billigklamotten vom Discounter herum. Comedian Atze Schröder, der Scharnhorst in seinem Programm gerne mal aufs Korn nimmt, hätte seine wahre Freude. Margarethe Michalski würde dem Witzemacher gerne mal die Meinung sagen. Aufrecht steht sie hinter ihrem Rollator. Das schlechte Image von Scharnhorst ärgert sie.
"Ich habe noch nichts Negatives erlebt. Und ich lebe sehr gerne hier. Und wenn ich einmal gehe, dann mit den Füßen voraus."