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Hochschulbildungsreport 2019
"Hochschulen müssen eine zentrale Rolle im Weiterbildungssystem einnehmen"

Neben Forschung, Lehre und Wissenstransfer ist Weiterbildung die vierte Aufgabe der Universitäten. Dies sei aber der Bereich, der derzeit am wenigsten von den Hochschulen bedient werde; es bräuchte hier deutlich mehr Anstrengungen, sagte Mathias Winde vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Dlf.

Mathias Winde im Gespräch mit Thekla Jahn |
Mathias Winde leitet im Stifterverband den Programmbereich "Hochschulpolitik und -organisation".
Mathias Winde leitet im Stifterverband den Programmbereich "Hochschulpolitik und -organisation". (Foto: David Ausserhofer)
Thekla Jahn: Die Arbeitswelt 4.0 und die Future Skills, also die dafür notwendigen Fähigkeiten, hat der Hochschulbildungsreport 2019 untersucht. Dafür wurden 600 Unternehmen in Deutschland befragt und anschließend analysiert, inwiefern die Hochschulen den Anforderungen genügen. Der Fokus beim diesjährigen Report lag auf der quartären Bildung, also dem Feld der wissenschaftlichen Weiterbildung. Über die Ergebnisse will ich nun sprechen mit Dr. Mathias Winde vom Stifterverband, der an dem Hochschulbildungsreport maßgeblich beteiligt ist. Schönen guten Tag!
Mathias Winde: Guten Tag, Frau Jahn!
Jahn: Herr Winde, wenn man den heute veröffentlichten Hochschulbildung Report liest, dann wird einem etwas bang, denn Sie kommen zu dem Schluss, dass die Hochschulen bei der Weiterbildung stagnieren, zu wenig auf die Zukunft ausgerichtet sind und von so genannten "Education-Start-ups" lernen können. Eine Teilbankrotterklärung?
Winde: Das ist jetzt sehr weitgehend formuliert. Was wir festgestellt haben ist, dass in den vergangenen Jahren Hochschulen stark mit der Überlast an Studierenden, die aus dem Schulsystem gekommen sind, zu tun haben und bislang bis auf einige Ausnahmen keinen Fokus im Bereich der Weiterbildung haben. Und wir haben die Unternehmen gefragt, was sie benötigen von den Hochschulen, was sind ihre Erwartungen an die Hochschulen? Und dabei ist ganz klar geworden: Hochschulen müssen in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle im Weiterbildungssystem einnehmen.
Aufholbedarf bei Education-Start-ups
Jahn: Wie erklären Sie sich da den Erfolg der Education-Start-ups, von denen die Hochschulen lernen sollen?
Winde: Wir haben uns weltweit angeschaut, wo die Education-Start-ups stehen, und es ist ganz interessant: Von den zehn größten Education-Start-ups befassen sich acht mit dem Thema Future Skills; entweder ausschließlich oder zumindest teilweise. Bei den zehn größten Education-Start-ups sind zwei aus Deutschland dabei, und das sind gerade die Start-ups, die sich nicht mit Future Skills beschäftigen, sondern die Sprachen lernen im Internet anbieten. Also wir haben da einen Aufholbedarf in Deutschland.
Aber diejenigen, die damit beginnen, die sitzen in den Startlöchern und die haben eigentlich drei Vorteile: Das eine ist ein sehr nachfrageorientiertes Angebot in stark diesen nachgefragten Bereichen der technologischen Fähigkeiten, ich nenne mir jetzt mal Software Development oder UX-Design beispielsweise. Das ist ein Angebot, das sich sehr stark und sehr präzise auf den Bedarf der Unternehmen fokussiert. Das zweite ist eine ganz hohe Anwendungsorientierung, das heißt, dort wird projektbasiert gelernt, dort wird sehr individuell gelernt; das findet an Hochschulen derzeit teilweise statt, aber noch nicht flächendeckend.
Jahn: Was folgt daraus aus Ihrer Untersuchung, aus Ihren Ergebnissen für die Hochschulen? Wo müssen sie da nacharbeiten?
Winde: Hochschulen sollten sich verstärkt darum bemühen, sich im Bereich der Weiterbildung strategisch aufzustellen. Das kann beispielsweise dadurch passieren, dass man schon direkt in der Hochschulleitung eine Verantwortung für Weiterbildung, und zwar eine alleinige Verantwortung für Weiterbildung definiert; zum Beispiel durch einen Vizepräsidenten für Weiterbildung.
Das Zweite ist, dass das Future Skills-Angebot im grundständigen Studium und bei der Weiterbildung deutlich ausgebaut werden sollte, und zwar in der Art, wie ich es beschrieben habe; nämlich durch projektbasiertes Lernen und durch individuelles Lernen. Und das Dritte ist, dass die Digitalisierung ja sehr gute innovative Ansätze für Neues Lernen bietet, neue Möglichkeiten in der Didaktik. Und auch das könnte verstärkt eingesetzt werden.
Professoren haben wenig Anreize für Engagement in Weiterbildung
Jahn: Jetzt hört sich das alles sehr schön an - allein, wer soll das dann an der Universität machen, also diese Fähigkeiten weitergeben?
Winde: Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass ein Großteil der neu eingestellten Professoren tatsächlich auch digitale Fähigkeiten hat. Das heißt, wir schaffen jetzt auch eine personelle Grundlage an den Hochschulen, um diese Fähigkeiten auch zu vermitteln. Das ist ganz, ganz wichtig, und diese Entwicklung hilft uns.
Woran es noch fehlt - und das ist ein Wunsch an die Politik - ist, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden für die Hochschulen, damit sie sich auch stärker in der Weiterbildung engagieren können. Beispielsweise sollten ungenutzte Kapazitäten in der grundständigen Lehre für Weiterbildungsangebote genutzt werden können. Und Regelungen in den einzelnen Ländern, die sehr unterschiedlich sind, sollten angeglichen werden und anreizfördernd ausgestattet werden. Das heißt, im Augenblick haben die Professoren sehr wenige Anreize, sich in der Weiterbildung zu engagieren und das muss sich ändern.
Jahn: Wie steht es mit der Forderung, dass die Hochschule die Weiterbildung in den Fokus nehmen sollte?
Winde: Hochschulen haben derzeit vier Säulen, vier Aufgaben, die in den Gesetzen festgeschrieben sind: Das ist Forschung, Lehre, Transfer und Weiterbildung. Und die Weiterbildungssäule ist diejenige, die derzeit am wenigsten von den Hochschulen bedient wird; und da brauchen wir den nächsten Jahren deutlich mehr Anstrengungen.
Nationale Initiativen mit europäischen verzahnen
Jahn: Es muss also die Weiterbildungssäule noch ein bisschen verstärkt werden - aber alles in einer Hand, das ist grundsätzlich schwer leistbar; zu ausdifferenziert sind ja die Bedürfnisse und Anforderungen. Es braucht, vermute ich einfach mal, individuelle Weiterbildungspassformen. Muss ich da nicht die Hochschule auch stärker öffnen hin zu anderen Weiterbildungsträgern?
Winde: Das ist eine Möglichkeit, die wir auch in den Blick genommen haben. Es gibt natürlich immer mehr Online-Plattformen, die auch gute Möglichkeiten für Netzwerke bieten. Education-Start-ups gehen häufig offensiv auf Hochschulen zu und bieten an, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Aber wir sehen, dass auch einige neue Angebote im Bereich der weiterbildenden Studiengänge zusammen mit Unternehmen erarbeitet werden, und zum Teil auch auf Initiative von Unternehmen. Also ich glaube, da gibt es ganz viele Potenziale, um im Bereich der Weiterbildung mit anderen Partnern außerhalb der Hochschule zu kooperieren. Und das sind häufig Win-Win-Situationen für beide Bereiche.
Jahn: In der politischen Debatte war ja immer wieder, die digitalen Bildungsplattformen zu verstärken, zusammenzubringen. Ihr Report hat sich auch mit diesen verschiedenen Plattformszenarien beschäftigt - mit welchem Ergebnis?
Winde: Online-Plattformen sind sicher ein Teil der Lösung im Weiterbildungsbereich. Deswegen ist es auch gut, dass in der nationalen Weiterbildungsstrategie, die jetzt verabschiedet wurde von der Bundesregierung, ein Informationsportal anvisiert wird im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung, das Transparenz schaffen soll.
Darüber hinaus ist uns wichtig, dass solche Plattformen auch die einzelnen fragmentierten Bildungsangebote nicht nur leicht auffindbar macht, sondern auch intelligent miteinander vernetzt. Und die entsprechenden nationalen Initiativen sollten unbedingt mit europäischen Initiativen verzahnt werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.