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Hochschule und Europa
"Es fehlt der Mut, nach vorne zu blicken"

Wie positionieren sich die Parteien zur europäischen Zusammenarbeit von Hochschulen? Fast alle sähen das Austauschprogramm Erasmus positiv, bei anderen Zukunftsthemen blieben sie aber zu unkonkret, sagte Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, im Dlf.

Peter-André Alt im Gespräch mit Stephanie Gebert |
Der Berliner Literaturwissenschaftler Peter-André Alt ist seit 2018 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).
Der Berliner Literaturwissenschaftler Peter-André Alt ist seit 2018 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). (dpa / picture alliance / Thilo Rückeis)
Stephanie Gebert: Ein Auslandssemester in Marseille oder Praktikum in Barcelona - für Auszubildende und Studierende in Deutschland keine Frage, dass sie sich auch international aufstellen, und das besonders innerhalb der EU, ohne viel Hürden. Um genau das zu erhalten, ist der Mai ein wichtiger Monat, dann wird in Europa gewählt.
Vor der Stimmabgabe muss natürlich noch geklärt werden, wie sich die Parteien positionieren, zum Beispiel zum Austauschprogramm für Jugendliche oder zur Freiheit von Forschung und Lehre. Genau das hat die Hochschulrektorenkonferenz abgeklopft, zumindest bei den Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind. Professor Peter-André Alt ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, ich grüße Sie!
: Ich grüße Sie, Frau Gebert!
Gebert: Herr Alt, schauen wir uns erst mal Ihr Prozedere genauer an: Sie haben den Parteien einen Fragenkatalog sozusagen vorgelegt, was genau wollten Sie denn wissen?
Alt: Wir haben die Kernthemen der europäischen Kooperation auf Hochschulebene abgefragt. Das ist zum einen das Thema des Mobilitätsbereichs, also Austausch von Studierenden und Lehrenden. Das ist zum zweiten die Frage der Forschungsförderung - für die Hochschulen ganz elementar.
Das sind aber auch ganz grundsätzliche, sagen wir eher wertorientierte Themen, wie zum Beispiel die Frage, was tun wir in Europa, um die Hochschulfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen, die, wie wir ja leider sehen, vielerorts auch in Europa gefährdet ist. Und das bezieht sich auch auf die allgemeine, die übergreifende Vision, was wollen wir tun, um Internationalisierung noch mehr zu verbessern, und nicht zuletzt auch, wie können Hochschulen in Europa noch optimaler zusammenarbeiten.

"Es liegt am fehlendem Mut, nach vorne zu blicken"
Studierende des Erasmus-Austauschprogramms bei einem Aktionstag vor dem Brandenburger Tor in Berlin. 
Studierende des Erasmus-Austauschprogramms (imago stock&people)
Gebert: Und das haben Sie in sechs Wahlprüfsteine verpackt sozusagen, den Katalog vorgelegt, und dann haben Sie die Antworten bekommen von den Parteien, und da sagen Sie als Fazit, da ist noch viel Luft nach oben. Ich würde mir jetzt gern ein Beispiel herausgreifen, das auch viele Studierende und Auszubildende betrifft, nämlich das Programm Erasmus-Plus, das ja den Aufenthalt im Ausland fördert. Sehen Sie da bei den Parteien Antworten, die Sie bekommen haben, diesen Austausch in einer Form in Gefahr?
Alt: Nein, die Kritik bezieht sich eher auf ein gewisses Maß an Ideenlosigkeit und vielleicht auch fehlendem Mut, nach vorne zu blicken, nicht aber unbedingt auf ein fehlendes Grundverständnis. Die Parteien haben weitgehend eigentlich das Verständnis, dass Europa vorankommen muss. Es gibt eine Partei, für die das, finde ich, nicht so gilt, das ist die AfD, wo eine deutlich europakritische und vor allen Dingen EU-feindliche Position eingenommen wird.
Aber für die anderen Parteien gilt, dass die wichtigsten Errungenschaften auch als solche gesehen werden. Was ich positiv finde, ist, dass vor allen Dingen die Aufstockung des Erasmus-Plus-Etats, die Verdreifachung, die vorgesehen ist, von den Parteien positiv gesehen wird. Was ich kritisch sehe, ist, dass man da, wo es wirklich hakt und wo die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit auch beginnen, wo Interessenunterschiede da sind, ich es vermisse, dass unsere deutschen Parteien nicht konkret genug werden.
Gebert: Was wäre denn ganz konkret? Ich habe in einer Pressemitteilung von Ihnen gelesen, dass es eine Idee auch wäre, die Präsenz der Hochschulen auf EU-Ebene zu verbessern. Wäre das ein Nach-vorne-Gehen für Sie?
Alt: Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Hochschulen werden häufig in der öffentlichen Diskussion in den letzten Jahren wahrgenommen als Stätten der Lehre, aber sie sind ja neben diesem wichtigen Feld auch ganz elementare Kräfte für alle unterschiedlichen Formen von Forschung - von der Grundlagen- über die anwendungsorientierte bis zur angewandten Forschung, gerade durch die Diversität der Fächer.
In Europa gibt es ein Problem: Die Forschungsförderung, die gehört zur Kommission für Forschung und Technologie, während der Bildungsbereich eben um das Thema Lehre, also die Kommission für Bildungsfragen das Thema Lehre unter ihre Fittiche genommen hat. Das ist häufig ungut, beispielsweise da, wo Universitätsnetzwerke gefördert werden, folgend der Idee des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron.
Das ist ja ein tolles Konzept, dass vier bis fünf Universitäten und Hochschulen sich zusammenschließen, aber das obliegt jetzt im Wesentlichen der Förderung durch den Bildungsbereich. Dass dabei auch Forschung gefördert werden sollte, geht völlig unter. Und dafür hätte ich mir konkret auch Vorschläge gewünscht von den Parteien, wie man das besser in den Griff bekommen kann.
"Grenzenlos studieren, Europa wählen"
Gebert: Haben Sie da als Hochschulrektorenkonferenz vielleicht in den vergangenen Wochen und Monaten zu wenig Lobbyarbeit betrieben, also müssen Sie sich das vielleicht auch auf die eigenen Fahnen schreiben, dass das bei den Parteien gar nicht so im Vordergrund steht?
Alt: Wir haben vor allen Dingen da angesetzt, wo die Entscheidungen fallen, nämlich in Brüssel selbst. Wir haben massiv Lobbyarbeit betrieben für ein gut ausgestattetes und ausgestaltetes neues Forschungsrahmenprogramm mit dem Titel "Horizon Europe". Ich denke, wir haben auch unseren Beitrag dazu geleistet, dass es jetzt gelungen ist, noch vor der Wahl, die wesentlichen Inhalte dieses Programms festzulegen und darin eine gute Balance von Grundlagenforschung und angewandter Forschung herzustellen.
Die budgetäre Ausgestaltung, die wird dann dem neuen Parlament obliegen. Da haben wir viel getan, aber wir arbeiten ja auch mit unseren Parteien zusammen. Ich glaube, dass dieses Thema schon gesehen wird, aber dass man eben auch eine Idee braucht, um sicherzustellen, dass in Europa nicht durch eine Zuordnung, die sehr schematisch ist, die übergreifenden Perspektiven nicht verloren gehen - das ist wichtig.
Gebert: Und Herr Alt, wissen Sie denn jetzt, so ganz persönlich, wo Sie Ihr Kreuz hinmachen werden?
Alt: Ja, das weiß ich, aber das ist in dem Fall natürlich nicht nur von Fragen der Wissenschaftspolitik bestimmt, die hat für mich ganz große Priorität, es geht natürlich auch um andere Fragen: Gibt es wirklich eine politische Vision eines gemeinsamen Europa, und was müssen wir tun, um die Jugend in Europa zusammenzubringen?
Ich glaube, auf die kommt es an, deswegen hat die HRK, wie ich finde, ein sehr schönes Motto gewählt, nämlich "Grenzenlos studieren, Europa wählen". Das sollen auch die jungen Leute tun, die sind die Zukunft Europas.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.