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Hochschulen im digitalen Wandel
Auf dem Weg zum gläsernen Studierenden?

Amerikaner und Briten sind uns beim Thema Digitalisierung des Hochschulwesens weit voraus. In Hamburg ging nun die Konferenz "Campus-Innovation" der Frage nach, was in Sachen E-Learning auf hiesige Studierende zukommen könnte.

Von Axel Schröder |
    Eine Menschenmenge wird verzerrt und verschwommen dargestellt.
    Informatik-Professor Volkmar Langer hob die Gefahren der umfassenden Datenanalyse hervor. Das Szenario, nach welchem die Aktivitäten von Studierenden ausgiebig ausgewertet werden, hält er für möglich. (picture-alliance/ dpa / Fredrik von Erichsen)
    Großartige Chancen bietet die Digitalisierung des Hochschulbetriebs, erklärt Uwe Wendland vom Software-Unternehmen Thomson Reuters. Wendland hat seinen Stand neben dem der anderen Sponsoren der Campus-Innovation-Konferenz aufgebaut. Mit seiner Analyse-Software können, schwärmt Wendland, Drittmittel sehr zielgerichtet vergeben werden. Dazu errechnet das Computerprogramm zum Beispiel, welche Forscher die wichtigsten, die relevantesten Publikationen veröffentlichen.
    "Großbritannien ist da sehr viel weiter, wo effektiv die Mittelvergabe an der Messung der Forschungsrelevanz wirklich hängt. Das bedeutet, die machen Analysen: Wie häufig werden die zitiert, die Arbeiten, die in England produziert werden und machen dazu tatsächlich die Vergabe von Mitteln abhängig. Davon ist Deutschland weit entfernt."
    Aber immerhin nutzen hierzulande schon die Fraunhofer- und Max-Planck-Institute derartige Analyse-Software, die auch das Publizieren leichter machen soll. Präsentiert wurden auf der Konferenz natürlich auch IT-Lösungen für digitale Studentenausweise, Smartphone-Apps, über die Studenten ihr Mensa-Essen bezahlen können, gleichzeitig Bücher ausleihen und bargeldlos den Kopierer nutzen können. Einen Blick in die schöne neue Welt der umfassenden Datenanalyse lieferte Professor Hannes Federrath von der Uni Hamburg in seinem Vortrag über "Big Data":
    "Wenn man als Gedankenmodell sich vorstellen würde, dass jeder Studierende zum Beispiel mit einem persönlichen Gerät ausgestattet wird bei der Immatrikulation, dann heißt das natürlich, dass alle Aktivitäten, die dieser Studierende macht, immer verkettbar sind mit ihm. Heißt, dass eigentlich alle Aktivitäten, die man sich vorstellt innerhalb der Universität, werden gewissermaßen erhebbar, nutzbar und dann damit auch auswertbar."
    Wie hoch ist der Fleischkonsum in der Mensa, wie hoch die Fehlzeiten in welchen Seminaren? Wie oft werden Arbeiten abgebrochen? Wie häufig die Uni-Bibliothek besucht? Hannes Federrath warnt allerdings vor den Risiken dieser Szenarien:
    "Sowas kann die informationelle Selbstbestimmung ernsthaft gefährden. Da sind wir in einem sehr frühen Stadium. Wenn man sich solche Dinge wirklich für die Zukunft vorstellen wollte, muss konzeptionell noch einiges gearbeitet werden!"
    Virtuelle Seminare auf dem Vormarsch
    Nicht nur die Verwaltung und Steuerung der Universitäten wird durch die Digitalisierung verändert. Auch in der Lehre kann die neuen Technologien eingesetzt werden. Einigkeit herrschte auf der Hamburger Konferenz darüber, dass die Entwicklung in den USA viel weiter fortgeschritten ist als in Europa. Dort werden längst E-Learning über das Internet und klassische Vorlesungen kombiniert oder ganze Seminare online angeboten, in sogenannten "Massive Open Online Courses", kurz: "Moocs". Der Informatik-Professor Volkmar Langer, Präsident der Hochschule Weserbergland, nutzt das Potenzial der Technologie. Er produziert zum Beispiel kleine Videosequenzen für seine Seminare, sogenannte Nuggets:
    "Wir haben tatsächlich die Inhalte ganz fein granularisiert. Also ganz kleine Nuggets draus gemacht und haben die dann zur Verfügung gestellt. Dann synchronisieren wir uns mit der Teilnehmergruppe und sagen bis wann wir dann in welche Themen einsteigen wollen, um diese Themen dann auch zu besprechen. Einmal vorproduziert, stellen wir es dann auf einer Videoverteil-Plattform zur Verfügung."
    Volkmar Langer macht sich keine Sorgen um den Vorsprung der britischen und US-amerikanischen Unis auf dem Weg zur Digitalisierung der Lehre. Immerhin könnten die deutschen Hochschulen nun aus den Fehlern der Vorreiter lernen: nicht alle Fächer eignen sich zum Beispiel gleichermaßen für eine Wissensvermittlung über das Internet. Ohne das leibhaftige Zusammenkommen im Seminarraum, die lebhafte Debatte sei das Studium kaum denkbar. Trotzdem wünscht sich Langer mehr Experimentierfreude von seinen Kollegen. Bernhard Kempen, der Präsident des deutschen Hochschulverbands, sieht die Entwicklung ähnlich gelassen. Angst vor neuer Technik im Unibetrieb müsse niemand haben:
    "Wenn wir so daran gehen, machen wir es glaube ich richtig. Und umgekehrt muss aber auch gelten: Wir sollten die neuen technischen Möglichkeiten auch nicht überschätzen! Es wäre glaube ich fatal, wenn wir annehmen: wenn jetzt noch mehr IT-Technik in die Hochschulen Einzug hält als bisher schon, dann wird alles besser und damit wären alle Ausbildungs- und Bildungsprobleme gelöst. Das wird so sicherlich nicht passieren!"