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Hochschulen
Misstrauen unter türkischstämmigen Studenten

Das harte Vorgehen der türkischen Behörden sorgt auch an deutschen Hochschulen für Unruhe. Die meisten türkischen Studenten winken ab, wenn man sie nach ihrer Meinung fragt. Offene Gespräche sind kaum noch möglich. Es gibt Angst, als Staatsfeind oder Verräter angefeindet zu werden.

Von Heike Zafar |
    Rotes Schloss, im Vordergrund eine grüne Wiese, auf der eine kleine Gruppe Menschen sitzt.
    Die Konflikte aus der Türkei sind längst nach Deutschland übergeschwappt, sagen türkischstämmige Studierende der Universität Münster. (dpa/picture alliance/Daniel Kalker)
    "Mein Name ist Özge Erdogan und ich werde zurzeit ziemlich oft auf meinen Nachnamen angesprochen."
    Kein Wunder, wenn man den gleichen Nachnamen wie der türkische Staatspräsident hat: Ansonsten teilt Özge Erdogan nichts mit Recep Erdogan:
    "Ich teile weder Verwandtschaft noch irgendeine Meinung mit ihm, und darum bin ich froh, dass ich oft darauf angesprochen werde, dann kann ich direkt loslegen und sagen, was ich von diesem Menschen halte."
    Ausreiseverbot und Rückkehraufforderung säen Unruhe
    Nämlich gar nichts – das aktuelle Ausreiseverbot für türkische Hochschulangehörige aus der Türkei und die Rückkehraufforderung an türkische Wissenschaftler in Deutschland findet sie bedrohlich:
    "Ich habe selber mitbekommen, dass einige hier sind und jetzt zurückreisen müssen. Ansonsten werden sie halt gefeuert oder es droht eine Haftstrafe. Alle Akademiker in der Türkei, von denen ich gehört habe, wollen ausreisen, weil sie Angst um ihr Leben haben, Angst um die Familie, aber sie können nichts machen, sie müssen dableiben."
    Die Angst greift um sich, das ist in Münster deutlich zu spüren. Die meisten türkischen Studierenden winken ab, wenn man sie nach ihrer Meinung fragt - die Konflikte sind längst nach Deutschland übergeschwappt, sagen die wenigen, die es sich trauen:
    "Es gibt ab und zu Auseinandersetzungen mit anderen Studenten, die pro Erdogan sind." - "Ich hab das auch so erfahren, dass gerade Leute, die nicht politisch sind, besonders Angst haben, eine Meinung zu bilden oder zu äußern, weil die türkische Regierung ja auch nach Deutschland hin Leute beobachten lässt." - "Man wird als Staatsfeind und Verräter abgestempelt."
    Misstrauen und Bespitzelung könnten wachsen
    Die zwei Frauen, Özge und Dilan, sind Alevitinnen, Mazlum ist Kurde. Wir haben sowieso nichts zu verlieren, sagen sie - die türkischen Studierenden kennen sich alle untereinander, jeder hier wisse, dass sie gegen Erdogans Politik sind. Und trotzdem spüren alle zunehmenden Druck: Auch Yüksül. Er studiert Soziologie und Islamwissenschaften und findet es vor allem schade, dass kaum noch offene Gespräche möglich sind:
    "Man möchte nicht stigmatisiert werden, das macht das Gespräch schwierig, man kann nicht über einen gewissen Rahmen hinaus, sagen, Moment mal, wie stehst du dazu, sag doch mal, auch so ein Interview zu geben, was glauben Sie, warum die Leute Ihnen aus dem Weg gehen, weil man Angst hat, dass man auf eine Position stigmatisiert wird."
    Er selbst hat zum Beispiel einen Bekannten, der der von Erdogan verhassten Gülen-Bewegung nahesteht – Soll er ihn darum meiden? Yunus Ulusoy vom Türkeizentrum in Essen fürchtet, dass Misstrauen und Bespitzelungen wachsen:
    "Wo Leute andere beschuldigen, das muss nicht unbedingt die Regierung machen. Ich als Kollege könnte versuchen, meinen Kollegen loszuwerden, indem ich sage, er gehört der Gülen-Bewegung an."
    "Ich weiß, es wird nicht besser, es wird nur schlimmer"
    Und das soll dringend verhindert werden, findet Yunus Ulusoy. Und das wünschen sich auch die drei Studenten Özge, Dilan und Mazlum. Noch steht nicht fest, wie viele Hochschuldozenten von Erdogans Aufforderungen betroffen sind. Sie selbst werden jedenfalls in diesen Semesterferien nicht in die Türkei reisen, auf keinen Fall:
    "Wir haben noch ziemlich viel Verwandte und Bekannte da, von denen ist man jetzt auf absehbare Zeit abgeschnitten." - "Das bereitet mir wirklich Angst und Sorge, ich will gar nicht wissen, was jetzt noch passiert, weil ich weiß, dass es nicht besser wird, es wird nur schlimmer."