Kate Maleike: Vor zehn Jahren genau auf den Tag hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass allgemeine Studiengebühren in Deutschland nicht verboten werden können. Seitdem hatten wir viele Proteste hier auch in "Campus und Karriere" gegen Studiengebühren in den Bundesländern, und im letzten Wintersemester hat Niedersachsen als letztes Bundesland die allgemeinen Studiengebühren für das Erststudium wieder abgeschafft. Dr. Dieter Dohmen leitet das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin und kommt bei uns hier immer ins Spiel, wenn es auch um Studiengebühren geht oder überhaupt um Bildungsökonomie. Guten Tag, Herr Dohmen!
Dieter Dohmen: Guten Tag, Frau Maleike!
Maleike: War der 26. Januar 2005 von heute aus betrachtet eigentlich ein guter Tag für Hochschuldeutschland?
Dohmen: Ich denke ein zwiespältiger Tag, einerseits positiv, als dass er das Experiment der Studiengebühren ermöglicht hat, nachteilig natürlich für die Studierenden, die Studiengebühren bezahlt haben, gleichzeitig muss man aber auch konstatieren, dass die Modelle hinterher nicht so gut waren, dass sie kritiklos umgesetzt werden konnten beziehungsweise die Wirkung erfüllt haben oder die Erwartungen erfüllt haben, und letztlich ist es schon eine erstaunliche Entwicklung, dass mittlerweile kein Bundesland mehr Studiengebühren hat.
Maleike: Wobei das ja nicht ganz stimmt. Wir müssen ja fairerweise sagen, dass immer noch Verwaltungsbeiträge bezahlt werden, Langzeitgebühren bezahlt oder auch für Weiterbildungsstudiengänge mitunter ganz schön kräftig in die Tasche gegriffen werden muss. Also so ganz gebührenfrei ist Studium in Deutschland derzeit nicht.
"Ich halte die Schuldenbremse für kontraproduktiv"
Dohmen: Ja, und es gibt noch einen weiteren Bereich, der natürlich de facto in dieser Betrachtung immer wieder hinten runterfällt: Das sind die privaten Hochschulen, wo die Studierenden zum Teil erhebliche Studiengebühren zahlen müssen, die dann teilweise bei 750 Euro im Monat liegen. An diese Hochschulen gehen zum Teil diejenigen, die aus der Berufsausbildung kommen und berufsbegleitend studieren. Das heißt, die privaten Hochschulen sind ein wichtiger Teil des Hochschulsystems für bestimmte Zielgruppen insbesondere, und dort wird gezahlt. Also insofern war ein überraschendes Ergebnis, als wir vor Kurzem die Studie zur Entwicklung der Hochschulfinanzierung uns angeguckt haben, dass der Einfluss von Studiengebühren auf die Gesamtfinanzierung der Hochschulen doch eher begrenzt war, sprich, die Einnahmen aus Gebühren sind von 3,5 Prozent der gesamten Einnahmen auf 4,5 Prozent gestiegen. Und wenn man das in Bezug zu den Relationen setzt, das heißt, es war dann die Erwartung, 2,5 Milliarden pro Jahr bei 1.000 Euro im Jahr und 2,5 Millionen Studierenden, dann ist der Gesamteinfluss doch erstaunlich niedrig.
Maleike: Nun gibt es sozusagen am zehnten Jahrestag des Verfassungsgerichtsurteils auch immer lauter werdende Forderungen nach der Wiedereinführung der Studiengebühren. Zum Beispiel hat die Hochschulrektorenkonferenz erst im Herbst formuliert, dass man dringend die Studiengebühren wieder einführen müsse. Was sagen Sie dazu?
Dohmen: Also richtig ist, dass die Hochschulfinanzen und die Einnahmen der Hochschulen in den letzten Jahren nicht in dem Umfang gestiegen sind, dass der dramatische Anstieg der Studienanfänger damit kompensiert worden ist. Wir haben ja in unserer Studie gezeigt, dass in fast allen Ländern die Ausgaben je Studierendem zurückgegangen sind. Wir haben vor Kurzem gezeigt, dass insbesondere in den MINT-Fächern die Betreuungsrelationen in Teilen dramatisch und wenn man sich die Professoren anguckt, also die Anzahl der Studierenden je Professor, dann katastrophal sind. Also insofern deutet einiges darauf hin, dass es auch an der Front Finanzen Handlungsbedarf gibt. Dazu kommt, dass große Teile der Hochschulfinanzen ja temporär sind, also zeitlich über drei Jahre oder ähnliches, und damit eine Planung überhaupt nicht vernünftig möglich ist.
Auch der Hochschulpakt hat das gleiche Dilemma: Einerseits sind 26.000 Euro pro Studierendem für Sozial- und Geisteswissenschaften nicht schlecht, aber für die Medizin oder für die Ingenieurwissenschaften ist das zu wenig, und es ist ein Betrag, der kommt über ein paar Jahre und der verändert sich dann auch wieder. Das heißt, die Hochschulen brauchen einerseits dringend zusätzliche Finanzen, die Länder und der Bund werden das auf Dauer nicht bewerkstelligen können, die Schuldenbremse bringt erhebliche Probleme für die Länder, und mit Blick auf Investitionsbereiche - und das ist der Bildungsbereich - halte ich sie für kontraproduktiv, muss ich ganz ehrlich sagen. Also insofern ist die Frage da: Was passiert, wo kommen zusätzliche Mittel her? Und im Prinzip gibt es zwei Quellen: Wenn die öffentlichen nicht zahlen, dann sind es private, das ist die eine Grundquelle, und dann bleiben die Studierenden als ein Teil der Nutznießer. Die andere Alternative ist, dass man andere private Finanzierungsquellen anstrebt. Und wir haben mit dem sogenannten Education Investment Fund eine Idee entwickelt, bei der private Geldanleger in die Hochschulbildung oder auch in die Schul- und die frühkindliche Bildung investieren können und hinterher an den Erträgen dieser Bildung beteiligt werden.
"2020 haben wir wieder Studiengebühren für Teile des Erststudiums"
Maleike: Wissen Sie von konkreten Plänen? Gibt es ein Bundesland, wo möglicherweise die Renaissance gerade schon vorbereitet wird?
Dohmen: Na ja, ich habe keine Kenntnis von konkreten Plänen, aber wenn man natürlich mit den Leuten in den Ministerien und zum Teil auch mit den Ministern spricht, dann sagen die ganz hinter vorgehaltener Hand: Natürlich müssen wir uns Gedanken darüber machen, was passiert. Ich könnte mir aber vorstellen, das ist tatsächlich nicht mit irgendeinem Minister mal angedacht worden, dass man sagt: Im Masterstudium führt man das als nächstes wieder ein. Ich sehe keine Zukunft im Moment, in den derzeitigen Finanzierungs- und Rahmenbedingungen, die den Ausbau der Hochschule auf eine vernünftige Ausstattung ohne Studiengebühren ermöglicht, es sei denn, wie gesagt, die andere Idee, die wir entwickelt haben. Also realistisch und realpolitisch muss man, so leid es mir für diejenigen, die dann hätten zahlen müssen, tut, sagen: Die Abschaffung der Studiengebühren in den diversen Ländern war aus dieser Sicht absolut kontraproduktiv und meines Erachtens tatsächlich auch zwar politisch nachvollziehbar aus Sicht der jeweiligen Parteien, aber doch etwas zu kurz gedacht.
Maleike: Aber, Herr Dohmen, wir haben den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung, wir haben Förderprogramme für Lehrerausbildungen, gegebenenfalls auch die Fortsetzung der Exzellenzinitiative, frei werdende BAföG-Millionen auch. Damit sind gerade in den letzten Monaten Milliardenbeträge entweder beschlossen worden oder in Aussicht gestellt worden. Über welche Fehlsumme reden wir eigentlich genau? Ist die mal beziffert worden?
Dohmen: Also wenn ich einfach nominal, wohlbemerkt, nicht real, wenn ich nominal auf den Betrag gehe, der im Jahr 2000 im Durchschnitt je Studierendem ausgegeben wurde, dann müssten wir 2,5 Milliarden zusätzlich für die Hochschulen bereitstellen auf Bundesebene - zufällig, also wirklich zufällig genau der Betrag, der bei Studiengebühren in etwa hereinkäme. Damit sind aber die Wertverluste, also sprich, die Inflationsrate noch nicht ausgeglichen. Also ich denke, wir sind Pi mal Daumen bei zehn Milliarden.
Maleike: Wann rechnen Sie mit der Wiedereinführung der Studiengebühren?
Dohmen: Ich gehe davon aus, dass das schon noch das eine oder andere Jahr ist. Ich sage mal perspektivisch: 2020 haben wir wieder Studiengebühren für Teile des Erststudiums, wobei immer die Frage ist, wo ist die Abgrenzung.
Maleike: Und in der Höhe von 500 Euro, wie gehabt, oder mehr?
Dohmen: Also wenn die Variante zum Tragen kommt, die ich eben kurz angesprochen habe, dass es vielleicht erst das Masterstudium ist, dann glaube ich, dass wir mit 500 Euro nicht hinkommen. Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir Beträge von vielleicht 1.500 oder 2.000, vielleicht auch mehr haben. Ich will jetzt nicht die Zahlen zu hoch treiben, aber ich könnte mir da vorstellen, dass die Beträge etwas über die alten Summen hinausgehen.
Maleike: Ein Studium in Deutschland könnte also in den nächsten Jahren wieder allgemein gebührenpflichtig werden, so lautet zumindest die Prognose von Dr. Dieter Dohmen. Er leitet das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin.
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