Das Hochspannungslabor der ETH Zürich, ein Raum groß wie eine Turnhalle. Das Auge fällt auf Trafos und Generatoren von beeindruckenden Ausmaßen. Doch Christian Franck steuert die hinterste Ecke an – einen Käfig fast so wie in einem Zoo.
"Wenn der Zaun nicht geschlossen ist, wenn die Tür nicht verriegelt ist, kann niemand die Anlage einschalten."
Gefährliche Käfig-Experimente mit Gas
Eine Sicherheitsmaßnahme, denn in dem Käfig läuft ein Experiment, das buchstäblich unter Hochspannung steht. Es zu berühren, wäre lebensgefährlich.
"Die Lampe ist rot, wir können nicht reingehen. Die Anlage läuft Tag und Nacht. Damit können wir automatisiert sehr große Mengen an Daten generieren."
Christian Franck ist Professor für Hochspannungstechnik an der ETH. Mit seinem Käfig-Experiment prüft er, wie gut bestimmte Gasmischungen elektrisch isolieren können. Denn für Bauteile und Leitungen, die bei Hochspannung arbeiten, ist eine gute elektrische Isolierung sehr wichtig – ansonsten drohen Durchschläge, Kurzschlüsse oder sogar Gefahr für Leib und Leben. Das verbreitetste Isoliermittel ist ein Gas namens Schwefelhexafluorid, kurz SF6. Es kann elektrische Felder deutlich effektiver abschirmen als Luft – und wird deshalb häufig in Schaltanlagen und Leitungen als Schutzgas verwendet, etwa um Funkenschläge zu vermeiden. Manche der Anlagen sind ziemlich groß, das Gas in ihnen steht unter Druck.
"Es wird heute genutzt in den Bereichen von 50 kV bis hin zu den allerhöchsten Spannungsebenen, die im Moment 1100 kV sind."
Isoliergas setzt massiv CO2 frei
Nur: Es gibt ein Problem mit SF6. Es ist ein ausgesprochenes Treibhausgas.
"Das Treibhaus-Potenzial von SF6 ist 23.500mal größer als von CO2. Ein Kilogramm SF6 in der Atmosphäre ist so wie 23,5 Tonnen CO2 in der Atmosphäre."
Etwa ein halbes Prozent der menschgemachten Klimaerwärmung dürfte auf das Isoliergas zurückgehen – zu viel, um es einfach zu ignorieren. Rund 7.000 Tonnen entweichen jedes Jahr in die Atmosphäre, schätzen Fachleute. Schon bei der Herstellung von SF6 dürfte einiges freiwerden, vermutet Franck, aber auch durch Fehler in der Handhabung von Hochspannungsanlagen.
"Man könnte sich vorstellen, dass jemand den Schlauch nicht richtig fest dreht oder den falschen Schlauch ansetzt. Dann entweicht Gas in die Atmosphäre. Oder das Tod-Volumen in so einem Gasschlauch zum Beispiel. Da kann es auch Fehler geben in der Anlage. Und dann entweichen gewisse Mengen in die Atmosphäre."
Alternativen für Isoliergas gesucht
Bessere Handhabung und optimierte Produktion – dadurch ließe sich ein Teil der Emissionen einsparen. Doch gefragt sind auch Alternativen, die ohne das Super-Treibhausgas auskommen. An ihnen arbeitet man schon länger, wobei zu unterscheiden ist zwischen Spannungen bis 50 Kilovolt – der sogenannten Mittelspannung – und Spannungen von mehr als 100 Kilovolt, der Hochspannung. Christian Franck:
"In der Mittelspannung gibt es definitiv Alternativen, die man einsetzen kann. Dort hat sich technologisch eine neue Richtung entwickelt, die Vakuumschalter. Dann gibt es auch andere Möglichkeiten zu isolieren. Man kann zum Beispiel mit Feststoffen isolieren, also mit Kunststoff. Man kann auch mit flüssigen Stoffen isolieren. Jeder dieser Stoffe hat seine Vor- und Nachteile. Aber all diese Technologien gibt es in der Mittelspannungstechnik."
Meist aber sind diese Alternativen teurer als SF6, weshalb sie die Industrie eher zögerlich einsetzt. Anders die Situation bei der Hochspannung. Hier gibt es meist noch keine etablierten Lösungen, sondern Prototypen und Forschungsansätze. Christian Franck:
"In der Hochspannung ist es so, dass flüssige oder feststoff-isolierte Anlagen technisch nicht oder nur extrem schwer realisierbar werden. Deswegen wird man dort wahrscheinlich nicht von gasisolierter Technologie wegkommen. Man sucht nach Alternativgasen oder nach Alternativgasmischungen."
Eines dieser Alternativgase ist CO2. Hochspannungs-Schaltanlagen werden damit zwar schon angeboten. Aber, so Christian Franck:
"Für die reine Isolationsanwendung nimmt man CO2 nicht, weil die Isolationseigenschaften deutlich schlechter sind als die von SF6 und die Anlagen wesentlich größer werden müssten."
EU-Richtlinie zu SF6-Gas in Arbeit
Wenn das Gas schlechter isoliert, müssen die Abstände zwischen den Hochspannungsbauteilen vergrößert werden, damit keine Funken überschlagen. Um das zu verhindern, mischt man dem CO2 spezielle, meist fluorhaltige Gase zu – die verbessern die elektrische Isolation. Das Problem:
"Alle haben ihre Vor- und Nachteile. Es ist leider noch niemandem auf der Welt gelungen, die perfekte Alternative zu finden. Den perfekten Ersatz, SF6 aus den alten Anlagen rausnehmen und einfach etwas Neues einfüllen und eins zu eins weiterzubetreiben – das ist unrealistisch."
Je nach Einsatzzweck wird man andere Gasmischungen verwenden müssen – zum Beispiel bei kühlen Temperaturen andere als bei warmen. Für die Industrie ist das eher lästig: Statt des Alleskönners SF6 müsste sie künftig – je nach Einsatzfeld – verschiedene Gasmischungen verwenden. Trotz dieser Probleme hat sich die Industrie zumindest in Europa verpflichtet, die Emissionen nach und nach runterzufahren. Doch konkrete Vorgaben der Politik könnten diesen Prozess langfristig durchaus beschleunigen, meint Christian Franck, der vor einiger Zeit einen Bericht für das Umweltbundesamt zum Thema SF6 mitverfasst hat.
"Es ist unrealistisch zu sagen, in drei Jahren muss das alles weg sein. Das funktioniert nicht. Aber sagen wir mal, man extrapoliert die Reduktionen, die man in der Vergangenheit gemacht hat, verpflichtend in die Zukunft. Das wäre etwas, das die Politik gut vorgeben könnte, und dann zusammen mit der Industrie nach Lösungen suchen, wie man das auch umsetzen kann."
Derzeit ist eine neue europäische Richtlinie zum Umgang mit SF6 in Arbeit. Sie könnte, so die Hoffnung, erste Schritte für eine gesetzliche Regelung der Emissionen enthalten.