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Höchste Alarmstufe
Kongo zwischen Krieg und Cholera

Mehr als 38.000 Menschen sind in der Demokratischen Republik Kongo an Cholera erkrankt, Hunderte bereits gestorben. Die Infektion breitet sich rasend schnell weiter aus - als hätte das Land nicht schon genug Probleme, ausgelöst durch Krieg, Korruption und bittere Armut. Und alles hängt miteinander zusammen.

Von Alexander Göbel |
    Menschen stehen am Fluss Kasai in der Demokratischen Republik Kongo
    In der Provinz Kasai der Demokratischen Republik Kongo kämpfen Rebellen seit mehr als einem Jahr gegen die kongolesische Armee. Aus Sicherheitsgründen fahren auf dem Fluss Kasai kaum noch Boote. (AFP/ Junior D. Kannah)
    Biragi Bugeme trägt seinen fünfjährigen Sohn auf dem Rücken. Beide sind am Ende ihrer Kräfte. Der Kleine ist durch die Cholera völlig ausgezehrt, und Biragi musste ihn 25 Kilometer weit hierher schleppen – in die Behelfsklinik von "Ärzte ohne Grenzen", in der Nähe von Bukavu, im Ostkongo.
    "In unserem Dorf gibt es keinen Brunnen mit Trinkwasser. Wir trinken aus einem Teich. Auch wenn das Wasser verunreinigt ist, es bleibt uns oft nichts anderes übrig. Das ist die Situation – wer sich ansteckt, stirbt. Viele sterben auch deshalb, weil sie nicht das Geld für den Bus haben, um hierher zu kommen."
    Die bittere Armut vieler Menschen ist aber nur eine Ursache dieser Cholera-Epidemie. Eine andere ist der Klimawandel. Cholera-Ausbrüche sind im Kongo nicht selten, aber diesmal verschwindet die Krankheit nicht so schnell. Wegen der viel zu langen Dürre sind viele Bohrlöcher und Brunnen ausgetrocknet, die Menschen trinken, wo sie noch Wasser finden und wo oft schon Kranke vor ihnen getrunken haben. Ein Teufelskreis.
    Helfer werfen der Regierung schwere Versäumnisse vor
    Dazu komme das Unvermögen korrupter Behörden, kritisieren Helfer. Die kongolesische Regierung sei nicht willens oder nicht in der Lage, sauberes Trinkwasser zu organisieren, ganz zu schweigen von einer medizinischen Versorgung.
    "Davon kann hier keine Rede sein", sagt Dr. Innocent Kunywana von "Ärzte ohne Grenzen". "Die wenigen Medikamente, die es gibt, kosten viel Geld. Patienten werden einfach im Krankenhaus festgehalten, weil sie nicht bezahlen können. Viele, die eigentlich wegen ganz anderer Symptome kamen, haben sich im Krankenhaus dann erst mit Cholera angesteckt!"
    In einigen Landesteilen kommt zur Angst vor der Seuche auch noch der Krieg: besonders in der Provinz Kasai, im Zentrum. Dort kämpfen Rebellen seit mehr als einem Jahr gegen die kongolesische Armee. Tausende Menschen sind tot, mehr als eine Million vertrieben, zum Teil in Flüchtlingslager im Nachbarland Angola. Und diejenigen, die nach Monaten zurückkehren, stehen vor dem Nichts.
    "Die Kasai-Krise wurde bislang völlig vernachlässigt", sagt Gabriel Sánchez von "Ärzte ohne Grenzen". "Die Menschen, die in ihre ausgeraubten Dörfer zurückkehren, sind völlig auf sich allein gestellt und sie können nichts tun. Ihre Häuser sind zerstört, sie haben kein Werkzeug, um irgendetwas wieder aufzubauen, und Saatgut für Getreide haben sie auch keins."
    Eine Frau steht mit einem Baby auf dem Arm auf einem Feld in der Demokratischen Republik Kongo
    Manche vom Krieg in der Provinz Kasai Vertriebene können mit Hilfe der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wieder Felder bewirtschaften. Viele, die in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren, stehen vor dem Nichts. (AFP/ Junior D. Kannah)
    Von Ntumbas sechs Kindern hat nur eines überlebt
    Mit leerem Blick sitzt Ntumba Kasomba in einer Aufnahmestelle für Flüchtlinge in der Stadt Tshikapa. Sanitäter untersuchen ihren rechten Arm.
    "Ich war mit den Kindern zu Hause, als die Angreifer kamen. Sie haben unsere Hütte in Brand gesteckt, und als wir fliehen wollten, haben sie meinen Mann und meine Kinder getötet, mich haben sie mit einer Machete geschlagen."
    Von ihren sechs Kindern hat nur eines überlebt – ob Ntumba Kasomba es versorgen kann, ist nicht sicher. Um das Leben der Mutter zu retten, muss ihr Arm amputiert werden. Und wenn sie das übersteht, droht der Hunger. Drei Millionen Menschen brauchen in den Kasai-Provinzen Nahrungsmittelhilfe, fast jedes zweite Kind unter fünf Jahren ist chronisch unterernährt. David Beasley, Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, schlägt Alarm:
    "Bislang haben wir nur ein Prozent des zugesagten Geldes erhalten. Aber Hunderttausenden Kindern droht der Hungertod. Wir erwarten, dass die Geberländer sich an ihr Versprechen erinnern. Und wir müssen schnell handeln, sonst wird diese Lage hier zu einem Chaos führen, das noch viel schlimmere Folgen hat und noch teurer wird als ohnehin schon."
    In der Region gilt die höchste Alarmstufe der UNO
    "Level 3" haben die Vereinten Nationen für Kasai und andere Provinzen des Kongo ausgerufen: die höchste Alarmstufe, die bisher nur für Syrien galt, den Irak und den Jemen. Die Hoffnung: Mehr internationales Geld für die Krisenbewältigung im Kongo. Das Problem jedoch ist Kongos Regierung. Sie habe gar kein Interesse an Stabilität, sagt Richard Moncrieff von der "International Crisis Group".
    "Die Regierung hat keinen großen Plan, sie arbeitet von heute auf morgen, ein weiterer Monat an der Macht ist ein guter Monat, eine Gelegenheit, mehr Geld zu stehlen, das Land weiter auszuplündern. Dabei gibt es keine Strategie, sondern es geschieht einfach, Tag für Tag."
    Die Amtszeit von Präsident Joseph Kabila ist seit Ende 2016 abgelaufen und einen neuen konkreten Wahltermin gibt es immer noch nicht, auch wenn von Ende 2018 die Rede ist. Kabila begründet die immer neue Verschiebung von Wahlen mit der Unsicherheit des Landes, die er und seine Regierung allerdings selbst befeuern.
    "Wir wissen aus Teilen des Landes, dass Mitglieder oder Unterhändler der Regierung dort Konflikte schüren und Milizen bewaffnen, Todesschwadronen bezahlen. Das passiert auf der lokalen Ebene, hat aber große Wirkung. Denn die Regierung nutzt all das, um den Wahlprozess hinauszuzögern."
    Zu sehen ist der Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Joseph Kabila.
    Der Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Joseph Kabila. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Präsident Kabila klebt an seinem Stuhl
    Während die Internationale Gemeinschaft den politischen Gesprächsfaden nicht abreißen lassen will, klebt Präsident Kabila weiter an seinem Stuhl. Gleichzeitig müssen sich Helfer wie "Ärzte ohne Grenzen" um Menschen kümmern, die Opfer dieser Machtpolitik geworden sind. Es sind Menschen wie Sarah Ntumba, aus der Provinz Kasai. Monatelang musste sie sich vor Milizen im Busch verstecken. Jetzt ist sie zurück und steht völlig traumatisiert vor ihrem abgebrannten Haus. Sie ist eine von Hunderttausenden.
    "Wir wissen nicht mehr, wohin. Alles ist zerstört. Nachbarn wurden enthauptet. Wir müssen draußen schlafen, wir hungern, es gibt nichts zu essen."