Christine Heuer: Nach dem schweren Busunglück gestern auf der A9 in Nordbayern geht die Suche nach der Ursache für das Ausbrennen des Busses weiter. Die Sicherheitsdebatte nimmt an Fahrt auf.
Am Telefon ist der bayerische Innenminister, auch Verkehrsminister Joachim Herrmann. Guten Morgen.
Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott.
Heuer: Wir haben es gerade gehört: Es wird noch Wochen, vielleicht Monate dauern, bis wir wissen, was da gestern auf der A9 genau passiert ist. Sie werden natürlich immer informiert, immer auf dem Stand gehalten. Was halten Sie für die plausibelste Ursache?
Herrmann: Klar ist, dass es sich um einen Auffahrunfall am Ende eines Staus handelt. Es spricht die Spurenlage vor Ort dafür, dass der Busfahrer möglicherweise in der letzten Sekunde noch gemerkt hat, dass er jetzt gleich aufprallt, versucht hat, den Bus noch nach rechts auf den Seitenstreifen zu fahren, das aber nicht mehr ganz gelungen ist, und er deshalb mit dem vorderen linken Eck seines Busses auf das hintere rechte Eck des Anhängers des Lkw aufgeprallt ist. Aber das ist ein Auffahrunfall, der ansonsten fast täglich irgendwo in Deutschland passiert.
Wieso dann und offensichtlich in Sekundenschnelle nach diesem Aufprall dann dieses Feuer ausbrach und sich vor allen Dingen in Windeseile über den gesamten Bus ausgebreitet hat, das ist das eigentlich Spannende, das schwierige Thema. Da waren gestern schon die Brandsachverständigen auch der bayerischen Kriminalpolizei vor Ort, Kfz-Sachverständige, und das muss jetzt einfach ganz sorgfältig analysiert werden.
Heuer: Also wir warten ab. – Sie haben gestern am Unfallort gesagt, Herr Herrmann, die anderen Autofahrer auf der A9, die hätten sich unverantwortlich verhalten. Können Sie noch mal genau schildern, was Sie da erlebt haben und was genau Sie damit meinen?
Herrmann: Es war in meinen Gesprächen mit den Feuerwehrleuten vor Ort neben der großen Betroffenheit durch diesen extrem auch belastenden Einsatz eine der ersten Äußerungen der Feuerwehrleute, dass es wieder überhaupt keine vernünftige Rettungsgasse gab. Der Einsatzleiter war zunächst mit einem Feuerwehr-Pkw unmittelbar vor Ort. Der kam noch einigermaßen durch. Danach die eigentlichen Feuerwehrkräfte mit den bekannten Feuerwehr-Lkw mussten sich mühsam wieder durch den Stau einen Weg bilden, obwohl es ja eine klare rechtliche Vorschrift gibt, sobald ein Stau entsteht, egal weswegen, ist sofort die Rettungsgasse zu bilden. Das heißt, es ist ganz eindeutig, dass sich das Eintreffen der Feuerwehr-Rettungskräfte vor Ort um sicherlich mehrere Minuten verzögert hat, weil die Menschen wieder keine Rettungsgasse gebildet haben, und das ist einfach wirklich unverantwortlich.
"Wir reagieren ja jetzt auch durch höhere Strafen"
Heuer: Herr Herrmann, jetzt haben Sie in dieser Antwort drei- bis viermal gesagt, wieder einmal sei es so gewesen, und in der Tat häufen sich ja diese Fälle. Hat die Politik da auch was verschlafen?
Herrmann: Wir haben in Bayern zum Beispiel jetzt an vielen Brücken über den Autobahnen extra Informationstransparente gespannt, wo den Leuten noch mal erklärt wird, wo und wie die Rettungsgasse zu bilden ist, dass man gerade auch bei einer dreistreifigen Autobahn weiß, das ist zwischen dem ganz linken und dem mittleren Streifen zu bilden. Aber wir reagieren ja jetzt auch durch höhere Strafen. Das wird jetzt am kommenden Freitag im Bundesrat endgültig behandelt, und zwar zum einen, dass in Zukunft höhere Bußgelder verhängt werden, wenn jemand keine Rettungsgasse bildet, und dass es jetzt auch ein eigener Straftatbestand sein wird, wenn jemand durch das Gaffen und ähnliche Fehlverhalten ganz konkret die Rettungstätigkeit behindert. Dann wird er in Zukunft mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft.
Der Gesetzgeber reagiert da jetzt sehr konsequent und wir werden in Zukunft auch Kontrollen bei Rettungsgassen durchführen und dann entsprechend solche Bußgelder oder Verwarnungsgelder verhängen, weil wenn einer schon das nicht einsieht...
Jeder von uns – und das hat man gestern wieder gesehen – kann ganz plötzlich selber in der Situation sein, dass er darauf angewiesen ist, dass die Rettungskräfte ganz schnell zu ihm kommen, um ihn zu retten. Diese Überlegung muss doch bei jedem eigentlich verankern, ja, es liegt in meinem eigenen Interesse, dass diese Rettungsgasse für Rettungskräfte freigehalten wird.
Heuer: Herr Herrmann, nun ist es ja ein wirklich zeitlicher Zufall, dass der Bundesrat sich am Freitag mit dem Thema beschäftigt.
Herrmann: So ist es.
Heuer: Sie sagen nun, die Bußgelder werden erhöht. Das klingt sehr vorbildlich. Es hat aber im Vorfeld und bis gestern eine Auseinandersetzung gegeben zwischen den Bundesländern und dem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, auch aus der CSU, weil die Länder nämlich gesagt haben, der Dobrindt, der will die Bußgelder nicht deutlich genug erhöhen.
Herrmann: Ich glaube, dass das jetzt schon angemessen ist. Man muss intern sehen, dass auch der Bundesjustizminister schon gesagt hat, das sei jetzt schon sehr heftig, wie hier die Strafen erhöht werden, auch dass es bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe gibt, wenn jemand die Rettungskräfte behindert. Ich glaube, dass das schon angemessen ist. Das Entscheidende ist jetzt ...
"Wir brauchen jetzt dann wirklich die Kontrollen"
Heuer: Ganz kurz, Herr Herrmann. Entschuldigung! Das müssen wir jetzt den Hörern erklären. Erst mal: Der Straftatbestand ist was anderes als die Höhe des Bußgeldes.
Herrmann: Richtig.
Heuer: Und was meinen Sie jetzt mit angemessen? Welche Summe soll es sein? Ich erkläre noch mal für die Hörer: Bisher sind es mitunter nur 20 Euro Bußgeld und Alexander Dobrindt wollte die auf 115 Euro erhöhen. Und die Länder sagen – ich weiß nicht, ob das auch für Bayern gilt -, das ist immer noch viel zu wenig. Die wollten mindestens 155 Euro.
Herrmann: Ich glaube, das ist jetzt nicht der entscheidende Streit. Ich glaube, dass man darüber jetzt keine lange Debatte mehr führen muss. Es wird in Zukunft Grundtatbestand 55 Euro, mit Behinderung 75 Euro, mit Gefährdung 95 Euro, mit Sachbeschädigung 115 Euro sein. Ich glaube, das Entscheidende, ob das jetzt da noch mal 20 oder 30 Euro mehr sind... Entscheidend ist, das sage ich noch mal: Wir brauchen jetzt dann wirklich die Kontrollen.
In einer Situation – und das war ja gestern wieder der Fall -, wenn es dann brennt, wenn konkret Menschen vor dem Tod gerettet werden müssen, hat natürlich kein Polizist und kein Feuerwehrmann vor Ort die Zeit, sich jetzt auch noch mit der Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbestände von Gaffern oder von Leuten, die keine Rettungsgasse bilden, zu beschäftigen. Das ist ja gerade der Punkt. Das heißt: Die, die dann eigentlich Schuld sind, die kommen ungeschoren davon, weil in der Situation niemand sich mit diesen Leuten beschäftigen kann. Wir werden deshalb nicht umhin kommen, ...
Heuer: Herr Herrmann, trotzdem. Entschuldigung! Lassen Sie uns kurz noch mal bei den Bußgeldern bleiben. Ich glaube, das interessiert Bürger, Hörer und Verkehrsteilnehmer.
Herrmann: Ja.
Heuer: Hohe Bußgelder schrecken ab. Deshalb werden die für andere Delikte auch ziemlich hoch erhoben. Ich hatte es gestern so verstanden, dass die CSU sich nun beweglich zeigt, dass Alexander Dobrindt sagt, er muss doch noch mal darüber nachdenken, ob er da nicht noch eine Schippe drauflegt auf diese geplanten 115 Euro. Wo soll es denn nun enden? Welche Marke ist jetzt gerade im Gespräch? Was wollen Sie am Freitag gemeinsam mit den Ländern genau beschließen?
Herrmann: Wir haben heute Kabinettssitzung. Wir werden jetzt in den nächsten Tagen da noch mal drüber sprechen. Der Bundesverkehrsminister hat das klar angekündigt. Aber das Entscheidende wird wirklich sein: Wir müssen jetzt in Zukunft so wie Geschwindigkeitskontrollen, so wie Alkoholkontrollen auch solche Kontrollen durchführen, auch wenn noch nichts passiert ist, einfach wenn ein Stau da ist, dass in solchen Situationen in Zukunft die Leute auf der Autobahn kontrolliert werden und dann auch sofort vor Ort ein solches Bußgeld verhängt wird, auch wohl gemerkt, wenn noch kein Brand geschehen ist, wenn gerade kein riesen Einsatz läuft. Gerade in solchen Situationen: Jeder von uns muss kapieren, es steht seit Jahren schon klar in der Straßenverkehrsordnung.
Sobald sich ein Stau bildet, ist die Rettungsgasse zu bilden. Das ist das Entscheidende. Und zwar nicht erst, wenn man merkt, da geht es jetzt wirklich um Menschenleben. Das kann keiner, der hinten im Stau steht, wirklich vernünftig erkennen. Jeder muss wissen: Wenn ein Stau sich bildet, dann hat er die Rettungsgasse freizumachen.
"Klar ist, wir müssen da konsequent handeln"
Heuer: Aber bisher wurde darauf ja offenbar von den Behörden und von der Politik nicht so viel Augenmerk gelegt, weil diese Vorfälle ja immer wieder vorkommen. Das war in Österreich übrigens auch so. Da wurde die Rettungsgasse auch meistens nicht gebildet, oder nicht hinreichend gebildet, und dann hat Österreich die Bußgelder auf fast 2.000 Euro erhöht. Seitdem funktioniert das. Ist das kein gutes Beispiel für Deutschland? Sollten wir dem nicht folgen?
Herrmann: Ich glaube, dass das in der Höhe natürlich schon extrem hoch ist. Aber gleichwohl: Mir ist das wirklich ein großes Anliegen und ich kann nur sagen, wir haben die Informationspolitik in dem Bereich deutlich verstärkt. Wir senden auch im Fernsehen Informationsfilme, um den Menschen klar zu machen, wie das mit der Rettungsgasse ist. Ich glaube, dass es immer noch einige gibt, die das noch nicht richtig kapiert haben. Aber klar ist, wir müssen da konsequent handeln, und ich freue mich, wenn da alle an einem Strang ziehen. Ich bin sicher, dass wir da auch am Freitag im Bundesrat zu vernünftigen Beschlüssen kommen werden.
Heuer: Und da noch mal abschließend die Frage, Herr Herrmann. Legt die CSU, legt Bayern, legt der Bundesverkehrsminister von der CSU für diese Sitzung am Freitag noch einmal nach, oder bleibt er bei seinem alten Vorschlag?
Herrmann: Da müssen Sie bitte den Bundesverkehrsminister persönlich fragen.
Heuer: Er ist Ihr Parteifreund und Sie sind beide Verkehrsminister.
Herrmann: Deswegen hat da trotzdem jeder seinen eigenen Standpunkt, vom Land, vom Bund her. Ich kann nur als Innen- und Verkehrsminister in Bayern sagen, wir müssen da sehr konsequent handeln und wir müssen jedem, wenn er es schon nicht selber einsieht, dann auch sehr deutlich machen, es ist unverantwortlich, und das muss dann auch Bußgeld kosten, wenn jemand durch das nicht Bilden einer Rettungsgasse möglicherweise das Leben anderer Menschen gefährdet.
Heuer: Sie haben gerade gesagt, der Verkehrsminister im Bund und im Land, die haben da jeder ihre eigene Auffassung. Das heißt, Sie würden über die Pläne von Alexander Dobrindt hinausgehen wollen?
Herrmann: Wir werden da jetzt darüber reden. Ich bitte um Verständnis, wir führen solche Gespräche bitte nicht über den Deutschlandfunk, den ich wirklich sehr, sehr schätze, sondern das muss jetzt in den nächsten Tagen ...
Heuer: Aber Sie müssen doch mal reden mit Alexander Dobrindt.
Herrmann: Es werden wie üblich im Vorfeld der Bundesratssitzungen auch am Donnerstag die Ministerpräsidenten noch einmal miteinander reden, wie das vor jeder Bundesratssitzung der Fall ist, und dann wird sicherlich darüber auch noch mal gesprochen werden.
Heuer: Joachim Herrmann, der bayerische Innen- und Verkehrsminister. Natürlich ist er ein Politiker von der CSU. Herr Herrmann, vielen Dank für das Gespräch.
Herrmann: Ich danke Ihnen auch und ich wünsche Ihnen alles Gute und all Ihren Zuhörern heute eine unfallfreie Fahrt auf Deutschlands Straßen.
Heuer: Ja, das wünschen wir auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.