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"Höhle der vergessenen Träume"

Der 3D-Film von Werner Herzog "Höhle der vergessenen Träume" kommt in die Kinos. Der Dokumentarfilm beschäftigt sich mit den Tierdarstellungen und Bildwelten der Grotte Chauvet in der Ardèche in Südfrankreich, der sogenannte Sixtinische Kapelle der Steinzeit.

Von Josef Schnelle | 29.10.2011
    Werner Herzog ist der in Deutschland mit Abstand verkannteste Filmkünstler. Seine letzten Filme sind nur noch selten in unsere Kinos gekommen. Anderswo - sogar in den Autorenfilm feindlichen USA - haben sie Preise eingeheimst und veritable Kinokarrieren hingelegt. Wieso eigentlich? Herzogs Blick als Großmystiker des Neuen Deutschen Films ist immer noch etwas ganz Einzigartiges. Einmal wanderte er zu Fuß nach Paris, um Lotte Eisner, der Chronistin des deutschen Stummfilms, in Paris neuen Lebensmut zu geben. Nach jahrelanger Missachtung insbesondere seiner Dokumentarfilme in Deutschland ist er nach Los Angeles gezogen und schmollt von dort ob der Missachtung in seinem Heimatland. Nun hat er sich mit einem spektakulären Projekt zurückgemeldet. In der "Höhle der vergessenen Träume" im französischen Chauvet filmte er mit der 3-D-Kamera und seinem wachen deutschen Romantikerverstand zum ersten und einzigen Mal im "Louvre der Vorzeit" – schaute sich im idealistischen Selbstversuch staunend die Kunstwerke der Künstler längst vergangener Zeiten an:

    "Diese Bilder sind Erinnerungen an lange vergessene Träume. Ist es ihr Herzschlag oder unserer. Werden wir jemals in der Lage sein, die Vision dieser Künstler über eine derart große Zeitspanne hinweg zu erfassen."

    Herzogs 3-D-Kamera schwebt am Anfang wie schwerelos durch die Weinreben, dringt dann ein in die Tiefen der Höhle bis die ersten viele Zehntausende Jahren alten Felszeichnungen von Urtieren auftauchen. Das Filmteam und die Tatsache, dass man filmt, lassen sich nun gar nicht mehr verstecken. Die Lampen flackern und die Entdeckerfreude und die Ergriffenheit Herzogs vor dem Fund der uralten Kunstwerke wird spürbar. Auch die filmischen Auftritte des Regisseurs als atemloser Kommentator im Bild, die er in seinen Dokumentarfilmen seit "La Soufrière" 1977 kultiviert hat, sind nun eingeschränkt. Werner Herzog macht immer klar, dass das, was wir sehen, gemacht ist – ein Ergebnis filmischen Gestaltens.

    "Da wir nur im Gänsemarsch gehen können, hat unser Filmteam keine Möglichkeit sich zu verstecken, um nicht ins Bild zu kommen. Die erste Kammer, die wir erreichen, ist der ursprüngliche Eingangsbereich der Höhle."

    Wenn Herzog die Höhle an einer Stelle mit dem Museum der Museen, dem Louvre, vergleicht, will er unsere Fantasie anstacheln. Vielleicht waren unsere Urahnen keineswegs so primitiv, wie sie von den Paläontologen vorgestellt und von den Anthropologen eingeordnet werden. Die erstaunlichen Tierdarstellungen, die die Gewölbe der Höhle mit einbeziehen und damit einen räumlichen Effekt erreichen, berichten von fernen Zeiten der Wahrnehmung der Welt. Sie sind Zeugnisse der Entstehung dessen, was man heute Kunst nennt. Werner Herzog ist in seinem romantisch-philosophischen Kommentartext, den er dankenswerterweise nach dem englischen Original für die deutsche Fassung noch einmal aufgenommen hat, der enthusiastische Anwalt des Staunens. Was haben die Menschen in der Tiefe der Höhle gemacht? Haben sie dort gelebt, sich vor wilden Tieren versteckt oder haben sie sie als Rückzugsraum für Delirien und Rauscherfahrungen genutzt? Jedenfalls hat der Genuss des Kunstschönen in dieser Höhle unfassbar viele Jahre angehalten.

    "Durch den Vergleich der Malereien in der Höhle kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die Pferde auf diesem Wandbild von einer einzigen Person geschaffen wurden. In unmittelbarer Nähe der Pferde gibt es jedoch überlappende Tierdarstellungen, die eine weitere erstaunliche Tatsache erfüllen. Die Radiokarbondatierung hat gezeigt, dass zwischen der Entstehung der Einzelnen übereinander gemalten Figuren mit großer Wahrscheinlichkeit fast 5000 Jahre liegen."

    Auch für die Möglichkeiten der künstlerischen Verwendung der Mittel des dreidimensionalen Kinos bricht Herzog hier ganz unähnlich und doch vergleichbar mit Wim Wenders Tanzfilm "Pina" eine Lanze. Der Film zeigt, dass die wahren Qualitäten des 3-D-Films, noch gar nicht entdeckt sind. Und natürlich entdeckt Herzog in diesem mitreißenden, bewegenden und formal brillanten Film auch die frühe Lust der Menschen am bewegten Bild – am Kino.

    "Ihnen erschienen die Tiere vielleicht lebendig, so als würden sie sich bewegen. Es ist bemerkenswert, dass der Künstler diesen Bison mit acht Beinen gemalt hat und so Bewegung andeutet, fast wie bei einer Art Urkino."