Ralf Krauter: Die britische Geologin Professor Gina Moseley von der Universität Innsbruck war kürzlich in der Arktis unterwegs. Mit einem internationalen Forscherteam hat sie im Nordosten Grönlands 30 bislang unerforschte Höhlen erkundet - in der Hoffnung, dort Hinweise zu finden, welche Folgen Klimaveränderungen dort einst hatten und künftig haben könnten. Ich habe Gina Moseley vorhin gefragt: Wie abenteuerlich war ihre Expedition in den Hohen Norden?
Gina Moseley: Diese Expedition war wirklich eine unglaubliche Erfahrung. Wir waren 2015 schon mal im Norden Grönlands, waren damals aber den Spuren vorheriger Entdecker gefolgt. Diesmal hatten wir viel größere Ziele und besuchten Gebiete, die nie ein Mensch zuvor betreten hatte. Dabei entdeckten wir viele neue Höhlen. Die Ersten zu sein, die sie erkunden - das war eine tolle Erfahrung. Manche der Höhlen waren nur fünf bis zehn Meter lang und nicht besonders spannend. Andere waren bis zu 100 Meter lang und es war aufregend, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Ecke kommt.
Krauter: Sie haben mehrere Wochen im Nordosten Grönlands verbracht. Wie haben Sie die Höhlen ausgewählt, die sie erkundet haben?
Moseley: Das Ganze begann vor etwa zehn Jahren, ich war damals Mitglied eines Höhlenforscher-Klubs in Großbritannien. Ein älterer Höhlenforscher erzählte mir damals, die US-Armee sei 1960 in Nordost-Grönland gewesen, um während des Kalten Krieges nach Notlandeplätzen für Flugzeuge zu suchen. Und dabei hätten die Soldaten auch einige Höhlen entdeckt, die 1960 in einem kurzen, dreiseitigen Fachartikel beschrieben wurden. Ich erfuhr also während eines Gesprächs in einem Pub erstmals von der Existenz dieser Höhlen – und träumte dann jahrelang davon, sie zu erkunden. Und so kamen wir schließlich nach Nordost-Grönland.
"Mehr über diese Warmphasen erfahren"
Krauter: Was war das wissenschaftliche Ziel, bei der Erforschung dieser Höhlen?
Moseley: Der Fachartikel von 1960 beschreibt zwölf Höhlen, von denen eine Sintergestein enthielt - also Kalk-Ablagerungen wie man sie aus Tropfsteinhöhlen kennt. Sie entstehen, wenn Wasser Kalkstein auflöst und sich die Mineralien an anderer Stelle wieder ablagern. Sintergestein entsteht aber nicht dort, wo kalkhaltiges Wasser von der Decke oder auf den Boden tropft und Stalaktiten oder Stalagmiten bildet, sondern wo dünne Wasserfilme fließen. Das Spannende daran: Diese Region Grönlands ist heute extrem trocken. Es gibt dort unter 200 Millimeter Niederschlag pro Jahr und der Boden ist ganzjährig gefroren. Das heißt, im gegenwärtigen Klima können sich dort unmöglich solche Kalzit-Ablagerungen bilden. Der Artikel von 1960 belegt deshalb, dass es in dieser Region in der Vergangenheit wärmer und feuchter gewesen sein muss als heute. Mein Ziel war es, mehr über diese Warmphasen zu erfahren.
"Informationen sind in den Kalzit-Ablagerungen archiviert"
Krauter: Sie nutzen die Ablagerungen in den Höhlen also, um die jüngeren Kapitel von Grönlands Klimageschichte zu rekonstruieren?
Moseley: Genau. Zum einen erzählen uns die Kalzit-Ablagerungen, wann es in der Region wärmer und feuchter war. Die genaue Untersuchung der einzelnen Schichten des Sintergesteins verrät aber noch mehr. Das Wasser, das einst zu ihrer Bildung führte, enthält chemische Signaturen, die verraten, wie warm und feucht es in einer bestimmten Phase war, ob damals Pflanzen über der Höhle wuchsen und ob es Bäume waren oder Gras. All diese Informationen sind in den Kalzit-Ablagerungen archiviert. Ich nehme Proben und analysiere präzise, welche Substanzen darin enthalten sind, um kleine Veränderungen des Klimas besser zu verstehen.
"Arktis reagiert sehr empfindlich auf den Klimawandel"
Krauter: Was macht diese wärmeren Perioden in der jüngeren Vergangenheit Grönlands so spannend für die Klimaforschung?
Moseley: Die Arktis reagiert sehr empfindlich auf den Klimawandel. Die Temperaturen dort steigen doppelt so schnell wie im globalen Mittel. Und Klimamodellen zufolge, ist der Nordosten Grönlands ein Gegend, die sich – selbst für arktische Verhältnisse - besonders stark erwärmen wird. Allerdings haben wir aus dieser Region kaum Messreihen. Die meisten Klimadaten aus Grönland stammen von Eisbohrkernen. Grönlands Eisschild ist ein tolles Klimaarchiv, das unser Verständnis vom Klimawandel revolutioniert hat, aber es reicht nur rund 128. 000 Jahre zurück. Mit den Kalzit-Ablagerungen in den Höhlen können wir 500.000 bis 600.000 Jahre in die Vergangenheit blicken.
Krauter: Könnten die Proben, die sie gesammelt haben helfen, Klimamodelle und –prognosen zu verbessern?
Moseley: Ja, das ist die Idee. Die Proben aus Grönland verraten uns, wie sich diese sensible Region in einer wärmeren und feuchteren Welt verhält. Mit diesen Daten füttern wir Klimamodelle, damit sie in Zukunft noch präzisere Vorhersagen liefern.
"Als wäre ich in einer Zeitmaschine"
Krauter: Von den 30 Höhlen, die sie erkundet haben – ist Ihnen da eine besonders im Gedächtnis geblieben, weil sie ungewöhnlich interessant oder schön war?
Moseley: Ja, sogar zwei. Die eine hat unser Hubschrauber-Pilot entdeckt. Sie hatte einen unglaublich schönen Eispool am Eingang und riesige Raureifkristalle an ihren Wänden - wie in einer Gefriertruhe. Als wir abwärts hinein gingen, verschwanden die riesigen Raureifkristalle, aber die Wände glitzerten, als ob sie von Diamanten bedeckt wären. Am unteren Ende der Höhle war es mit minus 17 Grad Celsius richtig kalt. Das war absolut atemberaubend.
Eine andere Höhle war die zweitnördlichste von Menschen erkundete Höhle auf unserem Planeten. Auch da gab es riesige tellergroße Raureifkristalle. Diese Höhlen sind heute völlig sterile Umgebungen, weil es dort so kalt ist. Aber es gibt dort diese Sinterablagerungen und auch Tropfsteine. Und ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es wohl war, als in dieser Höhle noch Wasser tropfte und strömte. Es war, als wäre ich in einer Zeitmaschine, die es mir erlaubt, in die Vergangenheit zu blicken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.