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Höhn: Atombetreiber wollen möglichst lange Schrottreaktoren weiterbetreiben

"Krümmel muss wirklich abgeschaltet werden", sagt Bärbel Höhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis'90/Grünen im Bundestag nach dem es erneut zu einem Störfall im Atomkraftwerk Krümmel gekommen ist. Sie verweist dabei auch auf die "unrühmliche Vergangenheit" des Betreibers Vattenfall.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wieder ein Störfall im Atomkraftwerk Krümmel, wieder hat sich der Meiler selbst abgeschaltet. Dabei sollte Krümmel wieder auf seine volle Leistung hochgefahren werden, er war nach zwei Jahren Stillstand erst vor zwei Wochen wieder ans Netz gegangen, aber eben nicht störungsfrei gelaufen. An diesem Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Koalition beteiligt war damals auch die heutige Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn. Guten Morgen.

    Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Frau Höhn, muss Krümmel jetzt abgeschaltet bleiben?

    Höhn: Ja. Krümmel muss wirklich abgeschaltet werden und auch bleiben, und zwar deshalb, weil Krümmel einfach wirklich ein absolut störanfälliger Reaktor ist und immer wieder Probleme gemacht hat. Es ist nicht von Ungefähr, dass auch die zuständige Ministerin jetzt deutlich zu dem Betreiber gesagt hat, sie zweifelt langsam auch zunehmend an seiner Zuverlässigkeit. Es wird ja auch wirklich immer gesagt, ja, hier ist alles total im grünen Bereich in Deutschland und diese Atomkraftwerke laufen alle sicher. Wir wissen aber, dass gerade auch die alten Atomkraftwerke sehr, sehr störanfällig sind, und wir haben jetzt ja sogar auch mit Greenpeace erlebt, wie leicht es ist, aufs Gelände zu kommen, wie leicht es ist, zum Beispiel auf so einen Reaktor zu kommen, also von vielen Seiten Unsicherheiten und das können wir uns einfach gar nicht bieten lassen. Krümmel muss abgeschaltet bleiben und es ist ja auch möglich. Man kann diese Laufzeiten auf jüngere Atomkraftwerke übertragen. Das heißt, es wäre noch nicht mal ein Verlust für die großen Energiekonzerne, aber es wäre sehr viel mehr Sicherheit für die Bevölkerung.

    Müller: Bleiben wir, Frau Höhn, noch einmal bei Ihrem letzten Argument. Wir haben unterschiedliche Angaben über die Energiekapazitäten bekommen, die Krümmel liefern kann. Können wir uns das energiepolitisch leisten, dass Krümmel vom Netz bleibt?

    Höhn: Ja, das ist gar keine Frage. Es wird ja immer argumentiert, wenn wir die Atomkraftwerke abschalten, dann gibt es eine Stromlücke, dann können wir gar nicht so viel Strom liefern, das ist eindeutig falsch. Wir hatten vor zwei Jahren sieben Atomkraftwerke gleichzeitig weg vom Netz und es hat nicht eine Glühbirne geflackert. Das heißt, es hat überhaupt gar kein Versorgungsproblem gegeben. Deutschland exportiert sehr viel mehr Strom als es importiert. Das heißt, auch von daher haben wir keine Probleme, wenn wir Atomkraftwerke abschalten. Krümmel ist einfach sehr, sehr störanfällig. Von daher wäre es auch sinnvoll, gerade wenn man Erneuerbare nach vorne bringen will wäre es sinnvoll, wirklich aus der Atomkraft auszusteigen, weil wir sehen zunehmend, dass Atomkraft und Erneuerbare nicht zusammengehen. Das haben Aussage der Energiekonzerne in Großbritannien noch mal deutlich gemacht.

    Müller: Sind Sie jetzt, Frau Höhn, auch ein bisschen froh, wenn Sie uns das verraten könnten, dass das Krümmel-Desaster genau in Ihre Ideologie passt?

    Höhn: Nein, darüber bin ich eigentlich nicht froh, weil man muss eigentlich immer erschrocken sein, wenn wieder ein solcher Vorfall stattfindet, weil damit deutlich wird, dass die eigenen Argumente zwar stimmen, aber das ist genau das Problem, was Sie angesprochen haben, die Sicherheit für die Bevölkerung, dass die nicht optimal gegeben ist. Darüber bin ich eher erschrocken, denn bei so einem Atomkraftwerk kann es ja ganz richtig gefährlich werden. Deshalb ist es einfach wichtig, dass da endlich mal Konsequenzen gezogen werden und die alten Atomkraftwerke, die wir hier in Deutschland haben, jetzt sehr schnell abgeschaltet werden.

    Müller: Sie sind ja Anti-Atom-Profi, Frau Höhn. Das heißt, Sie haben jetzt gesagt, Sie sind erschrocken. Aber wie ist das zu erklären? Die Sicherheitsbedingungen und die Sicherheitsmaßnahmen und Mechanismen in Krümmel haben ja funktioniert.

    Höhn: Nein, aber man muss eines sehen: Ich sage mal die Frage ist doch, wie sie funktioniert haben. Das scheint ja offensichtlich ein schwererer Vorfall gewesen zu sein.

    Müller: Aber er ist immerhin abgeschaltet worden beziehungsweise hat sich selbst abgeschaltet.

    Höhn: Ja nun, ich sage mal, ganz schlimm wäre es ja wohl gewesen, wenn er sich nicht abgeschaltet hätte und ein Riesenproblem entstanden wäre. Das wäre ja der allergrößte anzunehmende Unfall dann gewesen. Daran wollen wir gar nicht denken, was das bedeutet hätte. Ich sage mal, da muss ja immer alles funktionieren in Atomkraftwerken. Insofern kann man schon erschrocken sein, wenn auch zu viele Vorfälle und Störfälle passieren. Ich will vielleicht eines noch mal zu der Sicherheit sagen. Wir haben gerade im Umweltausschuss diskutiert, dass die bestmöglichen Sicherheitsmaßnahmen, die jetzt eigentlich eingeführt werden sollten, noch mal verschoben werden, und das es sozusagen dann auch stärker eine Frage des Geldes ist und der Verhandlungen mit den Ländern, wie die Maßnahmen jetzt bei den Atomkraftwerken umgesetzt werden. Das heißt, es ist keineswegs so, dass die bestmögliche Technik bei den Atomkraftwerken eingesetzt wird, sondern das ist das Ergebnis unserer Gespräche jetzt im Umweltausschuss auch mit dem Umweltminister, dass der Umweltminister, dass der Bund also mit den Ländern darüber verhandelt, welche Sicherheitsmaßnahmen jetzt wirklich gemacht werden, und das eigentliche Prinzip, was sonst immer gilt, bestmögliche Technik, hier erst mal für ein paar Jahre ausgesetzt wird.

    Müller: Sie haben ja, Frau Höhn, in den vergangenen Wochen und Monaten sehr, sehr viel auch mit den Kernkraftbetreibern gesprochen, namentlich auch mit dem Krümmel-Betreiber Vattenfall. Wie erklären Sie sich die Unternehmensstrategie dort, weiterzufahren?

    Höhn: Das ist auch etwas, was sich mir nicht erschließt, denn Vattenfall selber ist ja immer wieder in die Schlagzeilen gekommen. Vattenfall ist der Betreiber von Forsmark in Schweden gewesen, das Atomkraftwerk, was vor einigen Jahren fast genauso in die Luft gegangen wäre wie Tschernobyl und von einem solchen größtanzunehmenden Unfall noch mal gerade 20 Minuten entfernt war, ehe sie das Ding zum Stoppen bekommen haben. Und das, was wir dann von Vattenfall präsentiert bekommen haben, das war nur eine Geschichte des Grauens. Da hat sich der Vattenfall-Chef nachher auch für seine Mitarbeiter entschuldigt, da hat es bei der Weitergabe von Vorgaben, macht jetzt das, überhaupt nicht funktioniert. Die, bei denen die Befehle angekommen sind, haben was anderes gemacht, oder aber das stimmte gar nicht, dass diese Befehle weitergegeben worden waren, also ganz komische Umstände. Es gab Alkohol am Arbeitsplatz. Also Vattenfall hat eine unrühmliche Vergangenheit, was den Betrieb seiner Atomkraftwerke angeht, und deshalb kann man sich das, was da passiert, eigentlich überhaupt gar nicht erklären.

    Müller: Halten Sie Vattenfall für unglaubwürdig?

    Höhn: Der entscheidende Punkt ist ja, ob Vattenfall zuverlässig ist, und das muss man klären, denn ein Unternehmen, was nicht zuverlässig ist, im Atombereich weiter auch mit diesen störanfälligen AKWs tätig sein zu lassen, das ist schon schwierig, da muss man auf jeden Fall große Auflagen machen. Und das mit dieser Blackbox, die dort nicht funktioniert hat, war ja auch eine Auflage, die das Ministerium Vattenfall gemacht hatte, und Vattenfall hatte sich sofort dagegen gewehrt, auch sofort dagegen geklagt. Also man sieht: diese Atombetreiber, die wollen dann möglichst noch lange mit relativ wenig Auflagen ihre Schrottreaktoren weiterbetreiben.

    Müller: Bei uns live im Deutschlandfunk die Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.