Im Hölderlinturm schlägt jetzt ein Metronom. Das Herz der Poesie. Der in die Wand eingelassene Zeiger soll uns mit seinen Bewegungen spüren lassen, was Hölderlin antrieb. Eine innere Unruhe, die sich aber poetisch in strenge Rhythmen gliedern ließ, in griechische Versmaße. Und dieser Ansatz, Literatur nicht nur visuell, sondern auch musikalisch erfahrbar zu machen, durch den Rhythmus auch etwas über den Entstehungsprozess von Poesie mit zu erzählen, der zieht sich durch das ganze Haus.
Mit Hölderlin gesagt: "Der Güter Gefährlichstes ist die Sprache, aber immer bestehet ein Maß." Das ist auch das Dilemma – und die Herausforderung – für jemanden, der den Turm nun als Museum neu konzipieren soll: gefährlich insofern, als man den Hölderlin-Mythos natürlich miterzählen muss – den Ort aber nicht mehr zur Weihestätte machen darf. Und will man hier wirklich von Literatur handeln, so muss man mit Augenmaß vorgehen – man darf das Ganze nicht zu sehr "didaktisieren", sonst wird der Besucher keine eigenen Erlebnisse mehr haben.
Körperliche und sinnliche Erfahrung
Thomas Schmidt, der in Marbach die Arbeitsstelle für literarische Museen und Gedenkstätten leitet, hat diese Probleme mit Bravour gelöst. Er bietet viel biografisches Material, um das irrwitzige Leben des unglücklichen Hölderlin plastisch zu machen – vom evangelischen Stift bis zum Turm. Die schwierigste Stelle des Parcours ist die Türschwelle, an der man aus der frühen Stiftzeit in die Endphase im Turm quasi springen muss – denn die Ausstellung bleibt immer in Tübingen; Jena, Frankfurt, Bordeaux, Homburg bleiben außen vor. Andererseits wird man zu technisch hochgerüsteten Vitrinen geleitet, wo man Gedichte sehen, hören und, durch Handauflegen auf ein Holz, das pulsierende Versmaß der Strophen auch taktil spüren kann.
"Der Besucher soll mitnehmen, auch als körperliche, auf jeden Fall als sinnliche Erfahrung, was Sprache zur Kunst macht. Man kann hier mit Auge, Ohr und Hand zugleich Hölderlin-Gedichte hören, man kann in einem Sprachlabor mit Sprache spielen und auch Sprache als Ereignis, also ganz performativ erleben." sagt Thomas Schmidt.
Hexameter in Bewegung
Noch auf dem kleinen Gartenweg neben dem Turm kann man im Rhythmus eines Gedichts gehen, das einem auf Kopfhörer in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zugespielt wird. Am Knirschen der eigenen Schritte erfährt man, dass diese Hexameter in Bewegung entstanden sein müssen, Gedichte eines unruhigen Wanderers. So wie man sich vorstellen kann, dass Hölderlin schon als Student im Stift seine Kommilitonen nachts fürchterlich genervt haben muss, wenn er im Schlafsaal im Rhythmus seiner Verse hin- und herging.
"Was man noch erfahren kann, ist, dass ein Mensch sich an seiner Zeit so reiben kann, dass er wund wird und vielleicht einen solchen Ort als Rückzugsraum braucht."
Hölderlins Einsamkeit im Turm ist zumindest atmosphärisch ein Thema – und kontrastiert mit den schwärmerischen Utopien in den dargebotenen Gedichten, die an der Wirklichkeit zerschellen. Ja, der Turm war auch ein Gefängnis, absurd genug für jemanden, der immer "ins Offene" wollte.
Vorfahr moderner Lyrik
Thomas Schmidt fängt das auf, indem er die Jahreszeiten zu erzählerischen Leitmotiven der Ausstellung erhebt – so, wie sie auch Hölderlins Naturlyrik geprägt haben. Der Blick von Hölderlins Zimmer nach draußen auf den Neckar ist immer noch betörend schön – obgleich die Platanenallee auf der Neckarinsel erst während Hölderlins Aufenthalt bei Zimmer angelegt wurde, und er also ganz anderes sah als wir heute. Vor dem Fenster liegen in einer Vitrine dann all die Bücher, in denen Hölderlins Geisteszustand diskutiert wird – von Waiblinger über Laplanche bis zu Pierre Bertaux, der den angeblichen Wahnsinn für eine Maskierung hielt.
Thomas Schmidt löst sein Konzept der "inszenierten Authentizität" aufs Schönste ein, indem er Hölderlin als Vorfahren moderner Lyrik kenntlich macht – und ihm seinen eigenen Raum lässt. Wer oben im leeren Rundzimmer des Turms steht, kann den Gemütszustand des einsamen Dichters nachempfinden.