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Höllen-Trip an der Volksbühne

Signa ist ein dänisches Performance-Kollektiv, das versucht, eine spezielle Beziehung zwischen Theater-Behauptung und wirklichem Leben herzustellen. Nun haben die Künstler für die in Berlin einen Nachtklub eröffnet. Im "Club Inferno" wird der Besucher auf verschiedene Wege durch die Hölle geschickt.

Von Michael Laages |
    Die Verabredung über Theaterkritik geht ja so – zwar sind Verbindlichkeit, Klarheit und Wiedererkennbarkeit anzustreben, aber Objektivität ist nicht drin; weil im Grunde aber jeder und jede weiß um diese Subjektivität im Urteil, wird das "Ich" nicht gebraucht im Bericht. Im "Club Inferno" ist das etwas anders – denn jeder und jede nimmt den eigenen Weg durch die Zeit bis Mitternacht; und wenige grundsätzliche Einschätzungen sind nur deshalb möglich, weil das Projekt immer kenntlich bleibt als theatralische Behauptung. Vielleicht ist das sogar die stärkste Schwäche.

    Denn ist die Geschichte um Herbert Godeux wirklich nötig? Signa führt einen Klub-Direktor ein, einen Sonderling, der gern Vergil wäre und das Etablissement im Geist der Hölle der vor zehn Jahren verstorbenen Mutter gewidmet und geweiht hat; ein Muttchen offenbar, das den Sohn "Herbertchen" nannte. Godeux begrüßt das Publikum, nein: die Gäste, mit dieser Erinnerung; später schwebt er durch verschiedene Szenerien des höllischen Klubs, etwa als Ikarus und nach diesem Absturz spielt er auch Flöte mit Elektra, der Nymphe, die im Limbus (der Vorhölle) einsam sein muss; er beschimpft Gäste, die da nicht angemessen aufmerksam lauschen, und zetert: "Aber ich mach‘ das alles doch nur für Euch!". Da ist es wieder: das Theater. Aber Godeux ist eben nicht Godot, er hat zwar auch ein Geheimnis, ist aber immer anwesend – als Herr der Farce, die für ihn die Hölle ist.

    Nach der Begrüßung werden wir von Satyrn (schillernden Clownsfiguren, die schnell zu Folterknechten werden) auf verschiedene Wege durch die Hölle geschickt, ich als einer der rundesten komme gleich an den Tisch der Völlerei. Die Tafel ist reich, aber überschaubar: Würstchen, Eier, Trockenfisch; und nur schrillbunte Cocktails und flüssig-weiße Schokolade, die in einem Fondue-Kocher brodelt. Ich bekomme vom Koch sogar die Traubenkrone des Dionysos aufs Haupt gedrückt, darf Gastgeber sein, eine Fußwaschung gibt’s auch, und wir plaudern ein bisschen – dann aber wird der Koch von den Terror-Satyrn vollgestopft mit Würstchen und Schoko-Schmadder. Hölle muss halt eklig sein.

    Nächste Station für mich: die Wüste. Dort herrscht ein schwuler Gott, der Männer nicht riechen kann – und derart grob ist, dass ich lieber den Höllenkreis wechsle und schon im Letzten lande: beim Verhör von Judas, dem Verräter.

    Geprügelt wird der Arme, mit Kunst-Eis bekippt, mit dem Feuerlöscher attackiert (Achtung: Mund und Nase schützen!); später, beim zweiten Besuch, erzählt Judas, dass natürlich (wie die Bibelforschung schon länger weiß) alles ganz anders war und er der engste Vertraute (und Ko-Revoluzzer) des Herrn.

    Ich gehe bei Medusa und den Gorgonen vorbei – die Chefin umschlängelt mich mit einer Billig-Natter aus dem China-Shop nebenan; ich kann nicht alle ihre Fragen beantworten, lade sie (und die schöne Persephone) zum Wodka ein und werde dann von ihr ungeschickterweise wieder in die Wüste geschickt, zum Gott der Grobheit. Da wandere ich lieber hin und her, habe keine Lust auf höllische Lotterien sehe gleich gegenüber der Lotto-Bude eine Menge theatralischer Behauptungen sexueller Gewalt, die mich nicht anmachen, nicht mal zum Eingreifen reizen (wie ehedem Signas Gewaltszenen in Salzburg) – und lande schließlich im Gespräch mit der treu für ihr Herbertchen sorgenden Elektra, ein paar Wodkas inklusive.

    Kurz vor Mitternacht (wenn Godeux erschöpft zusammenbricht im Foyer und so auch für die Letzten, wie mich das Zeichen zum Aufbruch gibt) kommt die schöne Rothaarige aus dem "Übelgraben" (Frau Signa selber) und fragt, warum ich nicht beim Folter-Spiel mit ihr war; es hat sich nicht ergeben. - Ob es ihr gelungen ist, durch all die Höllenkreise dieses Klubs hindurch das Bewusstsein des Abgrunds zu wecken bei dieser und jenem – wer weiß. Die Szenerie will stark sein, ist aber oft bloß ruppig und rüde. Der große Moment der Berührung, der Bruch mit der Natur in der Aufhebung aller Grenzen, die Kunst und Theater naturgemäß setzen, bleibt rar.

    Mit Godeux hat Signa sich das Theater ins Haus geholt – es steht ihr nun im Wege.