Der Königreichsaal in Berlin-Spandau füllt sich. Die Ankommenden begrüßen sich freundlich mit Handschlag, unterhalten sich, lächeln. Eine sogenannte Versammlung – also Gemeinde – der Zeugen Jehovas. Im Königreichsaal, ihrem Gotteshaus, treffen sie sich zweimal die Woche, um Gottesdienst zu feiern, zu singen, zu beten und um die Bibel zu studieren.
Der Raum gleicht eher einem Vorlesungssaal als einem Gotteshaus: Die einzige Dekoration besteht aus wenigen kleinen Blumensträußen, die auf einer Art Bühne drapiert sind. Darüber an der Wand ein Bibelvers: "Dankt Jehova, denn er ist gut." Die Versammlungsmitglieder hingegen sind auffallend herausgeputzt.
"Wir sehen die Versammlung als Gottesdienst an, gewissermaßen als Heiligendienst Gott gegenüber. Und gemäß diesem Gottesdienst haben wir auch den Wunsch uns entsprechend würdig zu kleiden."
Uwe Buchholtz ist der Koordinator der Spandauer Versammlung und einer der zehn sogenannten Ältesten, dem Leitungsgremium der Gemeinde. Mehr als 70 solcher Versammlungen mit jeweils 50 bis 150 Mitgliedern haben die Zeugen Jehovas nach eigenen Angaben in Berlin. In ganz Deutschland sind es mehr als 165.000 Mitglieder. Eine kleine Minderheit zwar, doch seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Mit ihren Zeitschriften "Wachtturm" und "Erwachet" stehen sie an Bahnhöfen und Fußgängerzonen oder pilgern von Haus zu Haus, um von ihrer Botschaft zu erzählen: dem Königreich, das Gott, den sie Jehova nennen, schon bald auf der Erde errichten werde. Sie glauben daran, dass das Ende dieser Welt unmittelbar bevorsteht. In der sogenannten Schlacht bei Harmagedon würden all diejenigen vernichtet, die sich nicht zu Gott bekennen.
"In der Schlacht kämpft Jesus Christus als der von Gott beauftragte König mit seinen heiligen Engeln gegen Satan und seine Dämonen und gegen die menschliche Gesellschaft, die Gott nicht gehorchen möchte. Das Ergebnis würde sein, dass diejenigen Menschen überleben, die bereit sind in Einklang mit dem Willen Gottes zu leben."
Sagt Armin Pikl. Er arbeitet in Selters im Taunus in der Zentrale der Zeugen Jehovas als religionsrechtlicher Berater. Für ihn ist Harmagedon ein Ereignis, das er freudig erwartet. Denn diejenigen, die Jehova nachfolgen, würden gerettet und am tausendjährigen Friedensreich teilhaben. Dieses Friedensreich werde nach der apokalyptischen Katastrophe errichtet – und zwar hier auf der Erde. In dieser "neuen Welt" werde der paradiesische Zustand wiederhergestellt, der laut Bibel herrschte, bevor Adam und Eva aus dem Garten Eden verbannt wurden. 144.000 sind auserwählt, so die Lehre, um gemeinsam mit Jesus Christus im Himmel zu herrschen. Alle anderen, die an Jehova glauben und gerettet werden, führen fortan ein paradiesisches Leben auf der Erde. Dieses Ereignis, die Apokalypse, sei nahe, davon ist Pikl überzeugt. Die gegenwärtigen, weltweiten Krisen seien dafür ein Indiz.
"Die Bibel nennt ja gewisse Merkmale für die Zeit des Endes, die sich alle zusammen in einer Zeitspanne erfüllen sollen. Darunter eben weltweite Kriege, Erdbeben, Hungersnöte. Sittliche Einstellungen von Menschen. Dass sie sittlich immer mehr verfallen, dass sie immer mehr aufeinander losgehen, die Welt im Prinzip immer unfriedlicher wird. Und auf der anderen Seite nennt die Bibel auch eine Entwicklung: Dass es so ein Glaubensvolk geben wird, das bereit ist, Gottes Einladung an die Menschen weltweit auszusprechen."
Das Glaubensvolk, das Gottes Einladung unter die Menschen bringt, seien die Zeugen Jehovas selbst. Ein genaues Datum, wann es so weit sein wird, nennen sie heute aber nicht mehr. Denn mehrere Prophezeiungen der Vergangenheit haben sich nicht erfüllt. Allen voran die des Gründers der Religionsgemeinschaft, Charlez Taze Russel. Ende des 19. Jahrhunderts rief er in Nordamerika die Gruppierung ins Leben, die damals noch "Ernste Bibelforscher" genannt wurde. Er prophezeite die Endzeitschlacht für das Jahr 1914. In diesem Jahr brach dann zwar der Erste Weltkrieg aus, die neue Welt, das Paradies auf Erden blieb jedoch aus.
Abrücken von der Fixierung auf das Zeitenende
Die sogenannte Wachturmgesellschaft, die als leitende Körperschaft die Religionsgemeinschaft von New York aus steuert, hat die Prophezeiung deshalb später umgedeutet. 1914 wird jetzt nicht mehr als Zeitenende gesehen, sondern nur mehr als Beginn der Zeitspanne, die das Ende einleitet. In einem Wachturm-Artikel heißt es:
"Die Bibel bezeichnet die Zeit, in der wir leben, als 'die letzten Tage' oder als 'Zeit des Endes'. Sie begann im Jahre 1914, als Jesus Christus im Himmel als König eingesetzt wurde. Sie wird enden, wenn Gott das gegenwärtige böse System der Dinge vernichten wird."
Die genaue Zeit und Stunde, so sagen die Zeugen Jehovas heute, kenne nur Gott selbst. Vermutlich, um sich nicht mit weiteren falschen Prophezeiungen unglaubwürdig zu machen, scheint die Religionsgemeinschaft von ihrer Fixierung auf das Zeitenende abzurücken. Stattdessen, so die Beobachtung von Religionswissenschaftlern, konzentriere sie sich mehr auf das Hier und Jetzt.
Eine Entwicklung, die auf den ersten Blick paradox scheint. Schließlich ist für die Zeugen Jehovas unsere Zeit, die von materialistischen Gesellschaften geprägt ist, identisch mit jenem "bösen System der Dinge", von dem im Wachturm-Artikel die Rede ist. Doch es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Gemeinschaft in genau diesen materialistischen Gesellschaften mehr und mehr ankommen möchte. In Deutschland beispielsweise streiten die Zeugen Jehovas seit 1990 vor Gerichten um die Anerkennung als "Körperschaft des öffentlichen Rechts". Armin Pikl erklärt, warum:
"Die meiste Wirkung hat der Körperschaftsstatus für die innere Organisation der Religionsgemeinschaft, weil es die Verwaltung der gesamten Religionsgemeinschaft in sehr einfacher Weise durch eigene Regelungen erlaubt. Wogegen wir vorher unter dem Vereinsrecht existierten, so dass jede örtliche Versammlung ein eigener Verein war. Man kann sich vorstellen, dass das ein riesiger Verwaltungsaufwand ist, der dann jetzt wegfällt durch die Körperschaftsrechte."
Nach jahrelangem Rechtsstreit, der bis vor das Bundesverfassungsgericht ging, musste der Berliner Senat den Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus verleihen. Dreizehn weitere Bundesländer folgten. Lediglich Bremen und Nordrhein-Westfalen fehlen. Aktuell wird über die Anerkennung in Bremen gestritten – mit absehbarem Ausgang. Die Bremer Verwaltung wird der Religionsgemeinschaft wohl kaum einen systematischen Mangel an Rechtstreue nachweisen können, um ihr den Körperschaftsstatus vorzuenthalten. Schließlich fanden Gerichte und Verwaltungen der anderen Bundesländer bisher keine überzeugenden Einwände.
Der Religionsgemeinschaft geht es dabei vor allem um eine rechtliche Klarstellung. Rein faktisch ändert es für die Gemeinschaft nichts, ob sie nun deutschlandweit anerkannt ist oder nicht. Steuervergünstigungen – wie sie im Zusammenhang mit dem Körperschaftsstatus immer wieder genannt werden – genießen die Zeugen Jehovas längst. Religionsunterricht, kirchliche Beamte oder eine eigene Kirchensteuer wollen sie gar nicht.
Es geht also ums Prinzip – und: um gesellschaftliche Anerkennung. Immerhin war die Religionsgemeinschaft lange Zeit als Sekte verschrien. Vor allem in den 1980er- und 90er-Jahren machten Kritiker und die Sektenbeauftragten der großen christlichen Kirchen Stimmung gegen die Zeugen Jehovas.
Im Rahmen der Körperschaftsverfahren wurden intensive Untersuchungen angestellt. Und auch eine Enquetekommission Anfang der 1990er Jahre beschäftigte sich mit den Zeugen Jehovas, sagt der Leipziger Religionswissenschaftler Raik Zillmann.
"Dort hatten Wissenschaftler, Politiker, Vertreter aus der Gesellschaft das Phänomen Sekte, was meiner Einschätzung nach durch die Kirchen in die Politik getragen wurde, begutachtet und da zählten auch viele Vorwürfe bei Zeugen Jehovas dazu. Traf vor allem die Frage der Bluttransfusion, die Frage der Züchtigung von Kindern, der Umgang mit ausgeschlossenen und ausgetretenen Mitgliedern. Dort konnten keine Hinweise auf ein wirklich gesellschaftsschädigendes Verhalten festgestellt werden."
Zillmann hat die Religionsgemeinschaft 15 Jahre lang erforscht. Er ist nicht der Auffassung, die Zeugen Jehovas seien eine Sekte. Dennoch sieht er kritische Punkte, gerade, wenn es um Kinder und Jugendliche geht.
"Ein Kind, was seit dem Kindergarten immer wieder offensiv nach außen vertreten muss, warum es keinen Geburtstag feiert, warum es kein Weihnachten feiert, ist ein Kind, was ständig im Reibungspunkt zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der Religionsgemeinschaft steht. Und das halten auch viele Kinder und Jugendliche dann nicht aus und verlassen dann auch die Gemeinschaft. Andere wiederum halten das sehr gut aus und sehen das auch als Identifikation mit der Religionsgemeinschaft und haben damit auch keine Probleme."
Harter Umgang mit ausgetretenen Mitgliedern
Am kritischsten sieht der Religionswissenschaftler den Umgang mit ausgetretenen Mitgliedern. Diese werden in der Regel mit dem sogenannten "Gemeinschaftsentzug" bestraft.
"Wir imaginieren ein Kind, was seit dem Kindergartenalter die Lehren der Zeugen Jehovas verteidigen musste, Freundschaften und Sozialkontakte eigentlich nur innerhalb der Zeugen Jehovas aufbauen konnte, und dann aus welchem Grund auch immer, vielleicht mit 30 beschließt, nicht mehr Zeuge Jehovas sein zu wollen und jetzt plötzlich merkt, dass seine gesamte Familie, seine gesamte soziale Gruppe sich von ihm abwendet. Und die Abwendung kann dahingehend sein, dass mit ihm nicht mehr über religiöse Dinge gesprochen wird, das wäre noch so der einfachste Gemeinschaftsentzug. Aber es kann auch sein, dass der Kontakt zu ihm vermieden wird, dass ehemalige Freunde die Straßenseite wechseln. Und das führt oft dazu, dass diese Menschen in ein tiefes schwarzes Loch fallen, weil neue Sozialkontakte auch so schnell nicht aufbaubar sind und man sich natürlich immer wieder die Frage stellt: Ist das jetzt meine Person, die abgelehnt wird oder eigentlich nur meine Entscheidung, nicht mehr Zeuge Jehovas sein zu wollen."
Doch der Religionswissenschaftler beobachtet im Zuge des Anerkennungsverfahrens als Körperschaft zahlreiche Lockerungen in Lehre und Praxis der Religionsgemeinschaft. Etwa beim Blutverbot, das Zeugen Jehovas aus der Bibel ableiten. Wer etwa eine Bluttransfusion akzeptierte, wurde bis zum Jahr 2000 mit Gemeinschaftsentzug bestraft. Fälle, in denen Zeugen Jehovas starben, weil sie Bluttransfusionen verweigerten, erregten großes Aufsehen. Inzwischen ist die Wachturmgesellschaft in dieser Frage weniger rigoros. Ob sich ein Zeuge Jehovas zum Beispiel auf eine Krebstherapie, bei der Leukozyten eingesetzt werden, einlässt, ist jetzt dem Einzelnen überlassen, seiner individuellen Gewissensentscheidung.
"Es ist schon erstaunlich, was in den letzten 20 Jahren an Veränderungen stattgefunden hat. Das betrifft zum einen die Blutfrage, dass viele Blutbestandteile jetzt von Zeugen Jehovas genommen werden dürfen. Das betrifft die Mitgliedschaft in Gewerkschaften und betrieblichen Organisationen, die nicht mehr grundsätzlich verboten sind, nach Einschätzung der Religionsgemeinschaft auch nie grundsätzlich verboten waren, aber jetzt das auch so kommuniziert wird."
In Wachturm-Artikeln wird jetzt häufiger die Gewissensentscheidung jedes Einzelnen bei diesen und anderen Glaubensregeln betont. Mit dieser Öffnung entwickeln sich die Zeugen Jehovas nach Ansicht von Religionswissenschaftlern in eine Richtung, die für jüngere religiöse Gemeinschaften typisch ist. Nach der Gründung folgt zunächst eine Phase der Institutionalisierung, die meist von dogmatischen Überzeugungen und radikalen Lehren geprägt ist. Bei Endzeitgemeinschaften, wie den Zeugen Jehovas, steht die apokalyptische Erwartung im Mittelpunkt. Wenn aber über Jahrzehnte hinweg oder länger die Prophezeiungen für die Endzeit nicht eintreten, steht die Gemeinschaft in der Gefahr, unglaubwürdig zu werden. An genau dieser Schwelle scheinen die Zeugen Jehovas sich seit geraumer Zeit zu befinden. Eine alleinige Fixierung auf die Endzeit lässt sich nicht mehr durchhalten.
Keine Einmischung in die Politik
Stattdessen scheint die Gemeinschaft in eine Phase der gesellschaftlichen Etablierung eingetreten zu sein. Und damit einhergehend verbessert sich auch ihr Bild in der Öffentlichkeit nach und nach. Einzig von der Politik fühlt Armin Pikl sich noch nicht richtig anerkannt:
"Was bisschen schade ist, ist, dass es in Teilen der Politik durchaus die Tendenz gibt mit Zeugen Jehovas eigentlich nicht reden zu wollen, oder sie ignorieren zu wollen oder sie generell in einem schlechten Licht darzustellen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass die Politik oft die Nähe der Kirchen sucht, weil dort Wähler zu finden sind, bei den Zeugen Jehovas ist das ja nicht der Fall."
Denn die Teilnahme an politischen Wahlen beziehungsweise eigene politische Aktivitäten ihrer Mitglieder werden von der Religionsgemeinschaft kritisch gesehen. Zeugen Jehovas verfolgen einen apolitischen Lebensentwurf. Schließlich entscheide man sich bei der Taufe für eine göttliche Regierung, keine menschliche, sagt Armin Pikl. Die Konsequenz: massive Verfolgungen der Glaubensgemeinschaft, die jedoch – gerade in der deutschen Öffentlichkeit – lange verdrängt wurden. Schon in den 1920er Jahren gingen Kirchen und völkische Bewegung mit genau jenen Argumenten gegen die damaligen Bibelforscher vor, die sich später auch die Nationalsozialisten zu Eigen machten.
"Treu den Gepflogenheiten des kommunistischen Systems gehorchend, setzt auch dieses Gesindel alles herunter, was anständigen Menschen an Traditionen heilig ist, sie beschmutzen die Einrichtungen der katholischen Kirche nicht minder wie die der evangelischen."
Heißt es in einem Schreiben des "Kampfbundes für Deutsche Kultur". 1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, bekam die Verfolgung eine neue Qualität. Die Gemeinschaft wurde verboten und bald als staatsfeindliche Vereinigung angesehen. Es folgten Verhaftungen und Verurteilungen, wie der Religionswissenschaftler Raik Zillmann berichtet.
"Zeugen Jehovas hatten in den Konzentrationslagern eine eigene Abteilung, durch den lila Winkel gekennzeichnet, und haben Hunderte, wenn nicht gar Tausende Mitglieder in den Konzentrationslagern verloren. Die Inhaftierung war meistens wegen Wehrdienstverweigerung, Befehlsverweigerung und Eidverweigerung. Also die Zeugen Jehovas haben grundsätzlich nicht den Eid auf Adolf Hitler geleistet oder den Hitlergruß gezeigt."
Mehr als 4000 Zeugen Jehovas aus dem Deutschen Reich und den besetzten Gebieten kamen in Konzentrationslager. Die Träger des "lila Winkels" verweigerten den Arbeitseinsatz für die Rüstungsindustrie, beteiligten sich aber wegen ihrer strikten Neutralität nicht am politischen Widerstand. Die Zahl ihrer Todesopfer wird auf 1.700 geschätzt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, bauten die Zeugen Jehovas binnen kurzer Zeit ihre Organisation wieder auf. Doch schon bald kam es – diesmal in der Sowjetischen Besatzungszone –erneut zu Konflikten, weil die Mitglieder der Religionsgemeinschaft sich auch der DDR verweigerten und nicht zu Wahlen gingen. Weil sie in der Bevölkerung den Ruf hatten, dem Naziregime gegenüber standhaft gewesen zu sein, setzte der kommunistische Staat alles daran, den Zeugen Jehovas den Status als Opfer des Faschismus abzuerkennen. Die DDR-Presse unterstützte diesen Prozess durch Diffamierungen.
"Die Bibelforscher waren niemals eine antifaschistische Organisation. Sie sind Saboteure und Feinde unseres Kampfes."
Verboten in der DDR
Nur fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, seit dem Jahr 1950, waren die Zeugen Jehovas auf dem Gebiet der DDR erneut verboten.
"Dieses Verbot wurde vor allem dadurch begründet, dass die Zeugen Jehovas eine imperialistische Organisation gewesen wären, die von Amerika, New York aus gesteuert die sozialistische Entwicklung stören sollte. Die 50er, 60er Jahre waren geprägt durch Verhaftungen und Verurteilungen von bis zu 25 Jahren."
Bis 1961 wurden mehr als 2000 Zeugen Jehovas in der DDR verhaftet und verurteilt. In den folgenden Jahren setzte die Staatssicherheit eher auf Verunsicherung und Zersetzung von innen, war damit jedoch nicht sehr erfolgreich. Zuletzt war die Gemeinschaft de facto geduldet, bis die letzte, diesmal demokratisch gewählte DDR-Regierung die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft anerkannte.
Obwohl die Zeugen Jehovas in einzelnen Ländern noch heute verfolgt werden, wächst die Religionsgemeinschaft weltweit um schätzungsweise zwei bis vier Prozent pro Jahr. Derzeit hat sie nach eigenen Angaben mehr als acht Millionen Mitglieder. In Deutschland jedoch stagnieren die Zahlen, obwohl alle Mitglieder zu intensiver Missionstätigkeit an Haustüren und auf öffentlichen Plätzen angehalten sind und dafür häufig viel Zeit aufwenden.
Auch Ralf Friedrich, Mitglied der Spandauer Versammlung und Chef eines 90-Mann-Unternehmens, erfüllt diese Glaubenspflicht. Die allerdings freiwillig ist, wie er betont:
"Jeder wendet dafür so viel Zeit auf, wie möglich ist. Für den einen ist eine Stunde sehr viel, der andere kann 30 Stunden im Monat gehen, weil er nur halbtags arbeitet. Es gibt auch welche von unsern Brüdern und Schwestern, die gehen 70 Stunden im Monat und dann gibt's verschiedene Zweige des Dienstes: Wie Haus-zu-Haus-Dienst, Straßendienst, Trolley-Dienst, Ansprechdienst, wo man einfach unterwegs ist, läuft."
Doch trotz des hohen persönlichen Einsatzes jedes einzelnen Zeugen Jehovas: Hierzulande will die Missionierung nicht mehr richtig fruchten - obwohl die Religionsgemeinschaft bereits weit entfernt ist vom früheren Image einer Sekte.