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Hoffnung auf den Oscar

Der 34 Jahre alte Regisseur Max Zähle hat bereits den Studentenoscar gewonnen und darf sich jetzt Hoffnungen auf einen "richtigen" Oscar machen: Sein Kurzfilm "Raju" über illegale Adoptionen in Indien ist in der Kategorie "Live Action Short Film" nominiert.

Max Zähle im Gespräch mit Katharina Hamberger |
    Katharina Hamberger: Sie haben diesen Film als Abschlussfilm Ihres Masterstudiums gedreht. War das denn die höchste Auszeichnung oder Nominierung, die Sie sich für den Film überhaupt hätten vorstellen können?

    Max Zähle: Ja. Ich meine, Oscars sind halt weltweit bekannt, das ist, denke ich, so die prestigeträchtigste Auszeichnung im Filmbereich, die man irgendwie bekommen könnte. Wir sind jetzt nominiert und das ist Wahnsinn.

    Hamberger: Und haben Sie damit gerechnet, dass es soweit kommen könnte?

    Zähle: Nein, damit rechnet man nicht. Man tut wirklich sein bestes, um den Stoff, den man erzählen möchte, so gut wie möglich zu erzählen. Und was dann letztendlich damit passiert, das hat man ja eh nicht in der Hand. Also insofern denkt man da auch nicht drüber nach, sondern entweder es passiert oder es passiert nicht. Und wir haben jetzt das große Glück, dass es passiert und wir nominiert wurden.

    Hamberger: Können Sie denn nachts überhaupt noch schlafen oder machen Sie sich schon Gedanken über die Rede, um das ganze Drumrum?

    Zähle: Nein, ich schlafe wunderbar. Ich schlafe wunderbar und ich jage ja auch von einem Interview zum nächsten, was ja auch ganz toll ist. Da kommen wir fast gar nicht dazu, uns wirklich jetzt schon Gedanken zu machen, wie's denn dann wird. Aber was schon noch da ist, ist die Freude, dass wir da jetzt mal mitlaufen dürfen auf diesem roten Teppich unter all diesen Persönlichkeiten, bekannten Menschen, und uns das mal aus nächste Nähe anschauen können.

    Hamberger: Es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie in Hollywood sind, Sie haben vorher schon den Studentenoscar in Bronze bekommen. Wieviel hat der denn Ihrem Film gebracht?

    Zähle: Auf jeden Fall Aufmerksamkeit - und nicht nur auf "Raju", sondern auf das Thema der illegalen Auslandsadoption, was großartig ist, also es ist echt toll. Es ist natürlich für uns als Filmschaffende toll, für alle die mitgemacht haben, sowohl in Indien, Kalkutta, als auch in Deutschland. Das ist für alle, die daran beteiligt sind, ein riesen Feedback. Und eben auch - und das ist noch sehr viel wichtiger - für das Thema.

    Hamberger: Wie muss man sich das denn vorstellen - so als Otto-Normal-Verbraucher kommt man selten nach Hollywood: Müssen Sie das selbst finanzieren, wenn Sie hinfliegen, ihr Hotel selbst finanzieren? Als junger Regisseur verdient man wahrscheinlich noch nicht so viel?

    Zähle: Also zu den Studentenoscars, da wurden wir tatsächlich eingeladen und es wurde alles organisiert: Ein schönes Hotel und man hat so eine Kreditkarte der Academy bekommen mit ein bisschen Geld drauf, das war schon alles ein bisschen abgefahren. Jetzt ist es so, dass man das alles selber organisieren muss, sowohl Flug als auch Unterkunft. Was natürlich organisiert ist, sind die jeweiligen Veranstaltungen, auf die wir uns echt extrem freuen, aber so das Organisatorische drum herum, da müssen wir uns selber kümmern. Was auch total ok ist, weil ich mein, wie viele Leute kommen dahin? Das ist ja schon eine ganze Masse, insofern machen wir das dann auch gerne.

    Hamberger: Sie haben grade die Veranstaltungen drum herum erwähnt, was sind das so Veranstaltung, die einen dort erwarten dann?

    Zähle: Das sind diverse Veranstaltungen: Das eine ist das sogenannte Nominee-Lunchen, das ist eine Art Mittagessen mit allen Nominierten gemeinsam. Und dann finden noch für die Kurzfilme sogenannte Oscar-Shorts-Veranstaltungen statt, das heißt, die werden in New York gezeigt, in Washington, in L.A. kurz vor der Verleihung. Und dann gibt's natürlich die Award-Zeremonie, ganz klar, und dann danach den sogenannten Governors Ball, wo dann alle gemeinsam zusammen feiern, alle Nominierten, Preisträger und Anhang und dann wird da nochmal gefeiert.

    Hamberger: Kommen wir mal zu Ihrem Film, der erzählt ja die Geschichte von einer vermeintlichen Auslandsadoption, die sich dann herausstellt als der Verkauf eines entführten Kindes. Wie sind Sie denn auf dieses Thema gekommen?

    Zähle: Das Thema kam auf nach dieser Erdbeben-Katastrophe in Haiti, im Zuge dessen Kinder rausgeholt wurden aus dem Land, um sie in Adoptionsfamilien zu stecken und ihnen vermeintlich auch zu helfen, was auch verständlich ist. Aber die Kinder hatten teilweise keine Dokumente, hatten teilweise noch Eltern oder Verwandte zu Hause. Und das geht natürlich nicht, also man kann nicht Kinder einfach aus ihrem sozialen Umfeld rausreißen. Und im Zuge dessen hab ich angefangen zu recherchieren dieses Thema betreffend, hatte dann sehr schnell Terre des Hommes als Partner im Boot. Ja, und die haben uns an die Hand genommen und uns wahnsinnig toll an diese Thema herangeführt, was ja wirklich global riesengroß ist und man sich dementsprechend auch wahnsinnig gut vorbereiten muss, wenn man einen Film darüber erzählen möchte.

    Hamberger: Das ist ja auch ein Thema, das einem sehr zu Herzen geht. Wie sehr haben Sie das an sich herangelassen, hat Sie das persönlich betroffen?

    Zähle: Ja, das lässt einen nicht kalt. Es ist ja nicht so, dass man den Film jetzt abgedreht hat und man ist jetzt weg. Wir haben auch viel Zeit in Kalkutta verbracht mit den Leuten, die da auch betroffen waren und sind und mit den gesprochen. Und das berührt einen und vor allem macht einen das auch sensibel für das Thema und wie man dann auch den Film erzählen wird. Und wir hoffen, dass wir das mit dem Film auch gut einfangen konnten, was das grade für die Menschen, die daran beteiligt sind, oder die in so einen illegalen Zirkel reingeworfen werden, passiert, was mit denen emotional vor allem auch passiert.

    Hamberger: Wie waren den Ihre Gefühle, als Sie das erste Mal nach Indien gekommen sind und dort auch gesehen haben, ja das dort tatsächlich, es gibt ja dort auch viel Leid, wie Sie auch in dem Film beschreiben, Leute die wirklich im Müll nach Essen suchen. Wie war da der erste Eindruck?

    Zähle: Das ist echt nur so ein Teilaspekt von Kalkutta. Wir sind reingefahren in die Stadt und da war nicht der Schock, sondern da war wirklich das Gefühl, dieses bunte, aufbrausende, fröhliche Leben, das stand da im Vordergrund. Und das hat uns auch während der gesamten Produktion begleitet. Natürlich ist das anders für uns, wenn man Menschen auf dem Boden liegen sieht und schlafen sieht, aber wenn man sich vorstellt, das es vielleicht auch mal ganz angenehm ist, auf'm kühlen Boden zu liegen, weil es wirklich unglaublich heiß ist, unglaublich schwül ist. Da muss man immer noch ein bisschen weiter schauen, inwieweit man das wirklich beurteilen kann, wenn man nicht weiß, was dahinter steckt. Natürlich ist das Elend auch vorhanden, das ist ganz klar. Nur es ist jetzt nicht so, dass die Menschen nur leiden, sondern es ist schon so, dass die auch ein glückliches Leben führen.

    Hamberger: Wie unterscheidet sich denn ein Dreh im Gegensatz zu Deutschland - was gibt es da für Schwierigkeiten, auf was muss man achten?

    Zähle: Das ist halt sehr laut. Es ist sehr laut und sehr voll in Kalkutta. Es ist nicht ganz so leicht, einen geordneten Dreh durchzuführen. Also jetzt eine Straße zu blocken und dann in Ruhe eine Szene zu inszenieren, das ist nur schwierig möglich. Also es wird überall gehupt und geschrien. Das ist einfach wahnsinnig schwierig. Da muss man sich drauf einlassen und wenn man sich drauf einlässt und sich in diesen Flow begibt, dann funktioniert das auch.

    Hamberger: Es gibt in dem Film, es wirkt oft so, als hätte er sehr dokumentarische Elemente: Wie wichtig war Ihnen denn das?

    Zähle: Naja, es ist ja immer eine Entscheidung, eine stilistische Entscheidung die man vorher fällt, wie man den Film auflöst, wie man den Film erzählt. Und wir wollten so authentisch wie möglich diese Geschichte erzählen. Und dazu gehörte auch für uns die visuelle Umsetzung, dass wir dokumentarisch drehen. Das heißt, dass wir zu 95 Prozent circa aus der Hand gedreht haben, um wirklich dieses dokumentarische Gefühl zu wecken und zu vermitteln. Und um wirklich so ein bisschen diese Barriere zu brechen, dass man stilistisch, das man stilisierend rangeht an die Geschichte, sondern, dass man versucht, sich an die Emotionen der Schauspieler ranzudocken. Ja, daher haben wir diesen dokumentarischen Stil gewählt.

    Hamberger: Sie haben, bevor Sie "Raju" gedreht haben, auch einen anderen Kurzfilm gedreht, "Die Wattwanderer". In dem Film geht es auch um eine Familie. Ist das ein Thema, das Sie grundsätzlich anspricht - das Thema Familie?

    Zähle: Ja, also nicht nur mich, ich denke, das spricht jeden an. Familie ist ja nun mal das wichtigste um einen herum. Und Familie ist wichtig und ich finde einfach, dass das auch erzählenswert ist, was Familie ausmacht. Und wenn ich den Leuten, den Charakteren, von denen ich erzähle, in dem Fall Wattwanderer und Raju, glaube, was die für individuelle Probleme haben in dem Moment, sei es eine Komödie oder ein Drama - das ist in dem Fall ja komplett egal - solange man da was zu erzählen hat, was passiert innerhalb einer Familie, welche Hürden die zu meistern haben, dann finde ich das spannend.

    Hamberger: Werden Sie Ihre eigene Familie auch dabei haben bei der Oscar-Verleihung?

    Zähle: Das müssen wir jetzt mal schauen, also ich hoffe natürlich, dass meine Eltern mitkommen. Aber dass müssen wir jetzt mal gucken. Das ist viel, viel Organisation, aber natürlich würde ich mich sehr freuen.

    Hamberger: Ich hab in mehreren Artikeln gelesen, da steht vom Kabelträger zum Regisseur, beziehungsweise vom Kabelträger zum Oscarpreisträger. Klingt das wie ein Märchen oder würden Sie Ihren Lebenslauf tatsächlich so beschreiben?

    Zähle: Nein, als Märchen würde ich das nicht beschreiben. Also es ist halt harte Arbeit. Ich hab halt Lust gehabt am Filmset zu sein und hab deswegen als Kabelträger angefangen. Das ist natürlich ein super Weg, um reinzukommen und um viel zu lernen, weil man natürlich viel beobachten kann noch nicht so viel Verantwortung hat in dem Fall und wirklich den Filmemachern über die Schulter schauen kann. Das war für mich eine riesen Schule. Was ich auch ein paar Jahre lang gemacht habe. Das würde ich jetzt nicht als Märchen bezeichnen. Das war harte Arbeit und das ist ja auch ein langer Weg.

    Hamberger: Wie lang hat der gedauert?

    Zähle: Ich bin jetzt 34, mit 20 hab ich angefangen, 19, 20. Also das sind schon 14 Jahre. Aber ich hab ja auch als Cutter gearbeitet. Also es ist jetzt nicht so, dass ich jetzt irgendwo angekommen bin, das muss man ja auch festhalten. Ich hab jetzt einen Kurzfilm gemacht, habe einen Abschluss gemacht, jetzt geht's erst darum, meinen ersten Langfilm zu machen. Also ich bin ja auch noch ganz am Anfang. Und davor hab ich als Cutter acht Jahre gearbeitet, was ich auch einfach leidenschaftlich gerne mache. Insofern ist ja nicht nur: Ich muss jetzt unbedingt da hin. Sondern solange der Weg Spaß macht, kommt es bestenfalls irgendwann von allein und der Oscar muss ja nicht unbedingt, also der Studentenoscar muss man ja auch dazu sagen, für den richtigen Oscar sind wir nominiert, das ist ja jetzt nicht das Ziel und jetzt hört's auf, sondern bestenfalls geht's ja jetzt erst richtig los.