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Hoffnung auf ein neues Rumänien (1/5)
Verurteilte Straftäter in der Regierung

Gegen viele rumänische Bürgermeister, Abgeordnete und Minister laufen Strafverfahren, meist wegen Korruptions- oder Betrugsverdacht. Einige sind schon verurteilt worden. Doch sie amtieren einfach weiter. Eine neue Partei will die Verfassung ändern, um Vorbestrafte aus der Politik zu verbannen.

Von Leila Knüppel und Manfred Götzke |
    In Rumänien wird gegen viele amtierende Politiker ermittelt wegen Korruptions- oder Betrugsverdachts. Einige wurden deswegen verurteilt. Diese Initative sammelt Unterschriften für ihre Forderung "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern".
    Die Partei "Retter Rumäniens" sammelt Unterschriften für ihre Forderung "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern" (Deutschlandradio / Knüppel/Götzke)
    Es ist ein schlechter Tag für den Popen, der – Gebetsbüchlein in der einen Hand, Supermarkt-Tüte in der anderen – am Straßenrand sitzt und um einige Lei bittet. Keiner schenkt ihm Aufmerksamkeit.
    Denn direkt neben seinem Stammplatz sind pünktlich zur Rushhour am frühen Abend Aktivisten und Mitglieder der neuen rumänischen Partei USR, Union zur Rettung Rumäniens angerückt. Sie haben einen Pavillon samt Tisch und Stühlen aufgestellt. Darüber hängt ein Banner: "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern".
    Bestückt mit Klemmbrett, Broschüre und Kuli sticht die 33-jährige Abgeordnete Christina Pruna in den Bukarester Pendlerstrom. Sie stoppt einen jungen Mann. Lange muss sie nicht argumentieren, um seine Unterschrift zu bekommen. Er ist überzeugt. Christina Pruna erklärt:
    "Wir haben die Initiative gestartet, weil Hunderttausende Bürger bei Demonstrationen genau das fordern, seit Jahren schon. Wir wollen jetzt in der Verfassung festlegen, dass die, die uns in öffentlichen Ämtern repräsentieren, keine verurteilten Straftäter sein dürfen. Wir haben es satt, dass uns Kriminelle repräsentieren, dass sie Gesetze verabschieden und unsere Gesellschaft beeinflussen."
    60.000 Unterschriften seit Anfang April
    Prunas Partei, die "Retter Rumäniens", existiert erst seit knapp drei Jahren. Bei der Parlamentswahl 2016 wurde sie mit etwa zehn Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft. Jetzt wollen sie direkt die Verfassung ändern – um Rumänien von der grassierenden Korruption zu befreien. Pruna:
    "In den meisten anderen europäischen Ländern steht ein solcher Passus zwar nicht in der Verfassung, aber da besetzen Straftäter ja auch nicht die zentralen Posten in der Gesellschaft, sind keine Bürgermeister, Abgeordnete, Minister – die dann auch noch Gesetze so ändern, dass sie einer strafrechtlichen Verfolgung entkommen."
    Eine Gruppe Studenten steuert das Tischchen mit den Unterschriftenlisten an, sie kennen die Initiative schon, unterschreiben direkt.
    "Es muss sich einfach etwas ändern hier, es ist einfach nicht okay, dass uns Leute regieren, die einige Vorstrafen haben", sagt eine Studentin. Ein anderer meint: "Diese Forderung, ich meine, das ist doch eine Selbstverständlichkeit!"
    60.000 Unterschriften hat die Partei "Retter Rumäniens" schon zusammen. Eine halbe Million braucht sie, um ihr Anliegen ins Parlament zu bringen.
    60.000 Unterschriften hat die Partei "Retter Rumäniens" schon zusammen. Eine halbe Million braucht sie, um ihr Anliegen ins Parlament zu bringen. (Deutschlandradio / Knüppel/Götzke)
    60.000 Unterschriften haben Christina und ihre Parteikollegen seit Anfang April gesammelt, eine halbe Million müssen sie in den nächsten vier Monaten zusammenbekommen, damit das Referendum die nächste Hürde nehmen kann. Die Abstimmung im Parlament.
    Dort stellt allerdings die postkommunistischen PSD die Mehrheit. In deren Reihen stehen zahlreiche Abgeordnete – und sogar Minister – wegen Korruption vor Gericht, oder sind bereits rechtskräftig verurteilt. Christina Pruna:
    "Klar ist die Mehrheit im Parlament dagegen – trotzdem wären 500.000 Unterschriften ein sehr starkes Zeichen der rumänischen Gesellschaft."
    Partei von Politik-Neulingen
    Die Assistentin von USR-Chef Dan Barna führt durch das Parlamentsgebäude, errichtet für Diktator Ceausescu. Ein Palast mit Marmorboden und Goldverzierungen.
    "Das Gebäude ist ein Symbol des Kommunismus: Um es zu errichten, musste ein Großteil der Innenstadt zerstört werden."
    Nun sitzen einige junge Parteimitarbeiter an den langen Tischen aus dunklem, poliertem Holz; haben ihre Laptops aufgeklappt. Die selbsternannten "Retter Rumäniens": Verlorene Zeitreisende im alten, kommunistischen Prunk…
    Und dann kommt auch Dan Barna, der Parteivorsitzende.
    Er hat sich etwas verspätet. Eine Parlamentsdebatte hat länger gedauert als gedacht. Nun ist er aber da: randlose Brille, sportlich, dynamisch.
    "Die Partei wurde von Leuten gegründet, die zu 95 Prozent noch nie etwas mit Politik zu tun hatten. Es ist eine Partei der Zivilgesellschaft."
    Er selbst sei Jurist, habe für die EU-Kommission in Rumänien als Berater gearbeitet, ein Start-up gegründet, schließlich in der Übergangsregierung von Dacian Ciolos mitgearbeitet.
    "Dann kamen die Wahlen 2016, und statt in mein komfortables Leben zurück zu gehen, also in meine Firma, habe ich gesagt: Okay, ich mische mich in die Geschicke meines Landes ein, um ein wenig mitzuhelfen, es besser zu machen."
    "Nun möchten sie ein besseres Rumänien"
    Zwei junge Parteimitglieder sitzen neben Barna, haben nach Block und Stift gegriffen – und schreiben und schreiben, während er erzählt. Als dürfe keines seiner Worte verlorengehen.
    "Wir wurden in den größeren Städten gewählt. Von Leuten mit mittlerem bis hohem Einkommen. Sie haben studiert, haben sich ein gutes Leben aufgebaut, und nun möchten sie ein besseres Rumänien. Und deswegen schauen sie sich nach einer politischen Alternative um. Denn die alte politische Klasse gilt als ruiniert, die Politiker als korrupt. 25 Jahre nach der Revolution gab es eigentlich immer nur die Sozialisten und die Liberalen, diese zwei Parteien. Ab und zu haben sie sich an der Regierung abgelöst."
    Nun, im Parlament, möchte Barnas Partei die umstrittene Justizreform verhindern, mit der die Regierung versucht, die Rechte der Staatsanwälte zu beschränken und die Ermittlungen gegen Korruption zu erschweren.
    "Wir sind die Beschützer der Justiz."
    Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen: Denn die postkommunistische PSD verfügt gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, der kleinen liberalen Partei ALDE, über die absolute Mehrheit im Parlament.
    "Wir machen kreative Oppositionsarbeit. Wir haben zum Beispiel das Buch 'Animal Farm' an die Abgeordneten verteilt, als sie sich für die Justizreform ausgesprochen haben. Das wurde von den Medien aufgegriffen – und ich habe von vielen Menschen danach gehört: Bevor ihr ins Parlament gekommen seid, haben wir gar nicht gewusst, was da vor sich geht. Nun ist das anders. Viele von uns machen auch Live-Broadcasting und bloggen über die Parlamentsdebatten."
    "All dies ist geschehen, weil wir es zugelassen haben"
    Dass sie damit die Justizreform wohl nicht verhindern können, weiß auch Barna. Er hofft eher auf ein langfristiges Umdenken in der Gesellschaft:
    "In Rumänien wurde Politik lange als etwas Dreckiges gesehen, betrieben von schmierigen Menschen. Wir, die braven Bürger, sollen uns lieber nur um unsere eigenen Dinge kümmern, unsere Arbeit, unsere Familie. Und dann merkten wir: Stopp, stopp… Politik ist überall: Wenn es um schlechte Ausstattung der Krankenhäuser geht, die Autobahnen, die nicht gebaut werden. All dies ist geschehen, weil wir es zugelassen haben, weil wir uns nicht politisch engagieren."
    Kaum ist das Gespräch beendet, ist der Parteichef auch schon wieder verschwunden – in dem Labyrinth aus Prunksälen. Die Assistentin führt die Besucher aus dem Parlamentsgebäude heraus:
    "Es ist das zweitgrößte Gebäude der Welt, nach dem Pentagon. Aber es ist das Schwerste. Jedes Jahr sinkt es zwei Millimeter in den Boden, weil es so schwer ist."
    Außerdem ziehe es schrecklich durch die Fenster, das Dach sei undicht und überhaupt sei hier das meiste ziemlich kaputt, meint die junge Assistentin. Und lässt offen, ob sie nun durch das Parlamentsgebäude meint – oder doch das ganze Parlament, inklusive aller Abgeordneten der alten Partei-Kader.