Liminski: Die Kirche also als Vermittlerin?
Rubiano: Mehr als Vermittlerin oder Verhandlungspartnerin ist die Kirche die Institution, die Verhandlungen überhaupt erst ermöglicht. Wir sind unabhängig von Regierung, Armee und Guerilla und dennoch sind wir mittendrin, weil wir die Nöte des Volkes teilen. Für uns ist klar, dass nur politische Verhandlungen zum Frieden führen können und das heißt, es muss auch über soziale Gerechtigkeit und über Arbeit für alle Kolumbianer verhandelt werden.
Liminski: Wie soll das denn konkret aussehen? Ein runder Tisch für alle Beteiligten?
Rubiano: Vor einigen Jahren habe ich die nationale Kommission der Versöhnung gegründet. Zu ihr gehören Persönlichkeiten aller politischen Lager, Professoren, Schriftsteller, ehemalige Minister. Wir kommen drei mal im Monat zusammen und erarbeiten Vorschläge für die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Zivilgesellschaft sich beteiligt, um Lösungen und Wege aus der Sackgasse des Dauerkonflikts zu finden.
Liminski: Haben Sie schon ein Modell für die nationale Versöhnung gefunden?
Rubiano: Ja. Wir werden es auf einem Symposium im Februar vorstellen. Die Grundvoraussetzung für jedes Versöhnungsmodell ist die Ehrlichkeit, der Wille zur Wahrheit. Nur so werden wir erreichen, dass Hass- und Rachgefühle überwunden werden können. Gerechtigkeit heißt ja nicht, dass ein Richter ein Urteil spricht und jemand ins Gefängnis muss, sie beginnt mit der Anerkennung des Rechts auf Leben und der Würde der Person. Das gilt für Opfer und Täter. Ohne die Anerkennung der menschlichen Würde gibt es keinen Aufbau einer gerechten Gesellschaftsordnung.
Liminski: Damit werden Sie aber kaum die Ursachen der permanenten Gewalt beseitigen.
Rubiano: Nun, die Ursachen für die vierzig Jahre Gewalt sind ganz unterschiedlich. Es hat schon öfter Waffenstillstandsabkommen gegeben, aber Frieden ist mehr, er ist das Kind der Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit heißt, dass die Menschen auf ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das ist in Kolumbien besonders schwierig, denn wir haben zusätzlich noch das Problem des Drogenhandels. In Europa, Amerika und überall auf der Welt sieht man Kolumbien als das Land des Kokains. Es handelt sich um Kartelle mit weltweiten Verbindungen weit über Kolumbien hinaus. Sicher, realistisch gesehen muss man sagen, so lange das Drogenproblem nicht gelöst ist, wird es keinen Frieden in Kolumbien geben. Deshalb richtet sich mein Appell auch an die reichen Länder, alles zu tun, um den Drogenhandel effektiv einzudämmen. Wir müssen damit fertigwerden, gemeinsam. Ich wiederhole: Man zeigt auf uns als die Bösen, als das Drogenland. Aber man sollte auch auf den Drogenmarkt in den reichen Ländern zeigen.
Liminski: Ohne Kokainanbau könnten viele Bauern nicht leben.
Rubiano: Genau, das ist das Drama. Damit die Bauern zu anderen Formen des Ackerbaus zurückfinden, müsste die Präsenz des Staates in den Hochtälern des Kokaanbaus verstärkt werden. Da ist Koka, aber keiner geht hin. Die Drogenhändler, die gehen hin und bezahlen die Bauern und besorgen auch den Transport. Ein Bischof hat einmal gesagt, wer Drogen sät, erntet den Tod. Es ist nicht nur der Tod in Kolumbien, wir haben da ein gemeinsames Problem. Das ist eine Tatsache und die Quelle all dieser Gewalt ist das Koka.
Liminski: Und die Korruption bis in die Politik hinein, die den Drogenhandel deckt?
Rubiano: Das Problem der Korruption muss man an der Wurzel bekämpfen. Hier haben wir schon einige Fortschritte gemacht. Es geht nicht nur um die Politik, auch die Wirtschaft, die Unternehmenskultur muss transparent sein. Überhaupt würde ich nicht von der Politik sprechen. Die Politik ist etwas sehr Nobles, sie sucht das Gemeinwohl, das gute für eine Gesellschaft. Deshalb sollte man sich davor hüten, zu Verallgemeinerungen zu greifen wie 'das Parlament ist korrupt'. Es sind immer einzelne Personen, nicht die Institutionen. Das Grundproblem ist die Transparenz und damit die Kontrollierbarkeit.
Liminski: Manchmal aber ist eine Person identisch mit einer Institution, etwa der des Präsidenten der Republik. Was macht die Kirche, wenn diese Person versagt? Sie haben da mal das Bild des Elefanten erfunden.
Rubiano: Ja, das war zu einer Zeit, als viele Politiker, auch der Präsident, behaupteten, sie hätten keinerlei Korruption in ihrem Land gesehen, dabei ging es natürlich um viel Geld, das einzelne Politiker von der Drogenmafia erhalten hatten. Der Präsident meinte damals, wenn das passiert sei, dann sei es hinter seinem Rücken geschehen. Als ich daraufhin von einem Journalisten angesprochen wurde, stand ich vor dem Dilemma: Soll der Vorsitzende der Bischofskonferenz nun den Präsidenten beschuldigen oder reinwaschen? Also griff ich auf dieses Bild zurück und sagte: Schauen Sie, auch wenn hinter Ihrem Rücken ein Elefant ins Haus kommt, sollte man das bemerken und das Geld der Drogenmafia ist gewiss keine Kleinigkeit, kein kleines Haustier, um im Bild zu bleiben. Das Bild hat Karriere gemacht, die Regierung hatte es fortan recht schwer, sie liebte sozusagen im Schatten des großen Tieres, aber es war nützlich, denn die folgenden Regierungen achteten stärker darauf, die öffentlichen Institutionen vom Geld der Drogenhändler freizuhalten und damit die Gewalt einzudämmen.
Liminski: Sehen Sie Lösungen für die nahe Zukunft in Kolumbien?
Rubiano: Natürlich. Wir sind Menschen voll Hoffnung und Freude. Das mag Ihnen etwas naiv vorkommen, aber bedenken Sie, dass ein Volk von fast 45 Millionen Menschen darunter leidet, dass etwa 20.000 Leute Gewalt ausüben und die Drogenmafia diese Guerilla finanziert. Aber auch diese Leute sind Menschen, für die die Botschaft der Versöhnung gilt. Wir müssen alle am Ziel der Gerechtigkeit arbeiten, sonst wird es keinen Frieden geben.