Archiv


Hoffnung auf menschlichere Beziehungen

Der kurzfristige Horizont heutigen Wirtschaftens macht es Vertrauen und Loyalität schwer. Der New Yorker Soziologe Richard Sennett liefert mit seinen sozialkritischen Zeitdiagnosen in seinem Buch "Zusammenarbeit" Perspektiven für ein besseres geschäftliches Miteinander und bescheidene Konfliktlösungen.

Von Conrad Lay |
    Der New Yorker Soziologe Richard Sennett ist durch seine scharfsinnigen, sozialkritischen Zeitdiagnosen "Der flexible Mensch" und "Das Handwerk" bekannt geworden. Das Gegenbild zu dem "flexiblen Menschen", den Sennett in mehreren Fallstudien an der amerikanischen Ostküste angetroffen hat, ist für ihn die langsame Arbeit des Handwerkers, die Fragen zulässt und zur Inspiration einlädt. Mit dieser guten Qualitätsarbeit verbindet Sennett die Hoffnung: Wer gut arbeiten könne, der könne auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbürger sein.

    Das jetzige Buch "Zusammenarbeit" sieht Sennett zusammen mit dem vorhergehenden über das "Handwerk" und einem noch zu schreibenden über "Städtebau" als Triologie an unter dem Stichwort "Homo faber". Wie in früheren Büchern versteckt er seine Sozialkritik hinter dem Lob des Handwerks und zieht Parallelen zwischem dem Herstellen von Gegenständen und sozialen Beziehungen. In beiden Fällen geht es um die Art und Weise, möglichst wenig Kraft anzuwenden. In Sozialbeziehungen scheint ihm das dialogische Verfahren besonders geeignet zu sein, weil es scheinbar absichtslos und unangestrengt daherkommt.

    Sennett macht sich für die Idee einer "Kooperation von unten" stark und führt dies anhand zahlreicher Beispiele aus Kultur und Geschichte, Pädagogik und Religion, Naturwissenschaft und Wirtschaft aus. So erinnert er sich etwa an die Arbeiter in Bostoner Fabriken, die er vor 40 Jahren interviewt hatte. Ihre informellen Beziehungen hätten eine Art "soziales Dreieck" geknüpft. Der Autor schreibt:

    "Auf der einen Seite zollten Arbeiter anständigen Vorgesetzten widerwilligen Respekt, die ihrerseits zuverlässigen Beschäftigten widerwilligen Respekt bezeugten. Auf einer zweiten Seite redeten Arbeiter untereinander offen über ihre Probleme und schirmten Kollegen, die in Schwierigkeiten waren, am Arbeitsplatz ab, ob es sich bei dem Problem nun um einen Kater oder eine Scheidung handelte. Auf der dritten Seite sprangen Beschäftigte ein und leisteten Überstunden oder übernahmen die Arbeit von Kollegen, wenn etwas in der Werkstatt zeitweilig vollkommen schieflief. Die drei Seiten des sozialen Dreiecks bestanden aus verdienter Autorität, wechselseitigem Respekt und Kooperation während einer Krise."

    In Fortsetzung seiner Forschung über den "flexiblen Menschen" kritisiert der Soziologe den kurzfristigen Horizont heutigen Wirtschaftens, das kein Vertrauen und keine Loyalität entstehen lasse. Die von ihm ersehnte, tiefere Kooperation ist in der Finanzwelt der Wall Street gerade nicht gewünscht: Die Menschen, die nach dem Crash 2008 dort arbeitslos geworden sind, haben Sennett davon erzählt, wie sehr sie es bedauern, dass die sozialen Bande an ihrem Arbeitsplatz nur schwach ausgeprägt waren.

    "Viele sehen inzwischen voller Bitterkeit, wie dünn und oberflächlich diese Bindungen an einem Ort gewesen waren, an dem sie den größten Teil des Tages verbracht hatten. Auch wenn sie es nicht so ausgedrückt hätten, litten sie unter dem Fehlen einer ausgleichenden Kultur der Höflichkeit, durch die ihre sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz für sie selbst größere Bedeutung erlangt hätten."

    Sennett erläutert, welche Techniken er für die von ihm bevorzugte dialogische Kommunikation für hilfreich hält. Er denkt dabei etwa an eine Alltagsdiplomatie, die die erhitzten Gemüter abkühlen, Emotionen herausnehmen und mittels Leichtigkeit dafür sorgen soll, dass der jeweils andere trotz unterschiedlicher Standpunkte sein Gesicht wahren kann. Dabei bezieht sich Sennett auf das höfische Ideal der Lässigkeit, wie es Baldassare Castigliones in seinem Renaissancewerk "Das Buch vom Hofmann" entwickelt hat. Als Tugend des höfischen Mannes wird darin definiert, dass dieser eine Sache so darstellen kann, dass sie "anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist". Im Gegensatz zu Martin Luthers Bekenntnis "Hier stehe ich und kann nicht anders" versucht der Idealmann der Renaissance, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen - oder sich zumindest so darzustellen. Richard Sennett schreibt:

    "Für Luther war das Ich eine todernste Angelegenheit. In Castigliones Augen machte Leichtigkeit die Menschen umgänglicher, das heißt kooperativer in ihrer Konversation. Weniger ichbezogen, dafür aber geselliger."

    Bezogen auf das heutige Geschäftsleben könnte man sagen: Es handelt sich um eine Art Coolness, die die "aggressive Sogwirkung von Konflikten mildert", indem man das Subjekt, die erste Person, heraushält und dadurch für mehr Objektivität sorgt. Sennett möchte Konflikte nicht lösen, sieht gar keine Möglichkeit dafür, sondern ist schon froh, wenn sie nicht eskalieren. Seine breit angelegte Kulturgeschichte der Kooperation zeugt von einem profundem, interdisziplinärem Wissen. Dabei schlägt er einen leichten, nahezu tänzerischen, erzählerischen Ton an, der sicher auch an einem Hofe der Renaissance geschätzt worden wäre. Gegen Ende des Buches charakterisiert Sennett den französischen Philosophen Michel de Montaigne, doch man könnte meinen, er spricht von seiner eigenen Methode:

    "Montaignes Essays springen von einem Thema zum nächsten und scheinen zuweilen abzuschweifen, doch am Ende hat der Leser stets das Gefühl, dass er ein Thema auf unerwartete Weise ausgebreitet hat, statt sich auf einige wenige Punkte zu beschränken."

    Als einen großen Zukunftsentwurf wird man Sennetts jüngstes Werk nicht bezeichnen können, das läge dem Autor auch fern. Er begnügt sich mit einem Plädoyer für überschaubare Sozialverhältnisse, bescheidene Konfliktlösungen und die Hoffnung auf menschlichere Beziehungen. Mit anderen Worten: Für eine Welt, in der sein Idealbild des Handwerks hindurchscheint. Wahrscheinlich muss man die von Sennett angestrebte Trilogie "Homo faber" als sein Alterswerk ansehen: Er bleibt darin ebenso seinem Pragmatismus treu wie seiner Kritik am Turbokapitalismus der Finanzwelt.

    Conrad Lay über Richard Sennett: "Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält", im Hanser Verlag erschienen, die 414 Seiten kosten 24,90.