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Nasale Corona-Impfstoffe
Hoffnung auf sterile Immunität

Die etablierten Covid-19-Impfstoffe zeigen gegenüber einer Infektion mit der Omikronvariante praktisch keine Wirkung. Vakzine, die nicht in den Oberarm injiziert werden, sondern per Nasenspray verabreicht, könnten hier ein Weg voran sein. Charité und FU Berlin haben dazu erste Ergebnisse vorgestellt.

Von Volkart Wildermuth |
Eine medizinische Fachkraft hält einen nasalen Applikator in der Hand.
Impfungen könnten zukünftig über die Nase verabreicht werden (picture alliance / dpa / TASS / Artyom Geodakyan)
Die in Deutschland etablierten Impfstoffe werden in den Muskel gespritzt und führen zu einer starken Antikörperantwort. Weil aber die vermeintliche Bedrohung im Inneren des Körpers stattfindet, zielen die Antikörper genau dahin: Sie zirkulieren im Blut. Das heißt aber auch, dass sie das Virus erst erkennen, wenn es bereits eingedrungen ist und die Infektion im vollen Gange ist.
Das Immunsystem ist durchaus in der Lage, ein Virus schon vorher abzufangen, mit sogenannten IgA-Antikörpern, die in den Schleimhäuten sitzen: in der Nase, in den Atemwegen oder auch im Darm. IgA-Antikörper werden aber nur gebildet, wenn die Infektion auch wirklich über die Schleimhäute läuft. Das gilt auch für eine Impfung. Deshalb könnte ein Impf-Nasenspray im Idealfall die Infektion komplett verhindern.

Warum wäre eine sterile Immunität durch ein Impf-Nasenspray wichtig?

Die sterile Immunität ist der Gral der Impfstoffforschung. Zum einen wäre die Person selbst vollständig geschützt und würde überhaupt keine Symptome entwickeln. Zum anderen können sie natürlich auch niemanden anstecken. Sie wäre eine Sackgasse für das Virus.
Sterile Immunität kann von der Masernimpfung erreicht werden, aber sonst ist bisher kein anderer Impfstoff dazu in der Lage. Das ist ein ambitioniertes Ziel, zumal nicht klar ist, wie lange der Immunschutz in der Nase anhält. Aber selbst wenn ein Nasenspray-Impfstoff nur einen gewissen Schutz vor einer Ansteckung bietet, würde das die Ausbreitung von Corona verlangsamen.

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Warum erst jetzt Impf-Nasensprays?

Impf-Nasensprays wirken nicht so verlässlich wie gespritzte Impfstoffe. Sie müssen erst die Schleimhaut überwinden, und das ist nicht so einfach. Aktuell gibt es in Europa und den USA nur eine Grippeimpfung als Nasenspray, aber nur für Kinder und Jugendliche. Bei Erwachsenen wirkt sie nicht, weil die schon Grippeantikörper haben, die den Impfstoff deaktivieren.
Es gab bei Älteren auch Nebenwirkungen, wie Lähmungen im Gesicht. Die Corona-Pandemie hat das Interesse an nasalen Impfstoffen aber wieder befeuert, aktuell befinden sich rund 15 davon in der Entwicklung. Indien zum Beispiel ist bereits weit vorangeschritten. Dort laufen klinische Studien der Phase 2 und 3. Auch in den USA werden Studien durchgeführt zu einem Booster über die Nase mit dem Spike-Protein. Und auch eine Nasenspray-Variante des AstraZeneca-Impfstoffs ist in einer Phase 1-Studie

Auf welches Prinzip setzt der Nasenspray-Impfstoff vom deutschen Forscherteam?

Die Immunantwort über die Nase lässt sich nicht einfach anregen, da die Schleimhaut als Schutzschicht fungiert. Deshalb setzen die Berliner Forschenden auf ein altes Impfkonzept: abgeschwächte Viren. Die können sich etwas vermehren und sind so in der Lage, das Immunsystem sehr effektiv anzuregen, aber sie führen eben nicht zu einer echten Infektion.
Früher wurden abgeschwächte Viren gezüchtet. Da besteht allerdings die Gefahr, dass der Erreger gelegentlich zurückmutiert. Dieses Problem ist etwa bei der Polio-Schluckimpfung aufgetreten. Die Berliner haben deshalb in die gentechnische Trickkiste gegriffen und den genetischen Code des Coronavirus so verändert, dass er zwar die gleiche Botschaft enthält, aber nicht mehr so effektiv abgelesen werden kann. Und weil sie 200 Stellen verändert haben, kann das Virus nicht einfach zurückmutieren. Generell gilt aber: Auch wenn die Impfviren abgeschwächt sind, sollten solche Lebendimpfstoff immungeschwächten Personen vorerst nicht gegeben werden.

Wie ist die Wirksamkeit des Nasenspray-Impfstoffs?

Die wurde in Goldhamstern erprobt. Tatsächlich führt die Impfung mit diesem Virus als Nasenspray bei den Nagern zur Bildung der gewünschten IgA-Antikörper in der Nasenschleimhaut. Laut Emanuel Wyler, einem der beteiligten Forscher, konnte das Impf-Nasenspray die Virusvermehrung nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 effektiver verhindern als andere Impfstoffe. Auch die Schäden an der Lunge waren deutlich geringer. Der Effekt war dabei am stärksten, wenn der Nasenimpfstoff als Booster eingesetzt wurde, also nach einer klassischen Impfung mit einem mRNA-Impfstoff.
Es sieht zumindest in dieser Vorabveröffentlichung so aus, als ob der Impfstoff eine sogenannte sterile Immunität erzeugt, also wirklich die Infektion verhindern. Allerdings: Die Arbeit wurde noch nicht begutachtet, und es handelt sich bisher nur um Tierversuche. Das US-Unternehmen Altimmune forscht ebenfalls an einem Impfnasenspray. Auch da gab es vielversprechende Daten aus Tierversuchen. Aber in der Phase eins waren die Ergebnisse enttäuschend, weil viele Probanden schlicht nicht auf die Impfung reagierten. Das Projekt wurde eingestellt. Das Impf-Nasenspray aus Berlin ist sicher ein spannender Ansatz. Was er wirklich taugt, wird sich aber erst in Studien mit Menschen zeigen.


Wie könnte ein Nasenspray-Impfstoff die Corona-Pandemie noch beeinflussen?

Eine Impfung, die tatsächlich Coronainfektionen verhindert – und damit auch das Ansteckungsrisiko für andere Menschen verringert, wäre ein wichtiger Schritt voran. Omikron dürfte kaum die letzte Variante gewesen sein, mit der wir es zu tun bekommen. Der Impfstoff aus Indien könnte, wenn alles gut läuft, noch dieses Jahr zugelassen werden. Er könnte also durchaus noch etwas bewirken.
Bei dem Berliner Impfstoff dürfte es etwas länger dauern. Entscheidend ist aber nicht nur die Frage der Wirksamkeit in dieser Pandemie. Es geht auch um Perspektiven für die Zukunft. Dass jetzt so viel an Impf-Nasensprays geforscht wird, könnte sich auch bei anderen Krankheiten positiv auswirken.
Genauso übertragbar ist die Erfahrung mit den per Gentechnik abgeschwächten aber noch vermehrungsfähigen Viren. Hier konnten die Berliner Forschenden die Behörden überzeugen: Mit den Impfviren darf auch außerhalb von Hochsicherheitslaboren gearbeitet werden. Das ist wichtig für die weitere Entwicklung auch in Bezug auf andere Erreger, die sich über die Atemwege verbreiten. Konkret für SARS-CoV-2 bereitet das Schweizer Unternehmen RocketVax eine Phase-1-Studie mit dem Berliner Impf-Nasenspray vor, die Ende diesen, Anfang nächsten Jahres beginnen könnte.