Die US-Botschaft in Kigali. Ein pompöser, rechteckiger Bau aus beigefarbenem Sandstein. Davor ein großer Kreisverkehr. Eine Ortsmarke in Ruandas Hauptstadt. Doch die meisten fahren hier nur vorbei. Auch am Montag, dem 18. März: Alltag.
Wahrscheinlich hat kaum jemand den Mann bemerkt, der zu Fuß die Botschaft betritt. Er weist sich an der Pforte als Bosco Ntaganda aus. Vor dem Wachpersonal steht ein gesuchter Kriegsverbrecher.
"Bis er zu unserer Botschaft gekommen ist, wussten wir nicht, dass Ntaganda in Kigali ist. Wir haben ihm erlaubt, die Botschaft zu betreten und er hat sofort darum gebeten, an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag übergeben zu werden."
Das Botschaftspersonal selber darf nicht über das Erscheinen Ntagandas sprechen. Per Telefon wird aus dem Außenministerium in Washington der für Afrika zuständige Johnnie Carson zugeschaltet. Und der vertritt eine eindeutige Meinung: Überstellung Ntagandas nach Den Haag so schnell wie möglich – obwohl die USA den Internationalen Strafgerichtshof ICC dort nicht anerkennen.
"Wir in Washington teilen die Werte, Prinzipien und Ziele des ICC bei dem Versuch, Straffreiheit für Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Demokratischen Republik Kongo zu beenden."
Die Wertedebatte – nur ein Erklärungsversuch? Denn die USA stehen im Zwiespalt. Quasi durch die Hintertür müssen sie ein Gericht anerkennen, dass sie eigentlich nicht anerkennen wollen.
Bei der Menschenrechtsgruppe LDGL in Kigali kennt man Ntaganda sehr gut. Seit Jahren verfolgt NGO-Leiter Epimack Kwokwo von hier seinen Werdegang.
"Was er getan hat, war selten hilfreich für die Menschen, für die er nach eigener Aussage gekämpft hat. Wir wissen nicht, warum er gekämpft hat. Denn er hat all seine Ziele nicht erreicht. Er konnte seine Meinung immer nach aktuellen Interessen wechseln. Was er jetzt sagt, weist er vielleicht in ein paar Stunden zurück. Was er sagt, ist nicht, was er tut."
Seit April 2012 soll Ntaganda als führender Kopf hinter der ostkongolesischen Rebellengruppe M23 gestanden haben. Seine Verbrechen begannen aber schon viel früher: Rekrutierung von Kindersoldaten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Plünderung, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung. Seit 2006 wird Ntaganda vom ICC wegen dieser Vergehen gesucht. Menschenrechtler Kwokwo weiß von genügend Beweisen:
"Die Vorwürfe des ICC sind untersucht worden. Das Gericht hat genügend Beweise, um zu bestätigen, was von Bosco Ntaganda verursacht wurde. Die Rekrutierung von Kindersoldaten etwa. Die meisten wurden in Kämpfen getötet und es gibt Überlebende von Massakern."
Goma, November 2012. Die ostkongolesische Millionenstadt ist in Rebellenhand. Ohne nennenswerten Widerstand von Regierungs- oder UN-Friedenstruppen hat die Rebellengruppe M23 die Stadt eingenommen. Krankenhäuser und Flüchtlingslager sind voll.
Bienda Minawe ist zu dieser Zeit einer von geschätzten 140.000 Binnenflüchtlingen im Ostkongo. Er ist seit fünf Monaten auf der Flucht, und dieses Camp am Stadtrand von Goma ist nicht seine erste Zuflucht.
"Als die M23 das Flüchtlingslager in Kibumba überfallen haben, sind wir hierher in das Don Bosco-Lager gekommen. Wir können nicht nach Hause. Für den langen Fußmarsch haben wir nicht genug zu essen. Und in unserem Heimatdorf sind die Häuser zerstört."
Die Einwohner Gomas fürchten gleichzeitig, dass die Regierungsarmee die Stadt im Kampf zurückerobern will. So wie Jeanne Mutembo:
"Das Problem ist, dass wir von der Regierung in Kinshasa hören, dass sie mit der Armee zum Kämpfen zurückkommen will. Wir als Bürger wollen keinen Krieg mehr. Dann gibt es noch mehr Flüchtlinge. Was wir wollen und brauchen, ist Frieden."
Die Anspannung in Goma ist im November 2012 groß. Doch die Sorgen zerstreuen sich zumindest teilweise – vorerst. Die M23-Rebellen ziehen sich freiwillig zurück. Gleichzeitig stocken aber Friedensverhandlungen mit der kongolesischen Regierung. Und vor wenigen Wochen zerfällt die Rebellengruppe schließlich in zwei Teile. Ein Vierteljahr nach der Einnahme Gomas offensichtlich das Ende von Bosco Ntagandas Macht.
Johnnie Carson:
"Seit dem 14. März sind Rebellen, die zu Ntagandas Gruppe gehörten, über die Grenze nach Ruanda gekommen. Wir wussten, dass es andauernde Kämpfe innerhalb der M23 gab. Bosco Ntaganda gehörte dann wohl zu den fünf bis 700, die über die Grenze geflohen sind."
Die Rolle Ruandas in dem Konflikt in Ostkongo bleibt ungeklärt. Die Regierung um Präsident Kagame setzt sich rhetorisch und praktisch für Frieden und Stabilisierung ein. Etwa im Rahmen eines Ostkongo-Friedensabkommens, das in Äthiopiens Hauptstadt Addis Ababa ausgearbeitet wurde. Doch die Vorwürfe, die M23 aufgebaut und unterstützt zu haben, stehen weiterhin im Raum. Von Bosco Ntaganda hat sich Ruanda offiziell distanziert. Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo ließ sich schriftlich erklären:
"Ruanda hat nichts damit zu tun, ob Bosco Ntaganda an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt wird oder nicht. Er befindet sich in der US-Botschaft auf US-Territorium. Deshalb ist das jetzt eine Sache zwischen den USA, der Demokratischen Republik Kongo und dem Internationalen Strafgerichtshof."
Was bleibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung vor allem darauf, dass Ntagandas Kapitulation ein Schritt zu dauerhaftem Frieden in der Region ist. Doch die Meinungen dazu gehen auseinander.
Johnnie Carson:
"Wenn Bosco Ntaganda nach Den Haag gebracht wird, wird das zur Lösung der Probleme im Ostkongo beitragen. Es wird einen der berüchtigtsten Rebellenführer aus der Kampflinie nehmen. Ein Mann, der von vielen als "Der Terminator" bezeichnet wird."
Epimack Kwokwo:
"Es gibt nicht nur die M23 im Ostkongo. Es gibt viele bewaffnete Gruppen. Und alle haben Verbrechen gegen Zivilisten begangen. Es wäre für den Friedensprozess wichtig, all diese Gruppen an einen Tisch zu bekommen."
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Ntaganda wird der Prozess gemacht - Mutmaßlicher Kriegsverbrecher an Strafgerichtshof überstellt
Wahrscheinlich hat kaum jemand den Mann bemerkt, der zu Fuß die Botschaft betritt. Er weist sich an der Pforte als Bosco Ntaganda aus. Vor dem Wachpersonal steht ein gesuchter Kriegsverbrecher.
"Bis er zu unserer Botschaft gekommen ist, wussten wir nicht, dass Ntaganda in Kigali ist. Wir haben ihm erlaubt, die Botschaft zu betreten und er hat sofort darum gebeten, an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag übergeben zu werden."
Das Botschaftspersonal selber darf nicht über das Erscheinen Ntagandas sprechen. Per Telefon wird aus dem Außenministerium in Washington der für Afrika zuständige Johnnie Carson zugeschaltet. Und der vertritt eine eindeutige Meinung: Überstellung Ntagandas nach Den Haag so schnell wie möglich – obwohl die USA den Internationalen Strafgerichtshof ICC dort nicht anerkennen.
"Wir in Washington teilen die Werte, Prinzipien und Ziele des ICC bei dem Versuch, Straffreiheit für Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Demokratischen Republik Kongo zu beenden."
Die Wertedebatte – nur ein Erklärungsversuch? Denn die USA stehen im Zwiespalt. Quasi durch die Hintertür müssen sie ein Gericht anerkennen, dass sie eigentlich nicht anerkennen wollen.
Bei der Menschenrechtsgruppe LDGL in Kigali kennt man Ntaganda sehr gut. Seit Jahren verfolgt NGO-Leiter Epimack Kwokwo von hier seinen Werdegang.
"Was er getan hat, war selten hilfreich für die Menschen, für die er nach eigener Aussage gekämpft hat. Wir wissen nicht, warum er gekämpft hat. Denn er hat all seine Ziele nicht erreicht. Er konnte seine Meinung immer nach aktuellen Interessen wechseln. Was er jetzt sagt, weist er vielleicht in ein paar Stunden zurück. Was er sagt, ist nicht, was er tut."
Seit April 2012 soll Ntaganda als führender Kopf hinter der ostkongolesischen Rebellengruppe M23 gestanden haben. Seine Verbrechen begannen aber schon viel früher: Rekrutierung von Kindersoldaten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Plünderung, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung. Seit 2006 wird Ntaganda vom ICC wegen dieser Vergehen gesucht. Menschenrechtler Kwokwo weiß von genügend Beweisen:
"Die Vorwürfe des ICC sind untersucht worden. Das Gericht hat genügend Beweise, um zu bestätigen, was von Bosco Ntaganda verursacht wurde. Die Rekrutierung von Kindersoldaten etwa. Die meisten wurden in Kämpfen getötet und es gibt Überlebende von Massakern."
Goma, November 2012. Die ostkongolesische Millionenstadt ist in Rebellenhand. Ohne nennenswerten Widerstand von Regierungs- oder UN-Friedenstruppen hat die Rebellengruppe M23 die Stadt eingenommen. Krankenhäuser und Flüchtlingslager sind voll.
Bienda Minawe ist zu dieser Zeit einer von geschätzten 140.000 Binnenflüchtlingen im Ostkongo. Er ist seit fünf Monaten auf der Flucht, und dieses Camp am Stadtrand von Goma ist nicht seine erste Zuflucht.
"Als die M23 das Flüchtlingslager in Kibumba überfallen haben, sind wir hierher in das Don Bosco-Lager gekommen. Wir können nicht nach Hause. Für den langen Fußmarsch haben wir nicht genug zu essen. Und in unserem Heimatdorf sind die Häuser zerstört."
Die Einwohner Gomas fürchten gleichzeitig, dass die Regierungsarmee die Stadt im Kampf zurückerobern will. So wie Jeanne Mutembo:
"Das Problem ist, dass wir von der Regierung in Kinshasa hören, dass sie mit der Armee zum Kämpfen zurückkommen will. Wir als Bürger wollen keinen Krieg mehr. Dann gibt es noch mehr Flüchtlinge. Was wir wollen und brauchen, ist Frieden."
Die Anspannung in Goma ist im November 2012 groß. Doch die Sorgen zerstreuen sich zumindest teilweise – vorerst. Die M23-Rebellen ziehen sich freiwillig zurück. Gleichzeitig stocken aber Friedensverhandlungen mit der kongolesischen Regierung. Und vor wenigen Wochen zerfällt die Rebellengruppe schließlich in zwei Teile. Ein Vierteljahr nach der Einnahme Gomas offensichtlich das Ende von Bosco Ntagandas Macht.
Johnnie Carson:
"Seit dem 14. März sind Rebellen, die zu Ntagandas Gruppe gehörten, über die Grenze nach Ruanda gekommen. Wir wussten, dass es andauernde Kämpfe innerhalb der M23 gab. Bosco Ntaganda gehörte dann wohl zu den fünf bis 700, die über die Grenze geflohen sind."
Die Rolle Ruandas in dem Konflikt in Ostkongo bleibt ungeklärt. Die Regierung um Präsident Kagame setzt sich rhetorisch und praktisch für Frieden und Stabilisierung ein. Etwa im Rahmen eines Ostkongo-Friedensabkommens, das in Äthiopiens Hauptstadt Addis Ababa ausgearbeitet wurde. Doch die Vorwürfe, die M23 aufgebaut und unterstützt zu haben, stehen weiterhin im Raum. Von Bosco Ntaganda hat sich Ruanda offiziell distanziert. Ruandas Außenministerin Louise Mushikiwabo ließ sich schriftlich erklären:
"Ruanda hat nichts damit zu tun, ob Bosco Ntaganda an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt wird oder nicht. Er befindet sich in der US-Botschaft auf US-Territorium. Deshalb ist das jetzt eine Sache zwischen den USA, der Demokratischen Republik Kongo und dem Internationalen Strafgerichtshof."
Was bleibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung vor allem darauf, dass Ntagandas Kapitulation ein Schritt zu dauerhaftem Frieden in der Region ist. Doch die Meinungen dazu gehen auseinander.
Johnnie Carson:
"Wenn Bosco Ntaganda nach Den Haag gebracht wird, wird das zur Lösung der Probleme im Ostkongo beitragen. Es wird einen der berüchtigtsten Rebellenführer aus der Kampflinie nehmen. Ein Mann, der von vielen als "Der Terminator" bezeichnet wird."
Epimack Kwokwo:
"Es gibt nicht nur die M23 im Ostkongo. Es gibt viele bewaffnete Gruppen. Und alle haben Verbrechen gegen Zivilisten begangen. Es wäre für den Friedensprozess wichtig, all diese Gruppen an einen Tisch zu bekommen."
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