Archiv


"Hofschauspieler der Geldpolitik"

Wenn er spricht, landet jedes Wort auf der Goldwaage: Nun spekuliert die Wall Street über das Ende seiner Amtszeit. Der Chef der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, habe unterm Strich einen guten Job gemacht, der "alternativlos" gewesen sei, urteilt Robert Halver, Chefanalyst der Baader Bank.

Robert Halver im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Zieht er oder zieht er nicht die Reißleine? Wenn der Chef der US-Notenbank spricht, dann landet jedes Wort auf der Goldwaage. Diesmal umso mehr, als die Märkte dringend wissen wollten, wann ziehen die Zinsen an – Luft nach unten gibt es kaum noch -, wann beginnt die Fed damit, weniger Staatsanleihen zu kaufen – im Augenblick saugt die US-Notenbank Anleihen für schlanke 85 Milliarden Dollar pro Monat ab. US-Zentralbankchef Ben Bernanke hat eine Straffung der Geldpolitik in Aussicht gestellt.

    Das wollen wir uns jetzt im Einzelnen noch mal erklären lassen. Am Telefon ist Robert Halver, der Chef der Abteilung Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Guten Morgen!

    Robert Halver: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Halver, hat Ben Bernanke etwas Überraschendes angekündigt?

    Halver: Nein, er hat nichts Überraschendes angekündigt. Nur die Aussage, dass seine Geldpolitik davon abhängig ist, wie die Konjunkturdaten reinkommen. Wenn sie besser reinkommen, ist ein allmählicher Ausstieg oder zumindest eine Reduzierung der Liquiditätsoffensive möglich, ansonsten nicht. Herr Bernanke muss ja zwei Dinge machen: Auf der einen Seite muss er ja die Aktien-, die Finanzmärkte kleinreden, um Blasen zu verhindern, aber gleichzeitig damit Zeit gewinnen, um die Konjunktur weiter mit billigem Geld auszustatten.

    Heinemann: Keine Überraschungen. Warum waren die Märkte dann vor dem Auftritt so nervös?

    Halver: Wir wissen ja, dass die Märkte sehr stark an dieser Gelddroge hängen, definitiv, und von daher ist natürlich jedes Wort von Herrn Bernanke sehr wichtig. Und wenn er jetzt sagt, ich könnte mir sogar vorstellen, im nächsten Jahr nicht noch mehr Liquidität in die Märkte zu geben, wenn die Konjunkturdaten stimmen sollten, dann ist klar, dass sich die Aktienmärkte etwas verhalten zeigen. Aber wir sollten eins nie vergessen: Es geht ja darum, dass die Konjunktur wieder läuft, und wenn sie laufen sollte, gibt es ja keinen Grund, weiterhin dieses dramatische Geld in die Märkte reinzupumpen.

    Heinemann: Warum dieser langsame Ausstieg aus den Anleihekäufen? Er hat das ja quasi in Watte gepackt.

    Halver: Herr Bernanke hat natürlich ein Risiko, ein Schicksal selbst erlebt, damals, als die Immobilienblase nach der Lehman-Pleite dann auch geborsten ist. Er weiß genau: Sollten die Aktien-, die Finanzmärkte, auch die Rentenmärkte dramatisch einbrechen, hat das natürlich Kollateralschäden auch für die Konjunktur. Von daher muss er sehr vorsichtig agieren, sehr langsam, damit die Märkte auch ja nicht irritiert sind. Denn heute wissen wir auch: Die Finanzmärkte können auch eine Konjunktur in arge Mitleidenschaft ziehen.

    Heinemann: Herr Halver, wieso koppelt die Fed diese Entscheidung an die Lage auf dem Arbeitsmarkt?

    Halver: Der Arbeitsmarkt ist ja eine entscheidende Größe in den USA. Amerika hängt ja zu etwa 70 Prozent am Konsum, das heißt auch an Arbeitsplätzen. Von daher ist immer ganz klar: Wenn die Arbeitslosigkeit gering ist, der Konsum damit stark ist, das ist der Gratmesser der US-Konjunktur.

    Heinemann: Wie lange kann die Notenbank oder kann eine Notenbank Anleihen in diesem Umfang aufkaufen?

    Halver: Theoretisch unbegrenzt. Rein theoretisch könnte sogar die US-Notenbank jedes Stück Staatsanleihe der USA aufkaufen. Nur Herr Bernanke möchte natürlich nicht, dass damit eine dramatische Blasenentwicklung auch verbunden ist an den Aktienmärkten. Blasen können platzen und wenn sie platzen, ist die Konjunktur auch sehr schlimm dann in Mitleidenschaft gezogen. Das muss verhindert werden. Aber wenn es wirklich erforderlich sein sollte, wenn die Konjunktur dann doch nicht so gut läuft, wird Herr Bernanke oder eine oder ein Nachfolger genauso weitermachen wie bisher.

    Heinemann: Herr Halver, womit rechnen Sie, wie wird jetzt die Börse reagieren?

    Halver: Die Börse wird verhaltener sein, schwankungsanfälliger, und das ist genau das, was Herr Bernanke auch möchte. Er möchte, dass die Börsen eben nicht durch die Decke gehen. Er möchte nicht einen Dow Jones, einen SMP oder auch weltweit einen Nikkei oder einen DAX so massiv ansteigen sehen, dass jeder sagt, jetzt haben wir eine Blase, wir müssen nun rausgehen. Er muss sehr behutsam vorgehen. Und ich würde ihn den Hofschauspieler der Geldpolitik nennen, weil er ganz genau weiß, was er tut: Wasser predigen, Wein saufen.

    Heinemann: Zum Akt II des Hofschauspiels gehören die Zinsen. Die bleiben auf historisch niedrigem Stand. Ist das die richtige Entscheidung?

    Halver: Ja! Die Zinsen müssen niedrig bleiben, weil ansonsten die US-Konjunktur nicht refinanzierbar ist. Bei so einem massiven Sockel von Verschuldung, über 16 Billionen, ist jedes Stück Zinsanstieg Gift für die Refinanzierung. Das heißt, wir kommen aus dieser Nummer von massiven niedrigen Zinsen nicht hervor. Die Zinsen können zwar im Laufe der Jahre etwas ansteigen, aber nicht dramatisch. Das können wir uns nicht mehr leisten, die Verschuldung ist zu hoch.

    Heinemann: Können bis zur Halskrause überschuldete Staaten wie die USA, wie Japan, wie einige Eurostaaten überhaupt jemals zu normalen Zinsen zurückkehren?

    Halver: Wir können sicherlich normale Zinsen nicht mehr haben, das geht nicht mehr. Das haben wir in Japan gesehen, die seit 20 Jahren ja sehr niedrige Zinsen haben. Man muss sich ja vor Augen führen: Ein Prozent nur mehr Zinsen für die US-Staatsverschuldung heißt 160 Milliarden neue Zinszahlungen jedes Jahr. Bei uns wären es 21 Milliarden, das ist kaum noch zu schultern. Das heißt, aus der Phase sehr niedriger Zinsen kommen wir, wie ich finde, nie mehr heraus.

    Heinemann: Herr Halver, das Ganze ist ja so ein gewisser Ritt über den Bodensee. Hohe Zinsen, das wissen wir, sind schlecht für Investitionen. Das weiß jeder Häuslebauer. Niedrige können – und darauf haben Sie ja hingewiesen – Blasen verursachen. Welcher Kurs, welche Zinspolitik ist da die richtige, die vernünftige?

    Halver: Die Stabilität der Konjunktur ist immer entscheidend für die Notenbanken. Das heißt, man wird in Kauf nehmen, dass die Altersvorsorge über Staatspapiere immer unlukrativer wird, um die Konjunktur zu stützen. Das ist leider der Preis, den man zahlen muss. Der klassische deutsche Anleger, der Zinspapiere liebt, der wird natürlich seine Altersvorsorge jeden Tag ein bisschen kleiner werden sehen aufgrund der niedrigen Zinsen und eines Inflationsdrucks. Daher meine Botschaft auch hier, regelmäßig auch in Sachkapital, in Aktien zu investieren.

    Heinemann: Ab welchem Zeitpunkt führt billiges Geld zu Inflation?

    Halver: Wenn wir ehrlich sind, wir haben ja heute schon eine deutlich höhere Inflation als das, was uns weiß gemacht wird. Wenn Sie mal Lebensmittel betrachten, Strom, Versicherungsbeiträge, liegen wir deutlich höher als das, was wir im Augenblick tatsächlich dann auch hören, aus der Tagesschau zum Beispiel. Wichtig ist, glaube ich, zu erkennen, dass Inflation immer die Altersvorsorge auffrisst, und das heißt für den deutschen Anleger, wir müssen mehr in Aktien investieren.

    Heinemann: Welche Inflationsrate berechnen Sie?

    Halver: Ich denke, wir sind deutlich über vier Prozent, und das ist keine Verschwörungstheorie, das ist die Tatsache.

    Heinemann: Über vier Prozent?

    Halver: Ja!

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass die Zinsen, jetzt vor diesem Hintergrund, langfristig dann doch steigen werden?

    Halver: Ganz allmählich, ganz vorsichtig. Aber wir werden nie mehr Zinsniveaus sehen wie zum Beispiel nach der deutschen Wiedervereinigung oder in den 70er-Jahren. Wir können uns diese hohen Zinsen nicht mehr leisten, weil ansonsten die Staatsschulden nicht mehr zu finanzieren sind. Das ist die klare Botschaft. Finanzmathematisch sind höhere Zinsen Gift für die Konjunktur und für die Solidität von Staatshaushalten.

    Heinemann: Aber das sollte ja, was den Kurs der Europäischen Zentralbank betrifft, eigentlich vollkommen egal sein, denn die ist für die Geldpolitik, nicht für die Finanzpolitik zuständig. Oder sollte sein!

    Halver: Ja, sollte sie sein. Offiziell ist ja die EZB der Nachfolger der Deutschen Bundesbank, also Stabilitätspolitik pur, aber auch der Herr Draghi, der Chef der EZB, weiß natürlich, dass man mit einem strikten Kurs einer deutschen Bundesbank, so sinnvoll das auch damals gewesen ist – ich bin ein großer Anhänger der Deutschen Bundesbank gewesen -, heute wieder die Eurozone an den Rand des Ruins bringen würde.

    Heinemann: Sie würden also Jürgen Fitschen zustimmen, dem Co-Chef der Deutschen Bank, der gesagt hat, der Euroraum stehe nicht vor einer geldpolitischen Wende?

    Halver: Definitiv. Wir vertragen keine geldpolitische Wende. Schauen Sie auf Frankreich, Italien, Spanien. Wenn dort die Zinsen ansteigen sollten, und zwar wirklich dramatisch, dann sind diese Staaten nicht mehr zu refinanzieren, und dann spielen wir mit der Existenz der Eurozone. Ein Herr Draghi wird niemals in die Analen der Geschichte eingehen wollen als derjenige, der die Eurozone kollabieren hat lassen.

    Heinemann: Weltweit haben die Zentralbanken ja Billionen Dollar, Euro, Yen oder weiß der Kunde was in die Märkte gepumpt, um einen Zusammenbruch zu verhindern und den Interbankenhandel, also das gegenseitige Ausleihen von Geld zu erhalten. Mit Erfolg unterm Strich?

    Halver: Ja, mit Erfolg. Wir standen wirklich vor einem Riesenproblem, 2008, 2009, auch 2010 noch. Hätten die Notenbanken nicht eingegriffen, wäre unser Finanzsystem kollabiert, und wir hätten ganz andere Sorgen. Das hat mit Stabilität nichts mehr zu tun, das muss man dazu sagen, aber diese Stabilität, die wir früher einmal hatten, können wir uns heute leider nicht mehr leisten. Oder um es anders zu sagen: Stabilität macht nicht satt.

    Heinemann: Herr Halver, könnte das Fracking die Karten neu mischen? Viele verbinden diese neue Energiegewinnung mit einer Ankündigung eines Wiederaufstieges der Vereinigten Staaten zu einer neuen Wirtschaftsführungsnation. Könnte das die Geld- und Finanzpolitik verändern?

    Halver: Längerfristig ja, aber Amerika muss zuerst mal dort hinkommen, wo es 2020 hinkommen möchte, nämlich dass man autark ist in der Energieversorgung, unabhängig von zum Beispiel Öl aus dem Mittleren und Nahen Osten. Das dauert natürlich noch einige Jahre, und es braucht auch dann für den Umbau hin zur Industriegesellschaft der USA wieder billiges Geld und Zeit. Wenn wir 2020 im Visier haben, dann können wir darüber nachdenken, ob dann Zinsen noch mal markant ansteigen sollten. Aber bis dahin, denke ich mir, werden wir ein sehr günstiges Zinsniveau behalten.

    Heinemann: Wir haben es im Bericht von Rüdiger Paulert gerade gehört: Die Amtszeit des US-Notenbankchefs Bernanke endet wahrscheinlich oder offenbar im Januar 2014. Hat er einen guten Job gemacht?

    Halver: Er musste diesen Job so machen, wie er es machen sollte. Hätten wir vor zehn Jahren gewusst, was er macht, hätten wir wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Aber alle diejenigen, die ihn kritisieren, mögen mir bitte erläutern, was die Alternative gewesen ist. Wenn die Alternative ist, eine strikte Stabilitätspolitik zu machen und damit unser Finanzsystem auch kollabieren zu lassen, okay, wenn man das haben möchte, ist das eine Variante, die man akzeptieren muss. Aber sie hätte so viel Schaden angerichtet, das wäre wirklich massiv gewesen. Von daher hat er unterm Strich einen guten Job gemacht, weil es gab keine Alternative dazu. Hier wird man sogar wirklich sagen können, es war alternativlos.

    Heinemann: Robert Halver, Chef der Abteilung Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Danke schön Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Halver: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.