Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als an diesem denkwürdigen Tag in Köln auf einmal auch vergleichsweise leise Töne zu hören waren:
"Say it loud, say it here: Refugees are welcome here..."
Die zentrale Gegenkundgebung des Aktionsbündnis Birlikte vor dem Kölner Messebahnhof lief zwar noch, doch ein Großteil der Gegendemonstranten hatte sich auf den Weg gemacht, zog über die Deutzer Rheinbrücke zurück in die Innenstadt.
Domstadt im Ausnahmezustand
Es war eine kleine Gruppe innerhalb dieses Zugs von mehreren tausend Menschen, die – bunt geschmückt und mit Trommeln bestückt – den Weg singend mitlief – und so einen Ort verließ, an dem den ganzen Tag über die Anspannung spürbar war. Die Domstadt war im Ausnahmezustand, doch nun macht sich mancherorts ein wenig Erleichterung breit:
"Unser Einsatzkonzept ist weitgehend aufgegangen", sagt Thomas Held von der Kölner Polizei, der nun an der gesperrten Straße steht, auf der die Gegendemonstranten singend Richtung Innenstadt gezogen sind. Im Hintergrund werden die ersten Wasserwerfer abgezogen, die Abreise der Teilnehmer läuft zwar noch, doch:
"Wir haben eine positive Bilanz bisher. Unsere Zielrichtung war es ja, mit starken Polizeikräften soweit im Raum zu sein, dass wir die Gefahr schon im Keim ersticken können."
Über 3.500 Polizeibeamte waren daher im Einsatz und schufen in Köln-Deutz - das wurde schon recht früh an diesem Tag deutlich - an einem Ort zwei Welten. Die eine war die von Hogesa, den selbsternannten "Hooligans gegen Salafisten".
Ein eingezäunter Schotterplatz nahe dem Kölner Messegelände, auf der anderen Seite der Schienen und damit hinter dem Bahnhof. Hier stehen die Hogesa-Teilnehmer zusammen. Fast nur Männer, fast alle schwarz gekleidet. Es ist am Nachmittag, kurz nach drei Uhr. Eigentlich sollte hier, auf dem Barmer Platz, seit über eine Stunde die Standkundgebung stattfinden, doch die Organisation erweist sich als schwierig.
"Wir brauchen noch zwölf Ordner."
Nur knapp 1.000 Hogesa-Anhänger bei Kundgebung
Mal wieder steht der Anmelder, Dominik Horst Roeseler, der für die rechtsextreme Bewegung Pro-NRW im Mönchengladbacher Stadtrat sitzt, auf der provisorisch aufgebauten Bühne.
"Einfach darüber gehen, die Melanie macht das alles. Zwölf Damen, Herren..."
Als Veranstalter muss Roeseler der Polizei 50 Ordner präsentieren, doch manche werden abgelehnt. Sie sind vorbestraft oder alkoholisiert. Und während die ersten Teilnehmer die Polizei schon nach dem Ausgang aus dem eingezäunten Gelände fragen, läuft Roesler immer wieder über den Platz:
"Also, ich gehe jetzt so lange auf die Bühne bis wie die zwölf Ordner haben, ist Euch klar, ne?"
Knapp eine Stunde später, kann es dann doch losgehen. Die Kundgebung beginnt:
"Wir haben heute hier unseren Geburtstag. Ein Jahr ist es her, wo wir circa fünf- bis siebentausend Leute waren..."
Doch davon ist heute nichts zu sehen. Nur knapp 1.000 Menschen, über den ganzen Tag verteilt, haben sich hier eingefunden. Von den zahlreichen Hooligans aus dem vergangenen Jahr ist nichts zu sehen. Und während die Veranstaltung auf dem Barmer Platz beginnt, ist auf der anderen Seite, bei den Gegendemonstranten, schon viel länger viel mehr los:
Protest gegen Hogesa und die Pegida-Bewegung
Bands spielen, Texte werden vorgetragen. Es sind vielleicht zwei-, dreihundert Meter Luftlinie bis auf die andere Seite, aber dennoch eine komplett andere, buntere Welt – in der man jedoch auch auf den Gegner schaut:
"Sie haben es lange nicht geschafft, ihre 50 Ordner an den Start zu bringen. Das war wohl eine schwierige Aufgabe."
Hermann Rheindorf von der "AG Arsch Huh", steht auf der Bühne. Lässt die Zuschauer teilhaben an den Ereignissen von der anderen Seite der Schienen:
"Die Polizei hat Zelte dort drüben aufgestellt. Die mussten sich einzeln Leibesvisitationen unterziehen. Springerstiefel ausziehen."
Über zehntausend Menschen haben sich hier versammelt – wollten ein Zeichen setzen:
"Es geht natürlich darum, dass die Straßen hier in Köln unmöglich für Nazis und Hooligans freigegeben werden können. Wir müssen denen jeden Zentimeter Raum nehmen."
"Ich finde, man muss da einfach rausgehen auf die Straße und zeigen, dass es nicht geht, dass es nicht okay ist, solches Gedankengut."
Auch Mario Kramp steht in der Menge. Der Direktor des Kölner Stadtmuseums hält ein Plakat hoch, auf dem die Menschenrechtscharta abgedruckt ist. Ob er stolz ist auf seine Stadt angesichts dieses breiten Gegenprotests?
"Ach, stolz auf Köln. Ich bin stolz auf Köln, wenn es den Arsch hochbekommt und das zeigt es hier, dass es das tut."
Für Kramp geht es natürlich gegen Hogesa, aber auch gegen die Pegida-Bewegung. Denn bei deren Jahrestag kürzlich in Dresden, gab es regen Zulauf:
"Der Schock war nicht vor allen Dingen dieser unsägliche Satz, dass es bedauerlicherweise keine KZs mehr gebe, sondern der Schwenk der Kamera auf 20.000 jubelnde Menschen. Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten, ich halte das für einen zivilisatorischen Bruch unserer Gesellschaft. Es reicht jetzt."
"Refugees are welcome here"
Ein Grund, weshalb auch der Kölner Bundestagsabgeordnete Volker Beck von den Grünen nach Deutz gekommen ist. Auch Beck taucht in beide Welten ein, nimmt nicht nur an der Gegenprotest-Veranstaltung teil, sondern steht auch der Absperrung der Hogesa-Kundgebung. Die vergleichsweise geringe Teilnehmerzahl, für Beck, ein Beweis:
"Dass man durch ein entschlossenes Auftreten von Polizei und Staat diese Leute demotivieren kann. Und es zeigt sich eben auch, dass außerhalb von Dresden, wo es mit Pegida eine große Bewegung gibt, nirgendwo relevante Zahlen zusammenkommen von Leuten, die sich hinter der Fahne von Hass, Ausgrenzung und Rassismus versammeln wollen."
Zumal, trotz einiger Ausschreitungen am Rande, bei denen vor allem Linksautonome Polizisten mit Steinen beworfen hatten, die große "Prügelparty", auf die wohl viele Hogesa-Anhänger gehofft hatten, ausfiel. Und so war es für die Domstadt zwar ein angespannter Tag, ein Tag, der ihr viel abverlangt hatte, an dessen Ende dann aber doch noch, auch die leiseren Töne hörbar waren:
"Refugees are welcome here..."