Ein wenig knarzt es, wenn Gäste die Holztreppe hinaufsteigen in der Villa, die seit 150 Jahren hier steht. Vertäfelt sind selbst die Flure, und die Balkone öffnen sich hinaus ins Bergpanorama - so hat sich Dr. Mikulas Szontagh seine private Residenz immer vorgestellt. "Szontagh war der Gründer von unserem Ort Novy Smokovec. Er hat den Startschuss gegeben für den Tourismus, für die Winteraufenthalte in der Hohen Tatra, das ist sein Verdienst. Ein Haus weiter sind übrigens die Kurbäder, die er gegründet hat", sagt Dana Fasingerova.
Die Touristen sind anspruchsollver geworden
Sie ist heute die Chefin der Pension, die nach dem Kurarzt Dr. Szontagh benannt ist, eine energische Frau, die früher Hüttenwirtin war und jetzt wieder angekommen ist unten im Tal. Novy Smokovec: Das ist einer der wichtigsten Orte in der Hohen Tatra, sozusagen die Umlenkstation zwischen der Ebene und dem Gebirge. Wer sich dem Ort Novy Smokovec nähert, kommt per Bahn durch eine kilometerlange Ebene und sieht am Horizont unvermittelt die Berge aufsteigen, gekrönt von den schneebedeckten Gipfeln. Da, wo die Steinmassive aus der Ebene emporsteigen - da liegt Novy Smokovec, ein Ort, dessen Häuser mit ihren Holzbalkonen bis heute an das 19. Jahrhundert erinnern in ihrer eigentümlichen Mischung aus karger Hochgebirgstradition und mondäner Kurbad-Architektur.
"Es gab Phasen, da sind die Leute wegen der Schönheit der Natur in die Tatra gekommen, wegen der Berge. Dann wurden sie anspruchsvoller: Viele Hotels haben Wellnesseinrichtungen gebaut. Die Gäste, die heute kommen, sind von zu Hause daran gewöhnt, viel zu sitzen. Je näher sie am Haus parken können, desto besser." Ein wenig Wehmut schwingt mit in der Stimme von Dana Fasingerova.
Und wer die alte Villa verlässt und durch den Ort streift, kann erahnen, woher diese Wehmut kommt: Immer mehr Appartmentblöcke entstehen, gesichtslos und mit viel Beton, selbst eine Tiefgarage bauen sie hier für die paar Dutzend Häuser - und gleich neben der Werbung für ein Luxushotel wächst auf dem Gehweg eine der wenigen Bänke mit ungeschnittenem Gras zu. Vor lauter Rückzug ins Private, so scheint es hier am Fuße der Tatra, gerät das Öffentliche ein wenig in Vergessenheit.
Wie gut, dass es auch noch die Berge gibt: Der schnellste Weg vom Ortskern aus führt mit einer Standseilbahn hinauf, sie fährt jede Viertelstunde und gießt jedes Mal oben auf 1.272 Metern Höhe eine Schar Touristen aus. Wer geradeaus läuft, kommt auf eine Art Wanderer-Autobahn, eine breit ausgebaute Schneise, die weiter hinein führt in die Berge. Hier haben noch die Turnschuhträger mit Trainingsanzug die Oberhand - die wirklich anspruchsvollen Strecken fangen erst weiter drinnen an im Nationalpark Hohe Tatra.
Träger versorgen die Hütten - Alternativen gibt es noch nicht
Peter Petras stört sich nicht an dem Massenbetrieb, mit gleichmäßigem Schritt zieht er an den Ausflüglern vorbei. Er ist Wirt auf der Rainerova Chata, der ältesten Hütte der Tatra - und vor allem ist er Träger. Sherpa werden sie auch genannt, die Männer, die die Berghütten mit Vorräten versorgen. Auf dem Rücken tragen sie unvorstellbare Lasten nach oben. Bei 207 Kilogramm liegt der Rekord, selbst ganze Kühlschränke kommen so hinauf in die abgelegensten Winkel des Hochgebirges.
"Träger zu sein ist eine harte Arbeit - aber es zwingt einen ja auch niemand dazu. Viele Leute probieren das mal aus, aber nur wenige halten es durch. Das ist vermutlich auch ganz gut so, denn es hören vor allem die wieder auf, die schwächer sind. Die Guten bleiben", sagt Peter Petras. Er geht auf die 70 zu, er ist einer der Veteranen unter den Tatra-Trägern.
Die Tatra ist das einzige Hochgebirge Europas, in dem die Hütten noch nicht mit Seilbahnen oder Geländefahrzeugen versorgt werden. Hier, sagt Peter Petras, lasse die Natur die Technisierung schlicht nicht zu - die Wege sind zu schmal und zu steinig. Ganz abgesehen davon, dass es längst zum Kolorit der Tatra gehört, dass ein Wanderer immer wieder auf einen der einsamen Männer trifft, die mit ihrer schweren Last schweigsam hinaufsteigen, den Blick starr nach unten auf den Weg gerichtet. "Wir Tatra-Träger haben einen Sinn für Abenteuer, das sicherlich. Aber es ist auch ein romantischer Beruf. Die Zufriedenheit kommt bei uns nicht nur von der körperlichen Anstrengung, sondern auch von der Umgebung, in der wir uns bewegen; von den Bergen."
Der Schweiß fließt bei den Trägern
Es ist ein unglaubliches Panorama, das sich hier oben in der Tatra öffnet, sobald man die Haupt-Trampelpfade der Ausflügler verlassen hat: Zerklüftet sind die Felsen, so rauh wie in den Massiven der Hochalpen, und häufig streift der Blick in die weite Ebene hinunter - die Tatra ist nur ein schmaler Gebirgsstreifen, in dem sich die Berge umso wuchtiger nach oben drängen.
Dass es wenig Bäume gibt, liegt an einem Orkan, der hier vor mehr als zehn Jahren gewütet und hektarweise Wald vernichtet hat. Bis heute hat sich die Natur davon nicht erholt. Immer wieder kreuzt man wilde Bäche, die sich ins Tal stürzen. "Schau, wie klar das Wasser hier ist! Eigentlich sieht man hier immer Forellen, keine Ahnung, wo die gerade sind. Manchmal schwillt der Strom so stark an, dass er alles runterspült. Wenn dann der Wasserstand wieder niedriger ist, kommen die Forellen nicht wieder zurück."
Peter Petras setzt wie alle seine Kollegen auf eine ganz spezielle Tragekonstruktion, wenn er seine Lasten bergwärts schleppt: Eine Art Holzleiter ist es, die er sich mit breiten Feuerwehrschläuchen über die Schulter bindet, sie steht einen Meter weit über den Kopf hinaus. Unten ist eine Sprosse befestigt, auf die die Profis zunächst ein oder zwei Fässer Bier stapeln, dann eine Gasflasche für den Herd auf der Hütte und schließlich noch ein paar Getränkekisten. "Wenn es über das Jahr nicht regnen würde, wären die Wege hier salzig. Soviel Salz, wie die Träger ausschwitzen auf ihren Touren! Am Anfang habe ich mich immer gewundert, warum sich bei meinem schwarzen Hut die Krempe von innen weiß färbt im Laufe der Zeit. Das ist einfach eine Salzkruste, das weiß ich jetzt - mein Hut ist immer wieder weiß geworden."
Träger Petras will nicht ins Ausland: "Nirgendwo ist es so schön wie hier"
Peter Petras ist angekommen auf seiner Hütte. Zwei junge Musiker in Tracht spielen davor auf, die Gäste sitzen in der Sonne und lauschen. In der Hand halten die meisten ein Glas Bier; an Wochenenden ist das hier immer so, da übernehmen die Ausflügler das Kommando. Peter Petras setzt seinen Rucksack ab und seufzt. Seinem früheren Beruf trauert er nicht hinterher: Lehrer war er, an einer Schule unten im Tal, und oft ist er nachmittags nach dem Unterricht noch hinaufgestiegen in die Berge. "Die Leute wissen es zu schätzen, wenn jemand in der Tatra arbeitet, das ist immer noch hoch angesehen, ein ganz besonderer Beruf."
Im Ausland ist Peter Petras noch nicht gewesen, sowieso, sagt er, sei es nirgendwo so schön wie hier in der Hohen Tatra. Er setzt sich auf die Bank vor seiner Hütte, streckt die Füße aus und lauscht der Musik, den Blick auf das Felsmassiv gerichtet, das sich ein paar hundert Meter entfernt vor ihm auftürmt. Ganz unrecht hat er nicht, soviel steht fest.