Dirk Müller: Alles hat immer einen Anfang. Der Ursprung der Arabischen Revolution lag in Tunesien Anfang des Jahres. Massenhaft Proteste und Demonstrationen, die alten Machthaber um Präsident Ben Ali verließen so schnell wie sie konnten das Land. Es folgte eine Zeit des Übergangs, des Sortierens der verschiedenen politischen gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte. Gestern nun die ersten freien Wahlen des tunesischen Volkes, ein Urnengang, der die Freiheit des Volkes ermöglichen und dauerhaft sichern soll.
Die Wahlen in Tunesien, darüber sprechen wollen wir nun mit Maghreb-Kenner Rudolph Chimelli von der Süddeutschen Zeitung. Guten Morgen!
Rudolph Chimelli: Guten Morgen.
Müller: Herr Chimelli, die Islamisten sind offenbar auf dem Vormarsch. Ist das die Kehrseite der Medaille?
Chimelli: Ich weiß nicht, ob es die Kehrseite ist. Es ist die wichtigste Seite der Medaille, denn es war ein Ergebnis, das man erwarten musste. Alle Umfragen sprachen dafür. Die Stimmung im ganzen Land machte es hörbar, sichtbar und greifbar. Noch haben wir keine Wahlergebnisse, aber die hohe Wahlbeteiligung ist fast sicher gleichbedeutend mit einem Erfolg von al-Nahda, denn die Grundstimmung im tunesischen Volk vor allen Dingen im Hinterland ist natürlich im kulturellen Sinne verstanden, im religiösen Sinne islamisch und normalerweise werden einfache Leute für eine islamische Partei stimmen. Es hätte sein können, dass sie zu Hause geblieben wären, weil die Früchte der Revolution, die materiellen Früchte für sie nicht in dem Maße fließen, wie sie es erhofft haben, aber da sie zur Wahl gegangen sind, hat Ennahda ganz sicher ein hohes Ergebnis erzielt.
Müller: Islamisten und Demokratie - ist das miteinander vereinbar?
Chimelli: In Tunis ganz sicher, denn die tunesischen Islamisten waren schon vor 20 Jahren den Weg gegangen, den gemäßigte Glaubensbrüder in anderen Ländern erst später einschlugen. Ich kenne persönlich den Führer der tunesischen Islamisten Rachid Ghannouchi seit etwa 20 Jahren, und er hat damals in der Substanz schon die Ansichten vertreten, die er heute vertritt, eine islamistische Partei, die ihre Ziele im Rahmen eines pluralistischen Kräftespiels zu verwirklichen suchte. Das türkische Modell, auf das er sich heute beruft, gab es damals noch nicht, aber seine Vorstellungen, seine Ansichten entsprachen ziemlich genau dem, was seither der türkische Premierminister Erdogan in der Türkei verwirklicht hat.
Müller: Das heißt, wir sprechen über moderate Kräfte?
Chimelli: Wir sprechen über moderate Kräfte.
Müller: Was wollen die Islamisten?
Chimelli: Es wollen nicht alle Islamisten das Gleiche. Es hat den Anschein, dass die moderaten gemäßigten Islamisten, die ich gerade geschildert habe, eine für uns verträgliche Form des politischen Islam im Blick haben. Es gibt natürlich daneben Radikale, die etwas anderes wollen. Ich zweifele sehr daran, dass diese Radikalen mehrheitsfähig sind, jedenfalls nicht in Tunesien.
Müller: Wir reden oft über Nordafrika, über die arabischen Staaten, auch über den Maghreb aus der ideologischen Perspektive, aus der westlichen Perspektive. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wenn die Islamisten sich in Tunesien jetzt durchsetzen sollten – danach sieht es aus, wir wissen das Ergebnis allerdings noch nicht, morgen werden wir erst verlässliche Zahlen haben -, dann braucht der Westen, dann brauchen auch die Tunesier keine Angst haben?
Chimelli: Ich glaube, von den Tunesiern nicht. Man muss auch, wenn man das Wort Mehrheit gebraucht, vorsichtig sein. Es dürfte sich sehr wahrscheinlich um eine relative Mehrheit handeln. Von absoluter Mehrheit ist bisher nicht die Rede. Aber das bedeutet, dass die gemäßigten Islamisten von Ennahda sich mit anderen arrangieren müssen, um regieren zu können. Sie werden ihre Vorstellungen, selbst ihre gemäßigten Vorstellungen nicht einfach durch Order verwirklichen können, denn dazu müssten sie effektiv eine effektive Mehrheit haben, die sie wahrscheinlich nicht kriegen werden.
Müller: Welche Rolle, Herr Chimelli, spielen die sozialpolitischen, die arbeitsmarktpolitischen, die wirtschaftspolitischen Erwägungen?
Chimelli: Die spielen eine große Rolle, aber auch hier scheint es, dass die Entwicklung den Islamisten zugutekam, denn die Erwartungen, die materiellen Erwartungen, die Hoffnung auf Jobs, auf Karrieren, die in die anderen politischen Kräfte gesetzt wurden, sind weniger groß. Die Leute sind realistisch, sie wissen, da die kleinen laizistischen Parteien geringe Chancen haben, an die Schalthebel zu kommen, werden sie auch wenig für die Leute tun können, die Hilfe und Beschäftigung und Posten brauchen. Es kommt hinzu, dass viele der prominenten Figuren der laizistischen Parteien schon in der Ära Ben Ali sichtbar waren. Sie waren zwar damals in der Opposition, zum großen Teil aber bildeten sie eine Form von geduldeter Opposition, die sich dem Betrieb des Präsidenten einigermaßen einordnete, und auch das begünstigt ihr Bild in den Augen der Tunesier nicht.
Müller: Politischer Sprengstoff könnte ja nach wie vor – Sie haben es gerade angesprochen – eben auch die Wirtschaftspolitik, die Arbeitsmarktpolitik sein. Wenn wir das richtig recherchiert haben, gibt es ja Regionen in Tunesien, wo die Arbeitslosigkeit weit über 40 Prozent liegt. Welche Möglichkeiten gibt es dort, welche Perspektive ist da vorhanden?
Chimelli: Da sind die Aussichten recht düster, denn keine Regierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, was immer ihre Herkunft sein mag, kann das ändern. Sie kann es vor allen Dingen nicht schnell ändern, denn dafür ist Geld nötig, viel Geld, und dieses Geld ist nicht da. Tunesien hat begrenzte Einnahmequellen. Der Tourismus, eine der wichtigsten, ist zusammengebrochen. Und die geringen Erdölvorkommen sind im Abnehmen in der Produktion. Das wird sehr schwierig sein. Ausländische Investitionen wären gut, aber es ist natürlich sehr fraglich, ob sich diese Investitionen einstellen, bevor die Stabilität, die politische Stabilität gesichert ist. Schnell wird die Besserung nicht gehen und selbstverständlich sind mit der Revolution große Hoffnungen in die Höhe geschossen. Diese Hoffnungen sind bisher nicht erfüllt worden, können auch nicht erfüllt werden. Es ist auf dem Arbeitsmarkt zum Teil schlechter geworden, als es vorher war. Alles das wird eine Rolle spielen.
Müller: Könnten möglicherweise freiheitliche, demokratischere Strukturen dann scheitern an der Situation der Wirtschaft?
Chimelli: Das ist eine düstere Perspektive, die man nicht ganz ausschließen kann, denn schließlich wollen die Leute essen, ein Dach über dem Kopf haben und in Sicherheit leben. Das ist das Wichtigste. Was eintreten könnte als Folge dessen, was Sie gerade geschildert haben, ist ein erneut steigender Auswanderungsdruck, denn dagegen kann ein demokratisches Regime natürlich nicht mit Gewalt einschreiten, so wie das Ben Ali gemacht hat zur Freude der Europäer. Das könnte eine Folge sein und eine sehr unangenehme Folge.
Müller: Blicken wir, Herr Chimelli, mal etwas über den Tellerrand. Wir haben jetzt ausführlich über Tunesien geredet, wir haben auch viele Wochen, viele Tage über Marokko geredet. Warum redet keiner über Algerien?
Chimelli: Über Algerien wird wenig geredet, weil das Regime von Präsident Bouteflika die Situation in der Hand hat. In der Hand bedeutet nicht, dass es in Algerien völlig ruhig ist. Es gibt in Algerien nicht erst seit Ausbruch des Arabischen Frühlings, sondern schon vorher jede Woche kleinere, größere Krawalle irgendwo in der Provinz, Protestdemonstrationen, die sich um ein konkretes Anliegen kümmern, kein Wasser da, eine Brücke, die gebaut werden müsste, kommt nicht voran, es gibt keine Arbeitsplätze, es fehlen Lebensmittel, bestimmte Lebensmittel. Überall brechen solche Demonstrationen immer wieder aus, werden mit mehr oder weniger Brutalität zusammengeschlagen, meistens ohne große Folgen, und die Sache ist wieder im Sande verlaufen. Eine koordinierte Bewegung, die etwas gegen das Regime machen könnte, mit strategischen Zielen und aufeinander abgestimmten Demonstrationen gibt es nicht. Sie kann sich auch schlecht entwickeln, denn bei den Algeriern besteht dazu keine Stimmung. Die Algerier haben, das sollte man nicht vergessen, einen blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich erlebt. Das ist nun quasi ein halbes Jahrhundert her, aber sie haben in den 90er-Jahren einen sehr blutigen weiteren Bürgerkrieg erlebt zwischen den in den Untergrund gedrängten Islamisten und den Militärs. Bei diesem zweiten Bürgerkrieg sind zwischen 150.000 und 200.000 Menschen ums Leben gekommen, das ist nicht lange her. In jedem algerischen Ort kennt man die Opfer. Deshalb besteht eine große Abneigung dagegen, sich auf eine neue Revolution einzulassen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Maghreb-Kenner Rudolph Chimelli von der Süddeutschen Zeitung. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Rudolph Chimelli: Guten Morgen.
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Chimelli: Ich weiß nicht, ob es die Kehrseite ist. Es ist die wichtigste Seite der Medaille, denn es war ein Ergebnis, das man erwarten musste. Alle Umfragen sprachen dafür. Die Stimmung im ganzen Land machte es hörbar, sichtbar und greifbar. Noch haben wir keine Wahlergebnisse, aber die hohe Wahlbeteiligung ist fast sicher gleichbedeutend mit einem Erfolg von al-Nahda, denn die Grundstimmung im tunesischen Volk vor allen Dingen im Hinterland ist natürlich im kulturellen Sinne verstanden, im religiösen Sinne islamisch und normalerweise werden einfache Leute für eine islamische Partei stimmen. Es hätte sein können, dass sie zu Hause geblieben wären, weil die Früchte der Revolution, die materiellen Früchte für sie nicht in dem Maße fließen, wie sie es erhofft haben, aber da sie zur Wahl gegangen sind, hat Ennahda ganz sicher ein hohes Ergebnis erzielt.
Müller: Islamisten und Demokratie - ist das miteinander vereinbar?
Chimelli: In Tunis ganz sicher, denn die tunesischen Islamisten waren schon vor 20 Jahren den Weg gegangen, den gemäßigte Glaubensbrüder in anderen Ländern erst später einschlugen. Ich kenne persönlich den Führer der tunesischen Islamisten Rachid Ghannouchi seit etwa 20 Jahren, und er hat damals in der Substanz schon die Ansichten vertreten, die er heute vertritt, eine islamistische Partei, die ihre Ziele im Rahmen eines pluralistischen Kräftespiels zu verwirklichen suchte. Das türkische Modell, auf das er sich heute beruft, gab es damals noch nicht, aber seine Vorstellungen, seine Ansichten entsprachen ziemlich genau dem, was seither der türkische Premierminister Erdogan in der Türkei verwirklicht hat.
Müller: Das heißt, wir sprechen über moderate Kräfte?
Chimelli: Wir sprechen über moderate Kräfte.
Müller: Was wollen die Islamisten?
Chimelli: Es wollen nicht alle Islamisten das Gleiche. Es hat den Anschein, dass die moderaten gemäßigten Islamisten, die ich gerade geschildert habe, eine für uns verträgliche Form des politischen Islam im Blick haben. Es gibt natürlich daneben Radikale, die etwas anderes wollen. Ich zweifele sehr daran, dass diese Radikalen mehrheitsfähig sind, jedenfalls nicht in Tunesien.
Müller: Wir reden oft über Nordafrika, über die arabischen Staaten, auch über den Maghreb aus der ideologischen Perspektive, aus der westlichen Perspektive. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wenn die Islamisten sich in Tunesien jetzt durchsetzen sollten – danach sieht es aus, wir wissen das Ergebnis allerdings noch nicht, morgen werden wir erst verlässliche Zahlen haben -, dann braucht der Westen, dann brauchen auch die Tunesier keine Angst haben?
Chimelli: Ich glaube, von den Tunesiern nicht. Man muss auch, wenn man das Wort Mehrheit gebraucht, vorsichtig sein. Es dürfte sich sehr wahrscheinlich um eine relative Mehrheit handeln. Von absoluter Mehrheit ist bisher nicht die Rede. Aber das bedeutet, dass die gemäßigten Islamisten von Ennahda sich mit anderen arrangieren müssen, um regieren zu können. Sie werden ihre Vorstellungen, selbst ihre gemäßigten Vorstellungen nicht einfach durch Order verwirklichen können, denn dazu müssten sie effektiv eine effektive Mehrheit haben, die sie wahrscheinlich nicht kriegen werden.
Müller: Welche Rolle, Herr Chimelli, spielen die sozialpolitischen, die arbeitsmarktpolitischen, die wirtschaftspolitischen Erwägungen?
Chimelli: Die spielen eine große Rolle, aber auch hier scheint es, dass die Entwicklung den Islamisten zugutekam, denn die Erwartungen, die materiellen Erwartungen, die Hoffnung auf Jobs, auf Karrieren, die in die anderen politischen Kräfte gesetzt wurden, sind weniger groß. Die Leute sind realistisch, sie wissen, da die kleinen laizistischen Parteien geringe Chancen haben, an die Schalthebel zu kommen, werden sie auch wenig für die Leute tun können, die Hilfe und Beschäftigung und Posten brauchen. Es kommt hinzu, dass viele der prominenten Figuren der laizistischen Parteien schon in der Ära Ben Ali sichtbar waren. Sie waren zwar damals in der Opposition, zum großen Teil aber bildeten sie eine Form von geduldeter Opposition, die sich dem Betrieb des Präsidenten einigermaßen einordnete, und auch das begünstigt ihr Bild in den Augen der Tunesier nicht.
Müller: Politischer Sprengstoff könnte ja nach wie vor – Sie haben es gerade angesprochen – eben auch die Wirtschaftspolitik, die Arbeitsmarktpolitik sein. Wenn wir das richtig recherchiert haben, gibt es ja Regionen in Tunesien, wo die Arbeitslosigkeit weit über 40 Prozent liegt. Welche Möglichkeiten gibt es dort, welche Perspektive ist da vorhanden?
Chimelli: Da sind die Aussichten recht düster, denn keine Regierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, was immer ihre Herkunft sein mag, kann das ändern. Sie kann es vor allen Dingen nicht schnell ändern, denn dafür ist Geld nötig, viel Geld, und dieses Geld ist nicht da. Tunesien hat begrenzte Einnahmequellen. Der Tourismus, eine der wichtigsten, ist zusammengebrochen. Und die geringen Erdölvorkommen sind im Abnehmen in der Produktion. Das wird sehr schwierig sein. Ausländische Investitionen wären gut, aber es ist natürlich sehr fraglich, ob sich diese Investitionen einstellen, bevor die Stabilität, die politische Stabilität gesichert ist. Schnell wird die Besserung nicht gehen und selbstverständlich sind mit der Revolution große Hoffnungen in die Höhe geschossen. Diese Hoffnungen sind bisher nicht erfüllt worden, können auch nicht erfüllt werden. Es ist auf dem Arbeitsmarkt zum Teil schlechter geworden, als es vorher war. Alles das wird eine Rolle spielen.
Müller: Könnten möglicherweise freiheitliche, demokratischere Strukturen dann scheitern an der Situation der Wirtschaft?
Chimelli: Das ist eine düstere Perspektive, die man nicht ganz ausschließen kann, denn schließlich wollen die Leute essen, ein Dach über dem Kopf haben und in Sicherheit leben. Das ist das Wichtigste. Was eintreten könnte als Folge dessen, was Sie gerade geschildert haben, ist ein erneut steigender Auswanderungsdruck, denn dagegen kann ein demokratisches Regime natürlich nicht mit Gewalt einschreiten, so wie das Ben Ali gemacht hat zur Freude der Europäer. Das könnte eine Folge sein und eine sehr unangenehme Folge.
Müller: Blicken wir, Herr Chimelli, mal etwas über den Tellerrand. Wir haben jetzt ausführlich über Tunesien geredet, wir haben auch viele Wochen, viele Tage über Marokko geredet. Warum redet keiner über Algerien?
Chimelli: Über Algerien wird wenig geredet, weil das Regime von Präsident Bouteflika die Situation in der Hand hat. In der Hand bedeutet nicht, dass es in Algerien völlig ruhig ist. Es gibt in Algerien nicht erst seit Ausbruch des Arabischen Frühlings, sondern schon vorher jede Woche kleinere, größere Krawalle irgendwo in der Provinz, Protestdemonstrationen, die sich um ein konkretes Anliegen kümmern, kein Wasser da, eine Brücke, die gebaut werden müsste, kommt nicht voran, es gibt keine Arbeitsplätze, es fehlen Lebensmittel, bestimmte Lebensmittel. Überall brechen solche Demonstrationen immer wieder aus, werden mit mehr oder weniger Brutalität zusammengeschlagen, meistens ohne große Folgen, und die Sache ist wieder im Sande verlaufen. Eine koordinierte Bewegung, die etwas gegen das Regime machen könnte, mit strategischen Zielen und aufeinander abgestimmten Demonstrationen gibt es nicht. Sie kann sich auch schlecht entwickeln, denn bei den Algeriern besteht dazu keine Stimmung. Die Algerier haben, das sollte man nicht vergessen, einen blutigen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich erlebt. Das ist nun quasi ein halbes Jahrhundert her, aber sie haben in den 90er-Jahren einen sehr blutigen weiteren Bürgerkrieg erlebt zwischen den in den Untergrund gedrängten Islamisten und den Militärs. Bei diesem zweiten Bürgerkrieg sind zwischen 150.000 und 200.000 Menschen ums Leben gekommen, das ist nicht lange her. In jedem algerischen Ort kennt man die Opfer. Deshalb besteht eine große Abneigung dagegen, sich auf eine neue Revolution einzulassen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Maghreb-Kenner Rudolph Chimelli von der Süddeutschen Zeitung. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
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