Stahlknecht räumte ein, dass es sich im Fall der Burka nicht um eine Frage der inneren Sicherheit handle. Es gehe hier aber um Integration. Die Vollverschleierung stehe für völlig andere Wertvorstellungen. Sie sei diskriminierend und passe nicht in unsere Gesellschaft. Auch in anderen Ländern sei sie verboten. Er verwies darauf, dass der Europäische Menschenrechtsgerichthof entschieden habe, dass dies keinen Verstoß gegen die Religionsfreiheit darstelle.
Für eine Stärkung der Sicherheit werden nach Stahlknechts Ansicht mehr Polizeipräsenz, mehr Überwachung von Internetaktivitäten und Verbesserungen bei den Nachrichtendiensten gebraucht. Zudem müssten Gefährder schneller abgeschoben werden, verlangte er.
Die Innenminister der Länder von CDU und CSU wollen noch in dieser Woche mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière über Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit beraten.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Christdemokrat Holger Stahlknecht ist Innenminister von Sachsen-Anhalt. Ihn habe ich vor einer Viertelstunde auf das geforderte Verbot der Vollverschleierung angesprochen, das für so viel Diskussion gesorgt hat, und ich habe ihn gefragt, welche Gefahr denn für die Sicherheit ausgeht von Frauen, die eine Burka tragen.
Holger Stahlknecht: Das ist für mich keine Frage in erster Linie der inneren Sicherheit, sondern das ist eine Frage der Integration und eine Frage des Selbstverständnisses unserer offenen Gesellschaft und von Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und wir haben also völlig andere Wertevorstellung, und eine Vollverschleierung, und darüber reden wir ja, passt nicht in unsere Gesellschaft. Ich finde das auch diskriminierend für Frauen. Und andere Nationalstaaten haben ein Verbot diesbezüglich, und das wird auch akzeptiert, beispielsweise im Tessin in der Schweiz oder in Frankreich. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat auch gesagt, dies verstößt nicht gegen die Religionsfreiheit. Aber bitte schön, es ist keine Frage primär der inneren Sicherheit, sondern die Frage, wie Integration gelingen soll. Und wer sich bei uns integrieren möchte und will, der hat dann auch bitte schön unsere Kultur zu akzeptieren, und dazu gehört keine Vollverschleierung. Gegen Kopftuch oder Schleier hat ja niemand was.
"Eine Frage, wie gestalten wir Integration in Deutschland"
Barenberg: Wenn Sie sagen, das ist keine Frage der inneren Sicherheit, dann schließt sich die Frage an, warum es dann in einen Katalog gehört, der in erster Linie zusammengetragen wird, um die Sicherheit in Deutschland zu verbessern.
Stahlknecht: Sehen Sie, die Berliner Erklärung ist erst mal eine Denkfabrik gewesen, wo verschiedene Dinge untereinander geschrieben worden sind. Die sollen Donnerstag und Freitag in Berlin beraten werden. Und dieser Beratungsgegenstand ist ja auch noch offen. Natürlich kann man im weiteren Sinne sagen, dass dann solche wallenden Gewänder, so will ich das mal nennen, ein gutes Versteck für Sprengstoff sind, aber ich sage noch mal aus meiner ganz persönlichen Sicht, und so werde ich es auch vortragen, ist es keine primäre Frage der inneren Sicherheit, da wiederhole ich mich jetzt, aber für mich ist es eine Frage, wie gestalten wir Integration in Deutschland, und dazu gehört keine Burka.
Barenberg: Es gibt ja den Einwand von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass ein solches generelles Burka-Verbot, Verbot der Vollverschleierung verfassungsrechtlich fragwürdig ist und bedenklich. Sind Sie bereit, sich über solche Bedenken hinwegzusetzen?
Stahlknecht: Nein, ich habe ja nicht gesagt, dass ich es fordere. Ich habe gesagt, ich kann es mir vorstellen, es gehört nicht zur Integration, das muss in Ruhe beredet werden. Wir haben ja hier in Sachsen-Anhalt nicht die Forderung aufgemacht. Wir haben nur kommentiert, was in der Berliner Erklärung steht. Und ich habe auch gesagt, dass wir in Deutschland vielleicht auch mal den mittleren Weg wählen sollten und weniger aufgeregt über solche Dinge diskutieren, was in anderen Nationalstaaten, die ja Rechtsstaaten sind, normal ist, kann ja bei uns nicht immer gleich der Sonderweg sein.
"Burka-Frage ist eine Integrationsfrage"
Barenberg: Wenn man sich das im Detail vorstellt – da gibt es ja verschiedene Kopfbedeckungen, die muslimische Frauen tragen. Da gibt es den Hijab, den Tschador, den Niqab und die Burka eben. Wie sollte das wirklich konkret aus Ihrer Sicht aussehen?
Stahlknecht: Ich denke, wir brauchen eine gegenseitige Achtung vor Kulturen und Religionen, und zu dieser Achtung gehört auf der einen Seite, dass man das akzeptiert, was bei uns geläufig ist, wir aber auch in einem Rahmen akzeptieren, was dort geläufig ist. Und Burka ist ja nicht im Koran gefordert, sondern da ist eine Kopfbedeckung, ein Tuch oder ein Schleier akzeptiert, und das ist ein Maß, auf das man sich gegenseitig in der Toleranz und Akzeptanz verständigen kann. Aber ich sage noch mal, eine Burka-Frage ist eine Integrationsfrage, und das sollte jetzt auch nicht das Hauptthema einer Diskussion um innere Sicherheit in Deutschland sein.
Barenberg: Dann nehmen wir ein anderes Thema, das auch für viel Diskussionsstoff in den vergangenen Tagen gesorgt hat, die doppelte Staatsbürgerschaft. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer beispielsweise sagt, man kann nicht Loyalität zu zwei Staaten haben. Wer das nicht kapiert, ist ein blauäugiger Multi-Kulti. Das ist so ein bisschen die Grundlinie der Gegner dieser doppelten Staatsbürgerschaft, so, wie wir sie im Moment haben. Sie schließen sich ja diesem Argument nicht an, sondern vertreten eine andere Auffassung. Warum?
Stahlknecht: Eine doppelte Staatsangehörigkeit ist keine Frage der Loyalität oder Integrationsbereitschaft. Das definiert sich nicht über den Pass, und wir haben viele Fälle von doppelten Staatsangehörigkeiten, wo einer eine amerikanische und eine deutsche hat beispielsweise oder auch eine türkische und deutsche. Die leben hier, die leben in unserer Kultur, und jetzt generell eine doppelte Staatsangehörigkeit infrage zu stellen, halte ich für überhaupt nicht mehr zeitgemäß im 21. Jahrhundert. Wir sind ein offenes und tolerantes Land in Deutschland. Natürlich muss man darüber nachdenken, wenn es Gefährder sind oder wenn Anzeichen für Terrorismus bestehen, dass man jemandem dann auch die doppelte Staatsangehörigkeit und in dem Fall die deutsche aberkennen können muss, um denjenigen dann auch abschieben zu können. Und das hat ja auch de Maizière gesagt, und ich bin da völlig auf seiner Linie. Aber eine generelle Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit geht am Ziel vorbei, ist nicht modern, und das halte ich auch im Augenblick für überhaupt nicht zielführend.
Barenberg: Insofern von Holger Stahlknecht, dem Innenminister von Sachsen-Anhalt von der CDU ein Lob für die rot-grüne Bundesregierung damals und ihre Entscheidung, eben unter Umständen, unter bestimmten Umständen die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen, weil das eben Brücken baut für die Integration.
Stahlknecht: Genau.
"Deutschland ist bislang von einem groß angelegten Terroranschlag verschont geblieben"
Barenberg: Wunderbar. Dann können wir das ja noch mal festhalten. Was ist von diesem Katalog sonst Ihnen besonders wichtig, wenn es nicht die doppelte Staatsbürgerschaft ist, die infrage zu stellen?
Stahlknecht: Was wir für die innere Sicherheit brauchen, ist eine gute Polizeipräsenz in den Ländern, in den Städten, in der Bundesrepublik. Wir brauchen eine bessere Möglichkeit, auch Internetaktivitäten überwachen zu können. Wir müssen über Datenspeicherungen nachdenken können, und wir brauchen starke Inlands- und Auslandsnachrichtendienste, um frühzeitig auf solche Gefahren zu reagieren. Das sind die Instrumentarien, die jetzt für die innere Sicherheit in Deutschland wichtig sind. Und das ist die originäre Aufgabe, und man muss auch mal eines feststellen: Die Dinge, die sich hier in den letzten Monaten leider abgespielt haben in Deutschland, sind ja nicht ausschließlich Terroranschläge gewesen, sondern es waren eben Amok-Lagen, und Deutschland ist bislang von einem groß angelegten Terroranschlag verschont geblieben, und das ist auch ein Verdienst der inneren Sicherheit in Deutschland und der Nachrichtendienste. Wir leben in sofern in einem sicheren Land.
Barenberg: Wenn ich dann aber noch mal in Erinnerung rufe, was unter anderem bei diesen 27 Punkten aufgelistet ist, also Integrationsverweigerung ahnden bis hin zur Ausweisung, nicht-deutsche Hassprediger ausweisen. Muss man dann jetzt unterm Strich einmal sagen, das klingt viel martialischer, als Sie es jetzt beispielsweise auch darstellen?
Stahlknecht: Gut, es ist zunächst eine Diskussionsgrundlage. Aber ich sage auch ganz deutlich, wer sich in Deutschland nicht integrieren will, wer Integration verweigert, wer zur inneren Unruhe aufruft oder Terroranschläge vorbereitet, wer Gefährder ist, der hat sein Gastrecht in Deutschland verwirkt. Die Menschen sind zu uns gekommen, damit sie Schutz bekommen. Und dann erwarten wir im Gegenzug zumindest, dass sie sich in unsere Gesellschaft einfügen. Und wer das unter den vorgenannten Gesichtspunkten nicht tut, der hat dann Deutschland auch wieder zu verlassen. Und da vertrete ich eine harte Linie.
"Gefährder können unter gewissen Voraussetzungen ausgewiesen werden"
Barenberg: Aber das ist doch bisher schon möglich, oder sehe ich das falsch?
Stahlknecht: Es ist in Teilen möglich. Man kann da sicherlich über Justierungen nachdenken. Auch Gefährder können unter gewissen Voraussetzungen ausgewiesen werden. Aber manches kann man vielleicht auch leichter gestalten. Man muss überlegen, mit welcher Möglichkeit man Rechtswege ausschöpfen möchte. Sicherlich steht da die Rechtsweggarantie der Verfassung auch an oberster Stelle, die wir beachten müssen. Aber das sind Dinge, die müssen beredet werden. Aber es muss zügiger möglich sein, solche Menschen, die eben hier unsere innere Sicherheit stören oder stören können oder wollen, auch wieder abzuschieben.
Barenberg: Ist das in erster Linie eine Frage der Gesetze und möglicher Verschärfungen, oder ist das in erster Linie eine Frage des Vollzugs der Behörden?
Stahlknecht: Es ist sowohl als auch. Es gibt Abschiebehindernisse, an die auch Behörden dann gehalten sind. Wenn jemand nachweislich nicht reisefähig ist, wenn eine Suizidgefahr besteht, dann kann man nicht abschieben, dann ist auch die Tatsache gegeben, dass diejenigen, die abgeschoben werden sollen, nicht da sind, deshalb schieben wir in Sachsen-Anhalt unangekündigt ab. Aber es ist natürlich auch eine Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen, und die sind ja schon auch in letzter Zeit gelockert worden. Da muss man jetzt in Ruhe in Berlin reden, wo wir noch weiteren Handlungsbedarf haben. Ich sage auch, das muss immer ausgewogen sein. Es darf nicht in Aktionismus verfallen, sondern wir müssen die Mitte bewahren auch in schwierigen Zeiten.
Barenberg: Holger Stahlknecht, der Innenminister von Sachsen-Anhalt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke für Ihre Zeit, Herr Stahlknecht!
Stahlknecht: Ich danke Ihnen. Einen schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.