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Holland in Not

Wenn im Kampf gegen den Klimawandel zu wenig getan wird - dann ist zum Beispiel Holland in Not. Denn das Wasser drückt mit steigenden Nordseepegel von vorn, mit steigendem Rheinpegel von hinten, mit steigendem Grundwasser von unten und mit mehr Regen auch von oben.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Rund 1000 Kilometer rheinabwärts bei Hoek van Holland: "Nieuwe Waterweg" heißt das letzte kanalisierte Stück des Rheins, bevor er in die Nordsee mündet. Der fast 400 Meter breite Kanal ist die Lebensader des Rotterdamer Hafens. Er wird jedes Jahr von 80.000 Schiffen befahren. Kurz vor der Hafeneinfahrt werden sie von zwei gigantischen Stahlrohr-Konstruktionen begrüßt, die rechts und links am Ufer liegen. Sie sehen aus wie zwei umgekippte Eiffeltürme. Das ist die Maeslantkering, ein bewegliches Sturmflutwehr. Bei seiner Einweihung 1997 wurde es als Wunder der Technik gefeiert. Zurecht, findet Wasserbauingenieur Joop Weijers. Das Prinzip sei ebenso einfach wie genial:

    "Bei drohendem Hochwasser können die beiden Stahlkonstruktionen mithilfe von Kugelgelenken auf das Wasser hinausgetrieben werden und den Nieuwe Waterweg abriegeln."

    Die Maeslantkering ist der krönende Schlussstein der Deltawerke, jener Kette aus Deichen, Dämmen und Wehren, mit denen die Niederländer nach der schweren Sturmflut von 1953 ihre Küste hermetisch abgeriegelt haben. 1800 Menschen kamen bei dieser letzten großen Naturkatastrophe ums Leben.

    Der Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Das Wissen der niederländischen Wasserbauingenieure in aller Welt gefragt.

    Auf den Klimawandel haben sich die Niederländer längst eingestellt – überall im Land werden die Deiche erhöht und verstärkt. Denn die Klimaforscher rechnen mit einer Meeresspiegelsteigung von einem Meter in den nächsten 100 Jahren; wenn die Polkappen schneller abschmelzen als erwartet, vielleicht sogar von sechs Metern. Die Unistadt Utrecht, bislang 60 Kilometer landeinwärts gelegen, wäre schon bei zwei Metern eine Hafenstadt.

    3,1 Milliarden Euro geben die Niederlande jedes Jahr aus, um es nicht so weit kommen zu lassen. Denn rund die Hälfte des Landes liegt unter Normalnull; rund 6 der insgesamt 17 Millionen Niederländer behalten nur dank ihrer Deiche trockene Füße; 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden unter dem Meeresspiegel verdient. Der tiefste Punkt liegt mit fast sieben Metern bei Rotterdam.

    Dort fand Ende September der erste internationale Deltakongress statt. Deltastädte aus aller Welt - unter anderem aus Indonesien, Vietnam, Brasilien und Kalifornien – schlossen in Rotterdam eine Delta-Allianz, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen:

    "Wir müssen unsere Kräfte bündeln",

    sagt der Rotterdamer Wasserexperte Arnoud Molenaar:

    "In Deltastädten wie Rotterdam kommt das Wasser buchstäblich von vier Seiten: von der See durch den steigenden Meeresspiegel, von oben durch die stärker gewordenen Niederschläge, von unten, denn auch das Grundwasser steigt, und dann auch noch von hinten durch die Flüsse, die bei uns in der Nordsee münden und die immer mehr Wasser mit sich führen."

    Mit immer höheren Deichen allein ist es deshalb nicht mehr getan: Dem Wasser muss wieder mehr Spielraum gegeben werden. Überall in den Niederlanden entstehen Überflutungsgebiete oder Wassernotauffangbecken. In den Flussregionen werden künstliche Flussnebenarme geschaffen und Deiche zurückversetzt, um die Flussauen breiter zu machen. Und im Rotterdamer Stadtgebiet entsteht derzeit ein halbes Dutzend von Plätzen, die normalerweise als Spiel- oder Sportplatz dienen, aber im Notfall wie ein großes Schwimmbad geflutet werden können.

    "Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, sondern mit dem Wasser leben", lautet die neue Devise. In Rundfunkspots werden die Bürger zum Umdenken aufgerufen:

    Auch Hollands Architekten haben sich längst auf den neuen Hochwasserschutz eingestellt: Sie entwerfen treibende Häuser, die sich dem steigenden Meeresspiegel problemlos anpassen: In Amsterdam wurde soeben das erste treibende Stadtviertel realisiert, in einem Polder bei Den Haag begann der Bau des ersten treibenden Apartmentkomplexes Europas. Und das ist erst der Anfang: Die Stadt der Zukunft, so prophezeien Klimaforscher wie Architekten, besteht aus treibenden Plattformen, die wie Eisschollen hin- und hergeschoben werden können.