Holocaust
Überlebender fordert Geld von der Deutschen Bahn

Der Holocaust-Überlebende Salo Muller fordert die Deutsche Bahn auf, einst deportierte Opfer des Nazi-Regimes oder deren Angehörige finanziell zu entschädigen. Dass Geld fließt, ist in seinen Augen absolut notwendig, aus einem bestimmtem Grund.

    Ein Güterwagen der Deutschen Reichsbahn vor dem Stacheldrahtzaun des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.
    Die Deutsche Reichsbahn kassierte von den deportierten Opfern nachträglich Geld – für die Transportkosten. (IMAGO / Dreamstime / Drummond79)
    In den Niederlanden hat der Holocaust-Überlebende Salo Muller es bereits geschafft: Nicht zuletzt durch sein Engagement erklärte sich die dortige Bahngesellschaft Nederlandse Spoorwegen im Jahr 2019 bereit, Entschädigungszahlungen zu leisten – für Deportationen, die während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg mit Zügen der niederländischen Bahn durchgeführt wurden.
    Jetzt möchte der heute 88-Jährige erreichen, dass auch die Deutsche Bahn AG (DB) Geld an noch lebende niederländische Opfer oder stellvertretend an deren Angehörige zahlt. Schließich hat die Deutsche Reichsbahn die Deportierten ab der deutschen Grenze meist weiter transportiert.
    In einem offenen Brief an den DB-Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz und an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat Salo Muller seinen Forderungen zusammen mit dem Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland jetzt Nachdruck verliehen.

    Inhalt

    Wer ist Salo Muller?

    Der Niederländer Salo Muller musste 1942 in Amsterdam miterleben, wie die Nazis seine Eltern von ihm trennten. Vater und Mutter wurden ins „Holländische Theater“ gebracht und von dort aus ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie später ermordet wurden. Der damals sechs Jahre alte Salo wurde auf die andere Straßenseite in eine Kinderkrippe geschickt. Er überlebte in verschiedenen Verstecken und wurde später gerettet – unter anderem durch Hilfe des niederländischen Widerstands.

    „Diese schrecklichen Ereignisse verfolgen mich bis heute“, schreibt Muller, der in seinem späteren Berufsleben u.a. als Autor und Physiotherapeut bei Ajax Amsterdam tätig war.

    Was fordert Salo Muller von der Deutschen Bahn?

    Konkret fordert Salo Muller von der Deutschen Bahn AG in seinem offenen Brief „finanzielle Entschädigung und eine ernst gemeinte Entschuldigung für alle niederländischen Überlebenden der Deportationen und für die Angehörigen der Ermordeten.“ Schließlich, so schreibt er, seien die Verbrechen an Tausenden Juden, Sinti und Roma nicht gesühnt worden.
    Muller erwartet von der DB, dass das Unternehmen mit ihm sowie mit dem Auschwitz-Komitee in Verhandlungen über eine Entschädigungszahlung treten wird. Zugleich bittet Salo Muller Verkehrsminister Wissing, diese Forderung zu unterstützen und die Gespräche zu begleiten.

    Wie begründet er seine Forderungen?

    Salo Muller begründet seine Forderungen im Wesentlichen mit drei Argumenten:
    Ungesühnte moralische Schuld
    Muller geht es nach eigenen Angaben um die Anerkennung des erlittenen Leids und der historischen Verantwortung. „Die Reichsbahn, als Vorgängerin der Deutschen Bahn, hat maßgeblich zur Durchführung der Deportationen beigetragen“, heißt es in dem Brief – und: „Die Niederländischen Eisenbahnen deportierten die Menschen bis zur deutschen Grenze nach Nieuweschans, von dort wurden die Züge von deutschen Lokomotiven direkt nach Auschwitz gefahren.“ Nun sei es höchste Zeit, dass die Deutsche Bahn AG das unermessliche Leid zumindest teilweise lindere.
    Die Deportierten mussten den Transport selbst bezahlen
    Der Rechtsanwalt Martin Klingner vertritt Salo Muller in Deutschland. Er weist auf eine Tatsache hin, die vielen bis heute vielleicht nicht bekannt ist:
    „Die Menschen, die damals in der NS-Zeit deportiert wurden mit Zügen der Reichsbahn, (…) mussten diese Fahrt in der Regel auch noch bezahlen.“ Auch Salo Muller betrachtet den Fakt, dass sich die Reichsbahn bereichert und die Opfer zur Kasse gebeten hat, als einen Grund, das Geld zurückzufordern.
    Zahlungsbereitschaft als Ausdruck aufrichtigen Bedauerns
    „Nur wer zahlt, meint es ernst“, sagt Salo Muller. Er erwartet von der Deutschen Bahn AG die Bereitschaft zu einer ehrlichen Verantwortungsübernahme. Sinngemäß argumentiert er, dass diese Aufrichtigkeit durch Geldzahlungen bekräftigt und bewiesen werden könne.

    Wie reagiert die Bahn auf seine Forderungen?

    Zum aktuellen offenen Brief hat die Deutsche Bahn AG bislang noch nicht öffentlich Stellung bezogen (Stand 9. Oktober 2024). Zumindest bei vergangenen Versuchen, im Auftrag von Muller Kontakt aufzunehmen, habe das Unternehmen ablehnend reagiert, sagt Martin Klingner. „Die Deutsche Bahn AG macht es sich einfach und sagt, sie sind nicht zuständig für Entschädigungszahlung“, so der Anwalt. Stattdessen würde auf die Bundesrepublik als Staat verwiesen.
    Grundsätzlich bekennt sich die Deutsche Bahn durchaus zu einer Mitschuld der Reichsbahn am Holocaust. Ihr Vorstand ist seit mehreren Jahren zudem regelmäßiger Gast beim Holocaust-Gedenktag der internationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. In diesem Jahr wurde die Bahn Firmenmitglied im Freundeskreis der Gedenkstätte.

    Wie reagiert die Politik?

    Salo Mullers Anwalt Martin Klingner sagt, dass die Reaktionen seitens der Politik unterschiedlich ausfallen. Einerseits lehne die Bundesregierung die Forderungen ab. „Sie verweist darauf, dass Deportation kein eigenständiger Entschädigungstatbestand sei, der in irgendeiner Form gesetzlich geregelt sei. Von daher gibt es auch keine Ansprüche.“
    Schwarz auf weiß nachzulesen ist das auch in der Antwort auf eine sogenannte Kleine Anfrage verschiedener FDP-Bundestagsabgeordneter aus dem Januar 2021. Darin heißt es seitens der damaligen Bundesregierung: 
    „Die schrecklichen Umstände von Deportationen im Zuge der Verfolgung, die vielfach durch Züge, vielfach aber auch auf anderen Wegen erfolgten, sind in den (…) verschiedenen gesetzlichen und außergesetzlichen Regelungen mitbedacht. Die Deportation als solche kann als Teil des gesamten Verfolgungsprozesses deshalb nicht gesondert (teil-)entschädigt werden.”
    Andererseits berichtet Anwalt Klingner auch von zustimmenden Reaktionen aus der Politik: „Wir haben immer wieder Kontakt zu verschiedenen Politikern (…) sowohl zu den Grünen, FDP und auch zu den Sozialdemokraten gehabt. Und da gibt es durchaus ein gewisses wohlwollendes Interesse. Aber das hat sich bisher nicht in einer konkreten Regelung niedergeschlagen.“

    jma