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Holocaust-Forschung
Jüdisches Flüchtlingscamp in Eichstätt

Nach Kriegsende wanderten die meisten Juden aus - aber nicht sofort. Zunächst wurden sie in sogenannten Displaced Persons Camps versorgt, die die UN und die US-Army errichtet hatten. Heute beginnt man an diesen Orten, den oft verdrängten Teil der Geschichte wieder aufzuarbeiten - so auch in Eichstätt.

Von Tobias Krone |
Blick auf die Stadt Eichstätt, Deutschland 1930er Jahre
Weil in Eichstätt nach dem Krieg eine Kaserne leerstand, richteten die UNO-Flüchtlingsorganisation und die US-Army dort ein großes DP-Camp ein. Hier ein Blick auf die Stadt Eichstätt in den 1930er-Jahren.* (picture alliance/VisualEyze / Karl Heinrich Lämmel)
Yaffa Orenstein kam als Baby nach Eichstätt, kurz nach dem Krieg:
"Meine Eltern waren über Russland nach Österreich gekommen und schmuggelten mich über die Grenze nach Deutschland in einem Kleiderkorb - mit Stroh dazwischen, dass ich atmen konnte. Grenzübertritte mit Babys waren nicht erlaubt - also nahmen sie mich als Paket mit. Diese Geschichte war Teil unseres Lebens."
Die rüstige Dame auf dem Podium, pensionierte Filmproduzentin, hat in Israel Karriere gemacht. An den Ort ihrer frühesten Kindheit erinnert sie sich kaum. Hier in Eichstätt lebten nach dem Krieg bis zu 1.400 Juden - in einem der zahlreichen süddeutschen DP-Camps. DP für Displaced Persons.
"Nach dem Krieg im Mai 1945 waren etwa 6,5 bis sieben Millionen sogenannte Displaced Persons in den westlichen Besatzungszonen. Diese mussten versorgt werden, betreut werden und dazu hat man dann Assembly Centers, eben auch diese Displaced Person Camps eingericht. Das waren zum einen Wohneinrichtungen, aber auch sonstige Versorgungseinrichtungen wie zum Beispiel ein Krankenhaus."
Autonomie durch Selbstverwaltung
Der Psychiater Maximilian Ettle hat die vergessene Geschichte des DP-Camps seiner Heimatstadt erforscht. Weil in Eichstätt nach dem Krieg eine Kaserne leerstand, richteten die UNO-Flüchtlingsorganisation und die US-Army dort ein großes DP-Camp ein:
"Diese Camps sind eingerichtet worden, weil man dann in der amerikanischen Besatzungszone die Juden sozusagen als eigene Nation begriffen hat - und nicht mehr nach formaler Staatsangehörigkeit untergebracht hat."
Dem jüdischen DP-Camp und seinen einstigen Bewohnern widmete die Universität Eichstätt jetzt ein Symposium. Historikerinnen und Historiker präsentierten dort ihre Forschungsergebnisse. Etwa zur Selbstverwaltung der Camps. Deutsche Behörden wie auch die Polizei hatten hier keinen Zutritt - die Bewohner formten eine eigene Lagerpolizei und sogar ein eigenes Gerichtswesen:
"Es ist natürlich so, dass die jüdischen Displaced Persons aus ihrer kulturellen Herkunft her, zum Beispiel aus dem Schtetl, eigentlich gewohnt waren, sich selbst zu organisieren. Das heißt, die haben da sehr viel Erfahrung gehabt und haben sehr stark auf Autonomie Wert gelegt. Und sie konnten das auch. Sie sind im November hergekommen - November '46 - und im Januar '47 haben sie schon ihre Lagerkomitees gewählt. Da hat es Wahlplakate gegeben, Wahlversammlungen, da sind diese einzelnen Leute gewählt worden, die dann eben für das Lager verantwortlich waren."
Für ihr künftiges Leben in Palästina sollten die DP-Bewohner demokratisch und beruflich fit sein. Das lasse heute aufhorchen, gerade in Bayern, wo viele Migranten – also Displaced Persons von heute – ohne Perspektive und ohne Chance auf berufliches Fortkommen in Ankerzentren leben müssen:
"Damals stand ja Integration eigentlich gar nicht im Vordergrund, weil diese Leute nicht hierbleiben wollten. Und trotzdem hat man es da schon geschafft. Deswegen ist es umso verwunderlicher, wenn man heute dahinter zurückgeht und Menschen, Geflüchtete so außerhalb von Ortschaften kaserniert oder in Lagern der Exklusion unterbringt – und dann von ihnen aber fordert, sobald sie aus diesen Lagern heraus sind, sich sofort in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Das klingt für mich jetzt erstmal nicht schlüssig", merkt der promovierte Historiker Holger Köhn an.
Freundschaften und Spannungen
Er erforscht mit seinem "Büro für Erinnerungskultur" die DP-Camps im Rhein-Main-Gebiet. Viel Kontakt zwischen den oft aus Osteuropa stammenden Juden und der nichtjüdischen Bevölkerung habe es nicht gegeben. Bei der örtlichen Polizei waren die Camps als Horte der Kriminalität verschrien, zwischen Einheimischen und den Juden gedieh in diesen Hungerjahren der Schwarzhandel. Und gelegentlich auch Freundschaft - wie ein Beispiel aus dem südhessischen Zeilsheim belegt, wo nichtjüdische Frauen jüdische Kinder aufzogen:
"Wenn man der Pfarrchronik Glauben schenken kann, gab es da sehr viele Menschen, die da als Hausmädchen gearbeitet haben, und der Pfarrer hat das nicht gern gesehen, also der wollte das gar nicht. Und wenn man sich dann die Beschreibungen von den betroffenen Personen anhört, dann waren die eigentlich sehr glücklich mit ihrem Dienstverhältnis und haben auch die Familien liebgewonnen, die Kinder liebgewonnen und waren auch eher traurig, als diese Familien dann nach Israel ausgewandert sind."
An einigen Orten reaktivierten DPs auch das ausgelöschte jüdische Leben, wie im österreichischen Hohenems am Bodensee. Die Camp-Bewohner riefen die Bevölkerung auf, wenn vorhanden, geraubte jüdische Kultgegenstände zurückzugeben. Anika Reichwald vom jüdischen Museum Hohemems:
"Dann ist tatsächlich was sehr Kurioses passiert. Man hat sich tatsächlich gemeldet aus der Hohenemser nichtjüdischen Bevölkerung und hat noch quasi Gegenstände, die sich vielleicht so im Haushalt oder auf dem Dachboden befunden haben, zum Kauf angeboten. Und das ist natürlich schon, ich sag es mal, ein ziemlich großer Fauxpas in diesem Kontext der Rückgabe jüdischer Gegenstände, Ritualgegenstände, und das hat dann natürlich auch zu erheblichen Spannungen und tatsächlich auch zu körperlichen Auseinandersetzungen geführt."
Immer mehr Aufschluss über Geschichte der DPs
Die Geschichte der DPs ist an vielen Orten verschüttgegangen. Doch inzwischen beschäftigen sich viele damit - und nicht nur die Holocaust-Forschung. Im oberbayerischen Städtchen Dorfen war es ein Zirkel von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich gegen Neonazi-Aufmärsche zur Wehr setzten und nebenbei die eigene Nachkriegsgeschichte aufarbeiteten. Doris Minet, inzwischen dritte Bürgermeisterin, wühlte vor einigen Jahren im bayerischen Staatsarchiv:
"Und fand dann - also, mir geht's immer wieder so, wenn ich das erzähle, dass ich immer noch Herzklopfen kriege, - fand ich diese Bachelorarbeit von dieser Thea Fleischhauer, schlag auf und lese: Dorfen Markt, lese: Jakob Maier – ich bin gebürtige Dorfenerin, ich kenne das alles. Denke: Das muss ich unbedingt haben."
Und so fanden die Laienhistoriker heraus, dass in den 40er-Jahren nach Kriegsende DPs in Dorfen sogar eine koschere Metzgerei betrieben, ihr Fleisch aber nur an Juden verkaufen durften. Dafür hatten die nichtjüdischen Metzger im Stadtrat gesorgt. Am Ende des Symposiums in Eichstätt berichteten die inzwischen betagten Eichstätt-Babys. Wie Bella Steiner, deren Eltern 1948 mit ihr Deutschland verließen – nach Palästina:
"Weil wir ja jetzt hier sind, bin ich mal eine Runde spazieren gegangen, um mich umzusehen. Und ich war beeindruckt, wie schön dieser Ort ist. Und ich war verwundert und auch ein bisschen traurig, dass ich von meinen Eltern nichts von diesem schönen Ort hörte von diesem schönen Ort, wo sie ja gelebt haben. Es ist ja wie ein Stück Paradies, aber emotional konnten sie damals einfach nichts sehen."
In Gedanken waren sie längst in Amerika oder Palästina. Einige wenige aber blieben – und begründeten die ersten jüdischen Gemeinden im Land der Täter.
[*] Wir haben das Bild zum Beitrag nachträglich durch ein passenderes ersetzt.