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Holocaust-Gedenken
Friedländer warnt vor neuem Nationalismus

Antisemitismus, Fremdenhass und ein sich verschärfender Nationalismus weltweit bereiten dem NS-Forscher Saul Friedländer Sorge. In seiner Rede im Bundestag zum Gedenken an die Auschwitz-Befreiung rief der Holocaust-Überlebende Deutschland dazu auf, weiterhin für Toleranz und Menschlichkeit zu kämpfen.

Von Christiane Habermalz |
    Der Historiker Saul Friedländer spricht bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus.
    Der israelische Historiker und Holocaust-Überlebende hat den Transport, mit dem seine Eltern nach Auschwitz gebracht wurden, genau recherchiert (dpa/Michael Kappeler)
    Seine Rede im Bundestag war mit Spannung erwartet worden. Nicht nur, weil Saul Friedländer einer der bedeutendsten Historiker und NS-Forscher unserer Zeit ist. Sondern auch, weil Gedenken an den Holocaust heute selbst in seinen politischen Ritualen nicht mehr frei von Zwischentönen ist, seit die AfD in den Parlamenten sitzt. Doch ein Eklat wie in München, als die AfD während einer Rede der Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch den Landtag verließ, blieb aus. Friedländer warnte in seiner Rede vor einem neu aufkommenden Nationalismus:
    "Antisemitismus ist nur eine der Geißeln, von denen jetzt eine Nation nach der anderen schleichend befallen wird. Der Fremdenhass, die Verlockung autoritärer Herrschaftspraktiken und insbesondere ein sich immer weiter verschärfender Nationalismus sind überall auf der Welt in Besorgnis erregender Weise auf dem Vormarsch."
    Deutschland als Bollwerk
    Friedländer entschuldigte sich zu Beginn seiner Rede für sein ungelenkes Deutsch – die Sprache seiner Kindheit, die er lange verdrängt und vergessen hatte. Er erläuterte aber auch, warum er sich nach einigem Zögern entschlossen habe, die Einladung, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen, anzunehmen. Für ihn, wie für viele andere Menschen weltweit sei Deutschland dank seiner Wandlung nach dem Krieg zu einem Bollwerk gegen Antisemitismus, Nationalismus und Fremdenhass geworden:
    "Wir alle hoffen, dass Sie die moralische Standfestigkeit besitzen, weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum für die wahre Identität zu kämpfen."
    Zuvor hatte Friedländer, der 1932 in Prag geboren wurde und als zehnjähriger Junge versteckt in einem katholischen Priesterseminar in Frankreich den Holocaust überlebt hatte, über den unsagbaren Schrecken gesprochen, den er und seine Familie durchleiden mussten. Seine Eltern waren bei einem Fluchtversuch in die Schweiz von der Schweizer Grenzpolizei verhaftet und an die Deutschen übergeben worden, beide starben in Auschwitz. Sie hatten beschlossen, dass für ihren einzigen Sohn die Flucht zu gefährlich war und ihn trotz seines Weinens zurückgelassen. Später habe er herausgefunden, dass die Schweizer genau in dieser Woche Paare mit kleinen Kindern nicht auslieferten.
    "Wäre ich dabei gewesen, hätten wir wahrscheinlich in der Schweiz bleiben dürfen. In jenen Tagen waren für Juden rationale Entscheidungen sinnlos."
    Als Historiker hat Friedländer den Transport, mit dem seine Eltern nach Auschwitz gebracht wurden, genau recherchiert. Transport Nr. 40 brachte 468 männliche, 514 weiblich und weitere 18 nicht weiter gekennzeichnete Personen in den Tod, darunter über 200 Kinder.
    "Ich frage mich oft, ob meine Eltern während der drei Tage dieser höllischen Fahrt zusammen waren. Falls ja, was mochten sie allen anderen gesagt haben? Und was mochten sie gedacht haben? Wussten sie was sie erwartete?"
    Schäuble: "Gemordet hat nicht ein anonymer Staat"
    Zuvor hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Ansprache aller Opfer gedacht, die während des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges ermordet wurden. Nicht umsonst stelle die deutsche Verfassung nach dem Krieg die Rechte des Individuums und die Würde des Menschen an die erste Stelle. Dies sei die Antwort auf die Erfahrung, dass die Würde des Menschen zuvor millionenfach verletzt wurde. Und er mahnte:
    "Mitmenschlichkeit – daran hat es gefehlt, als Juden zu Nichtmenschen und Slawen zu Untermenschen degradiert wurden. Gemordet hat nicht ein anonymer Staat. Das waren Menschen. Menschen haben die Verbrechen organsiert und verübt, oder sie nicht verhindert."
    Friedländer warnte in seiner Rede ausdrücklich vor neuem Antisemitismus, der nicht nur von rechts, sondern auch von links komme und sich in überzogener Israelkritik manifestierte. Bei aller berechtigten Kritik an der Politik der Regierung sei es eine moralische Pflicht, das Existenzrecht Israels zu schützen. Für ihn und viele andere Juden sei es nach der Erfahrung des Holocaust zur einzigen Zuflucht und Heimat geworden und bis heute geblieben.