Astrid Rawohl: Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages wurde heute im Fußballmuseum in Dortmund an alle Opfer des nationalsozialistischen Völkermords erinnert. Während der Nazizeit wurden ja auch viele Sportler jüdischen Glaubens deportiert. DFB-Präsident Grindel rief im Rahmen der Festveranstaltung beispielsweise die Rolle des Fußballs in der damaligen Zeit und die heutigen Chancen ins Gedächtnis. Die Matinee verfolgte unser NRW-Korrespondent Moritz Küpper mit, der jetzt hier bei mir im Studio ist. Herr Küpper, viele namhafte Festredner hatten sich angekündigt und auch ein besonderer Ehrengast: der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff, der die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel in der heutigen Zeit betonte. Wie haben Sie seinen Auftritt in dieser eher ungewöhnlichen Umgebung erlebt?
Moritz Küpper: Ja, es war ein ungewöhnlicher Auftritt, erstmals wurde dieser Gedenktag im Fußballmuseum in Dortmund begangen, das liegt ja direkt, nur einige Meter vom Dortmunder Hauptbahnhof entfernt und aus Dortmund wurde ja eben auch – per Zug, eher per Güterwaggons – unter anderem Julius Hirsch, einst deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, in ein KZ gebracht, später getötet. Das letzte Lebenszeichen von ihm war eine Postkarte, die in Dortmund abgestempelt wurde. An ihn wird in diesem Fußballmuseum in einer Sonderausstellung erinnert, aber auch der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff hatte und hat einen persönlichen Bezug zu Dortmund, denn die Frau seiner Familie stammt aus der Stadt, musste einst fliehen, doch der Großvater seiner Frau, der die Familie retten konnte, wurde selbst später gefasst, nach Ausschwitz deportiert und getötet. Aber es war eben nicht nur Dortmund, die Stadt, weshalb er an die Familie seiner Frau, anderen Großvater Sal Birnberk erinnere, so Issacharoff:
"The reason I say this is that Sal Birnberk was a professional football player. And while we've not yet found in which team he played, he lived and breathed football. And we think he played in Dortmund and in Hamburg"-
Wo er also letztendlich selbst Profifußballer war, wissen sie noch immer nicht, in Hamburg oder in Dortmund, aber er habe Fußball gelebt, geatmet, so der Botschafter, dem dieser persönlichen Bezug durchaus wichtig war. Und es ist ja auch ein Zeichen der Anerkennung, der Wertschätzung, dass der israelische Botschafter – der auch die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel in der heutigen Zeit lobte, an so einem Tag eben nach Dortmund, ins Fußballmuseum gekommen ist.
Deutliche Worte von DFB-Präsident Grindel
Rawohl: Der Präsident des Deutschen Fußball Bundes Reinhard Grindel erinnerte auch an die Rolle des deutschen Fußballs während der Nazizeit. In offenen Worten, aber auch in selbstkritischen?
Küüer: Eindeutig ja, finde ich. Es ist ja schon länger bekannt, dass der DFB, dass die Vereine auch in dieser Zeit ihre Rolle gespielt haben, eine durchaus aktive Rolle gespielt haben. Bis in die 90er-Jahre wurde dies ja verschwiegen, wenn nicht sogar aktiv abgestritten, aber seitdem gibt es durchaus auch Maßnahmen der Aufarbeitung, auch Veranstaltungen wie die heutige. Dennoch: In einer solchen Klarheit habe ich das von der DFB-Spitze selten bis nie gehört, was Reinhard Grindel heute gesagt hat:
"Der Ausschluss aus den Fußballvereinen war der erste Schritt auf dem langen Weg der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland. Der Fußball hatte sein moralisches Rüstzeug in vorauseilendem Gehorsam aufgegeben. Es ist eine traurige Wahrheit: Auch der Fußball hat versagt. Die Vereine, der DFB, sie waren keine Widerstandskämpfer."
Klare, deutliche, wie ich finde, einprägsame Worte – aus denen Grindel auch die Verantwortung des Fußballs für die Gesellschaft heute ableite. Der Fußball trage zur Integration bei. Er könne den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zwar nicht allein gewinnen, aber eben seinen Teil beitragen. Und Grindel warnte dabei eben auch vor falschen Prioritäten, Diskussionen wie über den Videoassistenten beispielsweise, dürften nicht an erster Stelle stehen: "Respekt, Toleranz und Teamgeist, das ist, was zähle.
Und: Man müsse sich vor jeden stellen, der seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Ethnie oder sexuellen Orientierung angegriffen wird. Wer gegen die Werte des Fußballs verstößt, dem müssen wir die Rote Karte zeigen."
Roth: "Gesicht zeigen"
Rawohl: Hatte auch die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth eine ähnlich eindringliche Botschaft wie der DFB-Präsident?
Küpper: Ja, wer Claudia Roth kennt, wer sie in ihrer Vergangenheit als Grüne erlebt hat, kann sich das vorstellen. Schon lange ist Roth ja auch im Fußball engagiert, Mitglied der DFB-Kulturstiftung. Und sie übernahm der Rolle derjenige, die angesichts des Aufkommens der AfD, vor allem mancher Wortmeldung von Parteifunktionären, zum Holocaustgedenkstätte in Berlin, die als Mahnmal der Schande von Thüringens AfD-Vorsitzenden Björn Höcke:
"Dieser offene Angriff auf unsere Erinnerungskultur, dieser Versuch einer Geschichtsklitterung, einer Relativierung der Nazi-Verbrechen muss für uns alle, für alle Demokraten und Demokratinnen in Sport und Politik - insofern sich die beiden überhaupt trennen lassen - in Kirchen und Zivilgesellschaft, in Verbänden, Vereinen, in unserem Alltag dreierlei bedeuten: Gesicht zeigen, lauten Widerspruch, Widerstand und Verantwortung."
Auch dafür gab es dann Applaus im Fußballmuseum, von den rund 250 Gästen.
"Fußball war und ist nicht nur Sport"
Rawohl: Moshe Zimmermann, der Historiker der Hebräischen Universität Jerusalem, hielt die Festrede "Das judenfreie Europa mit einem judenfreien Sport – Fußball und 'Endlösung'" – warum hat der Historiker seinen Vortrag unter diesen Titel gestellt?
Küpper: Nun, es ging darum, dass sozusagen zu belegen, was Grindel gesagt hatte: Der Fußball, der Verband, die Vereine, waren keine Widerstandskämpfer und dieser Titel: "Das jugendfreie Europa mit einem judenfreien Sport": Fußball und die Endlösung – entstammte einem Artikel des ehemaligen Reichstrainer Otto Nerz, der von 1926 bis 1936 beim DFB arbeite. Am Anfang war er noch SPD-Mitglied, 1937 dann SA-Mann, NSDAP-Mitglied. Sportlich nicht sehr erfolgreich, wurde nach dem Misserfolg bei Olympia 1936 auch entlassen, allerdings ein großer Akteur, wenn es darum ging, Juden zu diffamieren, anzuprangern, ja, auch zu vernichten – und zwar mithilfe von Artikeln. Das schilderte Moshe Zimmermann und machte darüber auch deutlich, dass Fußball und der Holocaust auch zusammengehören. Am Ende seines Vortrages zitierte er dann eine Episode, die vom nicht-jüdische Häftling Thadäusz Borowski überliefert ist und die von einem Fußballspiel nahe der Rampe von Birkenau handelte:
"Er war Torwart. Der Ball flog am Tor vorbei - Ecke. Er warf einen Blick nach hinten und sah die Juden, die aus dem soeben angekommenen Zug rausgezerrt wurden. Es wurde aber weitergespielt. Und wieder gab es einen Eckball. Er schaute nach hinten und sah die leere Rampe. Ich zitiere den schrecklichen Satz: Ich kam mit dem Ball zurück und kickte ihn in eine Ecke. Zwischen dem ersten und zweiten Eckball wurden hinter meinem Rücken 3.000 Menschen vergast."
Der Historiker Moshe Zimmermann in seinem Vortrag. Und auch das – dieser Widerspruch: Zwei Ecken und dazwischen tausende Tote – zeigt: Der Fußball war und ist nicht nur Sport, auch der Fußball war Teil dieser Zeit. Auch der Fußball trägt Verantwortung, wie eben heute, bei diesem Gedenktag, erstmals im Fußballmuseum in Dortmund.
Rawohl: Danke Moritz Küpper hier im Studio, unser NRW-Korrespondent, der heute in Dortmund im Fußballmuseum anlässlich des Holocaust-Gedenktages war.