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Holocaust-Gedenktag
Zwischen zwei Eckbällen 3.000 Menschen vergast

An einem ungewöhnlichen, aber passenden Ort wurde an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht: dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. DFB-Präsident Reinhard Grindel sprach in ungewohnter Offenheit über die Rolle des Fußballs, dessen Vereine alles andere als Widerstandskämpfer gewesen seien.

Von Moritz Küpper |
    Das deutsche Fußballmuseum in Dortmund
    Das deutsche Fußballmuseum in Dortmund (imago / Werner Otto)
    Es sind nur einige Meter vom Dortmunder Hauptbahnhof zum Fußballmuseum. Doch von hier wurde einst auch Julius Hirsch, deutscher Nationalspieler jüdischen Glaubens, per Güterwagon abtransportiert, in ein Konzentrationslager gebracht, später getötet. Das letzte Lebenszeichen: Eine Postkarte, die in Dortmund abgestempelt wurde.
    Der Deutsche Fußball-Bund erinnert seit Jahren, unter anderem mit einem Preis, an Hirsch, doch für auch Jeremy Issacharoff, Israels Botschafter in Deutschland, der zu dieser Gedenkveranstaltung gekommen war, gibt es einen persönlichen Bezug: Dortmund, so Issacharoff, in seiner auf Englisch gehaltenen Ansprache, war die Heimatstadt der Familie seiner Frau, von hier stammte auch deren Großvater Sal Birnberg, der einst von den Nazis ermordet wurde: "The reason I say this is that Sal Birnberg was a professional football player. And while we've not yet found in which team he played, he lived and breathed football."
    "Moralisches Rüstzeug aufgegeben"
    Denn Birnberg war auch Fußballspieler, er lebte und atmete Fußball. Auch das war ein Grund für Issacharoff, der die gute Zusammenarbeit beider Länder in der heutigen Zeit lobte, zum internationalen Holocaust-Gedenktag eben nach Dortmund ins Fußballmuseum zu kommen. "Das judenfreie Europa mit einem judenfreien Sport: Fußball und die Endlösung", so der Titel der Vortrags des Historikers Moshe Zimmermann, der darin deutliche machte, wie auch der Fußball seine Rollte spielte.
    DFB-Präsident Reinhard Grindel, Israels Botschafter Jeremy Issacharoff  und Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau (v.l.) sitzen in einer Reihe
    Holocaust-Gedenktag in Dortmund: DFB-Präsident Reinhard Grindel, Israels Botschafter Jeremy Issacharoff und Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau (dpa / MNarius Becker)
    Ein Umstand, den bereits DFB-Präsident Reinhard Grindel in ungewohnter Offenheit und deutlichen Worten einräumte: "Der Ausschluss aus den Fußballvereinen war der erste Schritt auf dem langen Weg der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland. Der Fußball hatte sein moralisches Rüstzeug in vorauseilendem Gehorsam aufgegeben. Es ist eine traurige Wahrheit: Auch der Fußball hat versagt. Die Vereine, der DFB, sie waren keine Widerstandskämpfer."
    Den Fußball als Bühne gesucht
    Daraus leite sich auch für heute eine Verantwortung ab, so Grindel: "Der Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, der sich gerade auch die Bühne des Fußballs für sein Treiben sucht. Ob wir es wollen oder nicht: Die Herausforderungen des Alltags erlauben es nicht, dass der Fußball sich über die lang geübte Floskel hin zurückzieht, dass der Sport unpolitisch ist. Im Gegenteil: Er ist nicht unpolitisch und er war es nie."
    Man müsse sich vor jeden stellen, der seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Ethnie oder sexuellen Orientierung wegen angegriffen werde, mahnte Grindel. Und das eben zwischen Fußball und dem Holocaust, Verbindungen gab, machte auch die Episode deutlich, die Historiker Zimmermann, von Fußballspiel nahe der Rampe in Birkenau aus Sicht eines Häftlings schilderte:
    "Der Ball flog am Tor vorbei - Ecke. Er warf einen Blick nach hinten und sah die Juden, die aus dem soeben angekommenen Zug rausgezerrt wurden. Es wurde aber weitergespielt. Und wieder gab es einen Eckball. Er schaute nach hinten und sah die leere Rampe. Ich zitiere den schrecklichen Satz: Ich kam mit dem Ball zurück und kickte ihn in eine Ecke. Zwischen dem ersten und zweiten Eckball wurden hinter meinem Rücken 3.000 Menschen vergast."